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Begegnungen im Denken unserer Zeit

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„Gott ist tot! — Wir haben ihn getötet — ihr und ich! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? — Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen?“ Dies furchtbare Bekenntnis steht in Friedrich Nietzsches „Fröhlicher Wissenschaft“. Er schrieb es 1881 am Golf von Genua „im bezaubernden Gefühl der Genesung“. Und doch war es, wie fast sein ganzes Werk, Gradmesser der Erkrankung seiner Zeit, einer Erkrankung, deren Höhepunkt erst ein halbes Jahrhundert später erreicht wurde.

Das Versagen der Christen hatte seit dem Herbst des Mittelalters die Abschnitte der Entkirchlichung, Entchristlichung und Gottlosigkeit immer größerer Teile Europas immer rascher aufeinanderfolgen lassen. Gott war im Denken vieler, in den Herzen vieler keine lebendige Wirklichkeit mehr. Auch die hohe Geistphilosophie des deutschen Idealismus war vielfach den Fallstricken pantheistischen Zaubers, den Manen Spinozas erlegen. Die Vernachlässigung der nichtgeistigen Seinsbereiche hatte sie in den Bannkreis dieser Gefahr geführt. Auf diese Hybris mußte der Gcgenschlag eines großen Pessimismus folgen. Er kam mit Arthur Schopenhauer und mit ihm die Konsequenz: Gott ist tot.

Immer führt die größte Sünde der Philosophie, weite Bereiche der Wirklichkeit zu übersehen, sie zu Epiphänomenen zu machen, führt der monistische Drang, einen Seinsbereich zum universalen zu erklären, zum Zusammenbruch, zur Verzweiflung. Nicht die neuzeitliche Naturwissenschaft hat, wie man auch heute noch hört, zum Atheismus geführt. Ihre großen Schöpfer, Newton, Galilei, Kepler und Leibniz waren zu tiefe Geister, um über der Gesetzlichkeit der Natur die ewige Intelligenz ihres Schöpfers zu verkennen. Sie wollten in Ehrfurcht in der Gesetzlichkeit der Natur Gottes Schöpfungsweg erforschen, wie Kepler in seiner kosmischen Harmonie schreibt. Noch Charles Darwin, der Zweifler und Agnostiker, wehrt sich dagegen, das Universum als Zufallsgebilde anzusehen. Nur dogmatischer Monismus führt über Pantheismus zur Verneinung Gottes. Aber er muß, um Halt zu gewinnen, seine Sinnentleertheit zu tarnen, endliches Sein vergöttlichen, vergötzen. Kein Mensch und keine Weltanschauung kann ohne ein höchstes Sein, ein höchstes Gut bestehen. „Es besteht nur die Wahl“, wie Max Scheler immer festgestellt hat, „in seiner Absolutsphäre Gott, das heißt das dem religiösen Akt angemessene Gut zu haben (und es philosophisch zu erkennen und anzuerkennen) oder einen Götzen“. (Scheler: Vom Ewigen im Menschen.) Für die meisten monistischen Philosophen der letzten Jahrzehnte war dieser Götze der Mensch oder eine seiner Gemeinschaften. Für den älteren Positivismus von Comte und Feuerbach bis Loisy und Zola war es die Menschheit, für Nietzsche der Übermensch, für seine nationalistischen Nachfahren Volk oder Rasse.

Es gibt in diesem Jahrhundert furchtbarer Katastrophen im mitteleuropäischen Raum nur zwei Denker von Rang, die sich zum Atheismus bekennen: Martin Heidegger und Nicolai Hartmann. Der Mensch ist nach Heidegger ein Wesen, das aus dem Nichts kommt und ins Nichts geht, bewußt in dieses Nichts zu gehen hat. Diktatorisch verwehrt Heidegger dem Menschen jeden Blick, jede Frage über diesen Ablauf hinaus und so endet diese Philosophie im Nihilismus heroischer Verkrampfung. Nicolai Hartmann erkennt den Menschen als wertendes Wesen von freiem Willen, das seine Welt nach erkannten Werten zu gestalten hat. Gott und göttliche Lenkung hebt nach seiner Überzeugung sittliche Freiheit auf.

So kommt er zum Schluß: es kann Gott nicht geben. Und doch ist diese Antinomie nicht unaufhebbar. Kenner der Dogmen- geschichte wissen aus der Auseinandersetzung Thomismus-Molinismus um ihre Größe, Härte und Gefahr. Aloys Wenzl hat in seiner Philosophie der Freiheit einen Lösungsweg mit den Worten angedeutet: „Wie der Physiker trotz der Unbestimmtheit des mikrophysikalischen Geschehens das Geschehen im großen, die makrophysikalische Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit Voraussagen kann, die dem Grad der Gewißheit entspricht, so würde Gott jedes Geschehen im großen vor-sehen, unbeschadet der einzelnen freien Akte.“

Die Wende zum Objekt bringt religionsphilosophisch die Wende zum entschiedenen Theismus. Sein bedeutendster Vertreter in der phänomenologischen Schule ist Max Scheler. In seinem Hauptwerk „Vom Ewigen im Menschen“ gibt er eine grundlegende Wesensphänomenologie der Religion, versucht Wege unmittelbarer Gotteserkenntnis aufzuschließen und zeigt die Irrwege pantheistischen Denkens in all seinen Formen auf. In der letzten Phase seines Denkens erliegt dieser schöpferische Denker der Verführung der feinsten Form der Selbstvergöttlichung des Menschen, deren Ausdruck seine Lehre vom werdenden Gott in uns ist.

-Karl Jaspers, der bedeutendste Existen- tialphilosoph unserer Zeit, hat in unermüdlicher Arbeit erkannt, daß die Existenz des Menschen ohne absoluten Seinsgrund unerklärlich bleibt.

Franz Brentano, der in den Kämpfen um die Unfehlbarkeitserklärung die Kirche verlassen hat, blieb den drei großen Wahrheiten: Dasein Gottes, Unsterblichkeit der Seele, Freiheit des Willens, treu, zu denen er sich in der erschütternden Auseinandersetzung mit seinem Vetter Georg von Hert- ling im Jahre seine? Kirchenaustrittes bekannt hatte. Ja, er diente ihrer Erkenntnis in der reichen Arbeit seines Lebens. Beweis hiefür sind neben kleineren Werken das große Nachlaßwerk: vom Dasein Gottes und die noch unveröffentlichte große thei- stische Metaphysik. Auch sein Freund Karl Stumpf, der bedeutende Psychologe, der einen ähnlichen Weg wie Franz Brentano gegangen ist, ringt sein ganzes Leben um die großen Fragen Gott und Unsterblichkeit, „auf die jeder, der Philosoph heißen will, in seiner Weise Anwort suchen muß“ und die zeitlebens zu erwägen, er sich auch von einem dogmatisch gewordenen Kritizismus nicht verbitten läßt. Er wagt zwar den Streit zwischen einem personalistischen Pantheismus und dem christlichen Theismus nicht zu entscheiden, aber er bekennt:

„Ein einheitliches Grundprinzip muß allem zugrunde liegen und man wird von vornherein geneigt sein, das für die organische Welt postulierte geistige Ordnungsprinzip damit zu identifizieren.“

Hans Driesch, der Begründer der neuen Lebenslehre und ein Denker von gewissenhaftester intellektueller Selbstzucht, hat in seiner Wirklichkeitslehre die Unhaltbarkeit des Atheismus erwiesen. Unter den möglichen Formen der Gottesvorstellungen hat er die pantheistische des werdenden Gottes, des Bergsonschen dieu, qui se fait, nicht geteilt. Seine ganze Philosophie weist in die Richtung des Theismus, zu dem er sich uns persönlich bekannte, den er aber in seinen Werken noch nicht mit letzter Klarheit auszusprechen wagte.

Von den Denkern, die der Weg inneren Reifens vom Pantheismus zu klarer Gotteserkenntnis führte, seien Henri Bergson, Leopold Ziegler und Johannes Maria Verweyen genannt.

Die Fülle der neuen Einsichten in die Ordnungen der Wirklichkeit, die Ergebnisse der neuerwachten Ontologie eröffnen vielen realistischen Denkern den Weg zu den Wahrheiten christlicher Gotteslehre. Dies gilt im besonderen von Oswald Külpe, Erich Becher und Aloys Wenzl.

Wenzl gab uns ,in seiner „Philosophie als Weg“ (von den Grenzen der Wissenschaft an die Grenzen der Religion) und in seiner „Philosophie der Freiheit“ eine aus einer universalen Metaphysik erwachsende Gottes lehre, in der ewige Wahrheiten aus einer Fülle neuer Einsichten wieder lebendig werden. In ihr findet auch das schwierigste Problem der Gotteslehre, die Frage des Übels in der Welt, die eigentliche Theodizee, frage und im Zusammenhang mit ihr die Kosmogonie eingehende Behandlung.

Ebenso bedeutsam sind die aus der neueren Weltanschauungslehre und Religionssoziologie erwachsenen Ergebnisse für die Gotteslehre geworden. Ihre Verarbeitung und Verwertung danken wir Alois Dcmpf. Der reiche, Ertrag (die für die Gotteslehre entscheidenden Ergebnisse stehen in seinen Büchern: Kierkegaards Folgen, Christliche Philosophie, Religionsphilosophie) seiner Arbeit erschließt ebenso wie Wenzls Er gebnisse neue Wege zu den Wahrheiten der christlichen Gotteslehre.

Von den führenden Physikern unserer Zeit schreibt ein so sachkundiger Gelehrter wie Bernhard Bavindk: „Die moderne Physik gibt dem sich in sie Vertiefenden einen ganz unmittelbaren, in keiner Weise erzwungenen oder erkünstelten und darum um so grandioseren Eindruck von der Größe und Herrlichkeit Gottes in der Schöpfung. Dieser Eindruck spricht ganz spontan aus den Werken allererster Physiker, wie Planck, Einstein, Sommerfeld, Edding- ton und Jeans.“ Auf deren Zeugnis im einzelnen einzugehen, würde eine eigene Studie erfordern.

Was Bavinck von den großen Physikern unserer Zeit ausspricht, gilt auch von deren großen Biologen, wie Jakob v. Üxküll, Max Hartmann, Edgard Daquč und Richard Woltereck. Woltereck sagte noch kurze Zeit vor seinem Tode: „Den Schöpfer kann heute nur mehr ein Ignorant leugnen.“

Uber all den erfreulichen Anzeichen einet anbrechender Blütezeit echter Metaphysik darf der stillen, rastlosen Arbeit der neuscholastischen Philosophen an der Gotteslehre nicht vergessen werden, einer Arbeit, die vielfach die Voraussetzung der angedeuteten Entwicklung gewesen ist. Zusammenfassende Darstellungen der Ergebnisse christlichen Denkens über die Gotteslehre haben uns in den letzten Jahrzehnten Garrigou - Lagrange, Franz Sawicki und Bernhard Rosenmöller gegeben.

Die christliche Philosophie weiß, daß ihr auch auf dem Gebiet der Gotteslehre eine unendliche Aufgabe gestellt ist, daß auch hier jede neuerreichte Stufe des Erkennen wieder Ausblick auf Neuland, auf neue Fragen gibt. Aber sie weiß um den Sinn ihrer Aufgabe in der Gewißheit des Wories: „Im Anfang war der Logos“.

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