Die Kirche der Atheisten

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Während sich "neue" Atheisten gegen die Religion(en) positionieren, wollen andere gar "Kirche" sein. Allgemein geht es darum, wieviel (Zivil-)Religion die Gesellschaft braucht. Und wieviel sie verträgt.

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Während sich "neue" Atheisten gegen die Religion(en) positionieren, wollen andere gar "Kirche" sein. Allgemein geht es darum, wieviel (Zivil-)Religion die Gesellschaft braucht. Und wieviel sie verträgt.

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Der "neue Atheismus", von dem man seit einiger Zeit spricht, ist eine Reaktion auf den 11. September 2001. An dem Tag, als islamistische Attentäter zwei voll besetzte Flugzeuge in die Zwillingstürme des World Trade Center in New York rammten und damit der westlichen Welt den Kampf ansagten, zeigte die Wiederkehr der Religion ihre hässliche Seite. Bei oberflächlicher Betrachtung ließ sich der Eindruck gewinnen, als sollte Samuel Huntington mit seiner Warnung vor einem Zusammenprall der Kulturen recht behalten, die nach seiner Auffassung in starkem Maße religiös imprägniert sind. Der Clash of civilizations, so seine Behauptung, laufe auf einen Kampf der Religionen hinaus.

Re-Theologisierung der Politik

Nun sind die Thesen Huntingtons mit guten Gründen als unterkomplex kritisiert worden. Nicht bestreiten lässt sich aber ein Wiedererstarken von Religion und Religionen im öffentlichen Raum, das nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und dem Niedergang des Marxismus-Leninismus eingetreten ist. Befreiungsbewegungen, auch in der arabischen Welt, die sich in den Jahrzehnten nach 1945 eine marxistische Ideologie zugelegt haben, haben nach 1989 dramatisch an Bedeutung verloren. Dafür treten nun Religionen wie der Islam als neue politische Ideologie auf. Die Re-Theologisierung der Politik hat aber auch in der vom Christentum geprägten westlichen Welt stattgefunden. Man denke vor allem an die religiöse Rechte in den USA, deren Gedankenwelt sich aus einem evangelikalen Fundamentalismus speist. Und auch in Israel haben religiöse Kräfte, ultraorthodoxe Gruppierungen, starken Einfluss auf die Politik gewonnen, etwa unter den Siedlern im Westjordanland. Während der klassische moderne Zionismus, der bei der Staatengründung Israels eine treibende Kraft war, eine säkulare politische Bewegung war, gibt es heute einen religiös motivierten Zionismus mit messianischen Zügen.

Auf diese Entwicklung reagiert der "neue Atheismus". Die Bezeichnung tauchte wohl 2006 zum ersten Mal in einem Artikel von Gary Wolf auf, der sie auf Richard Dawkins, Sam Harris und Daniel Dennett als Oberhäupter einer neuen "Kirche der Nichtgläubigen" (church of non-believers) münzte. Zu den Genannten wird heute auch noch Christopher Hitchens gezählt. Man hat ihnen auch den Beinamen "the four horsemen" beigelegt - der auf die vier apokalyptischen Reiter in der Johannesoffenbarung anspielt. Interessanterweise sind es nicht nur die Gegner der neue Atheisten, die ihr Auftreten in apokalyptisch aufgeladenem Ton kommentieren, sondern diese selbst können ihren Kampf gegen alle Religion mit geradezu religiöser Inbrunst vorantreiben. So bedient sich beispielsweise Sam Harris in seiner Streitschrift "Das Ende des Glaubens" (2004) immer wieder militärischer und apokalyptischer Bilder: Das Licht der Vernunft streitet, wie es im Untertitel dieses Buches heißt, gegen die Finsternis von Religion und Terror. Dabei grenzt man sich vom Staatsatheismus in den ehemals kommunistischen Ländern ab.

Interessanterweise gibt es unter den neuen Atheisten Bestrebungen, sich selbst wie eine Religionsgemeinschaft zu organisieren. So ist die Bewegung der "Brights" entstanden, ein internationaler Zusammenschluss von Personen, die im Sinne des neuen Atheismus ein naturalistisches Weltbild vertreten. Die Selbstbezeichnung "Brights" - "helle Köpfe" wurde 2003 auf einer Konferenz der "Atheist Alliance International" zur Diskussion gestellt.

Wolfs Essay "Die Kirche der Atheisten" spielt eben darauf an, dass sich der neue Atheismus selbst religionsförmig organisiert und wie eine Art von Religionsgemeinschaft auftritt. Der Autor rechnet sich selbst zu den "laxen Agnostikern", den ungebundenen Nichtglaubenden oder auch den vagen Deisten. Die Heilige Stadt der neuen Kirche der Atheisten, ihr neues Jerusalem, sei Oxford, wo der Biologe Richard Dawkins an der Universität bis 2008 einen Lehrstuhl innehatte. In Deutschland spielt die Giordano-Bruno-Stiftung bei der Verbreitung atheistischen und naturalistischen Gedankengutes eine führende Rolle.

Atheistischer Aktivismus

In Österreich haben sich einige Aktivisten zur "Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich" zusammengeschlossen, die um Mitglieder wirbt und den Status einer gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft anstrebt. Auch wenn es paradox klingen mag, nimmt die Vereinigung laut ihren Statuten für sich explizit in Anspruch, eine religiöse Bekenntnisgemeinschaft zu sein. Atheismus als religiöse Bekenntnis: auf diese Weise will man gegen die Privilegien der stattlich anerkannten Religionsgemeinschaften zu Felde ziehen. Statt jedoch, wie es bei anderen Initiativen der Fall ist, die Abschaffung gesetzlicher Privilegien für Kirchen und andere Religionsgemeinschaften zu fordern, geht man nun den umgekehrten Weg, um auf diese Weise den Atheismus religionsförmig aufzuwerten.

Was die neuen Atheisten vom Schlage der vier "horseman" von den alten Atheisten unterscheidet, ist, wie Wolf richtig herausstellt, dass sie nicht nur den Glauben an Gott für falsch und schädlich halten, sondern auch jeden Respekt für Religion und Gottesglauben ablehnen.

Ihre Schriften und Kampagnen nehmen daher ganz bewusst keine Rücksicht auf religiöse Gefühle und setzen ihre Verletzung als gezieltes Mittel des Kampfes um Aufmerksamkeit ein.

Allerdings gibt es auch Atheisten, die sich als spirituell bezeichnen. In England treffen sich manche von ihnen sonntags zur "Sunday Assembly". Seit einem Jahr gibt es solche Gottesdienste für Ungläubige auch in Hamburg und Berlin.

Mit seiner Parole "Kein Respekt für Religion" stellt der kämpferische Flügel des neuen Atheismus freilich in letzter Konsequenz das elementare Menschenrecht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit in Frage. Dieses bedeutet keineswegs, dass im weltanschaulich neutralen Staat alle religiösen oder religiös begründeten Aktivitäten zu akzeptieren sind. Die Aufforderung zum Mord, beispielsweise, verstößt gegen das geltende Strafrecht, gleich ob sie sich auf kriminelle, politische oder religiöse Motive stützt.

Religion(en) und Pluralismus

Die Religionsgemeinschaften müssen ihrerseits die verfassungsrechtlichen Grundlagen achten, auf deren Basis die Religionsfreiheit geschützt wird. Andernfalls drohen religiöse Geltungsansprüche in Unterdrückung und Gewalt umzuschlagen. Von den Religionsgemeinschaften ist daher zu verlangen, dass sie sich ihrerseits als pluralismusfähig erweisen. Dazu gehört ganz wesentlich die Anerkennung der Religionsfreiheit sowie des weltanschaulich neutralen Rechtsstaats durch die Religionen selbst.

Die Debatte um Religion im öffentlichen Raum und die Auseinandersetzung mit dem neuen Atheismus kreisen nicht nur um die Frage, ob und wie viel (Zivil-)Religion der moderne demokratische und weltanschaulich plurale Rechtsstaat für seinen Fortbestand braucht, weil sie eine wichtige Sinnressource seiner Mitglieder ist, sondern genauso um die Frage, wieviel Religion die moderne Gesellschaft und der säkulare Staat vertragen. Der neue Atheismus ist in dieser Hinsicht jedoch unterkomplex und in seinen Konsequenzen freiheitsgefährend.

Der Autor leitet das Inst. f. Systematische Theologie an der Evang.-Theol. Fakultät der Uni Wien

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