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Der Weg zur religiösen Freiheit

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Lange Zeit tat sich die katholische Kirche ebenso schwer mit der Toleranz gegenüber anderen Religionen wie die heutige FPO. Aber hinter das Konzil, das sich zur religiösen Freiheit bekannte, kann die Kirche nicht mehr zurück.

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Lange Zeit tat sich die katholische Kirche ebenso schwer mit der Toleranz gegenüber anderen Religionen wie die heutige FPO. Aber hinter das Konzil, das sich zur religiösen Freiheit bekannte, kann die Kirche nicht mehr zurück.

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Ewald Stadlers Propagierung eines „wehrhaften Christentums" und die freiheitliche Aufforderung an die Kirche, dem Vordringen des Islams durch verstärkte Evangelisierung entgegenzutreten, ist vielen suspekt. Sie vermuten dahinter religiös verbrämte Ausländerfeindlichkeit und eine Instrumentalisierung des Christentums für perfide Ausgrenzungsstrategien. Als Gegenargument wird häufig das christliche Toleranzangebot gegenüber anderen Religionen angeführt: Das ist gut und richtig so. Die katholische Kirche aber hat sich lange Zeit nicht leicht getan mit der Toleranz gegenüber Andersgläubigen, und rechtskonservative 1 raditionalistenkreise lehnen sie bis heute ab. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) anerkannte die Religionsfreiheit jedoch ausdrücklich als Menschenrecht - ein Verdienst, das in besonderer Weise dem vor 30 Jahren verstorbenen US-amerikanischen Jesuiten John Courtney Murray (1904-1967) zuzuschreiben ist.

Päpstliche Erklärungen des 19. Jahrhunderts waren von einem tiefen Mißtrauen gegenüber Demokratie und weltanschaulichem Pluralismus geprägt. Im Syllabus von 1864, einem Verzeichnis von achtzig Zeitirrtümern, widersprach Papst Pius IX. energisch der Auffassung, daß es nicht länger möglich sei, die katholische Religion als einzige Religion des Staates unter Ausschluß aller anderen anzuerkennen. Leo XIII. verkündete in der Enzyklika Libertas praestantissi-mum von 1888: „Ein gottloser Staat oder, was schließlich auf Gottesleug-nung hinausläuft, ein Staat, der... gegen alle Religionen gleichmäßig wohlwollend gesinnt ist und allen ohne Unterschied die gleichen Rechte zuerkennt, versündigt sich gegen die Gerechtigkeit wie gegen die gesunde Vernunft."

Zur näheren Erläuterung dieser päpstlichen Aussagen wurde in der Theologie das Begriffspaar These -Hypothese verwendet. Die These geht von einem Idealzustand aus, in dem die überwiegende Mehrheit eines Staates katholisch ist und der katholische Glaube als Staatsreligion anerkannt wird. Die staatlichen Gesetze entsprechen völlig der Morallehre der Kirche, und jede andere Religion wird unterdrückt: „Außerhalb

der Kirche kein Recht" - so läßt sich dieser Standpunkt prägnant zusammenfassen. Die Hypothese dagegen räumt ein, daß die Kirche aufgrund des widrigen Umstandes, daß Katholiken manchmal nur eine Minderheit in der Bevölkerung darstellen, zeitweise unter anderen Regelungen zu leben hat. In einer solchen Situation wird sie die für ihre eigene Entwicklung notwendige Freiheit fordern und die irrenden Religionen tolerieren und dulden. Im Grunde aber sei dieser Zustand unhaltbar und müsse geändert werden, sobald die Kirche dazu die Macht habe. Die Regel lautet also: „Intoleranz, wo immer möglich; Toleranz, wo immer nötig."

Die Lehre, daß Religionsfreiheit ein Produkt relativistischen Denkens sei und Irrtum kein Recht auf öffentliches Dasein habe, wurde beispielsweise von Kardinal Alfredo Ottaviani, dem,Präfekten der „obersten heiligen Kongregation des heiligen Offiziums" (heute: Kongregation für die Glaubenslehre), bis in die Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils vehement verteidigt. Wo dagegen der katholische Bevölkerungsanteil in der Minderheit ist, habe der Staat ihn als gleichberechtigt mit den Angehörigen anderer Religionen zu behandeln. Ottaviani war davon überzeugt, daß es in dieser Frage berechtigterweise unterschiedliche Normen gebe: eine für die Wahrheit, also die katholische Kirche, eine für den Irrtum, also die übrigen Konfessionen und Religionen. Ottavianis qualifiziertester Widersacher war der US-amerikanische Jesuit John Courtney Murray: Er, der sich seit Ende des Zweiten Weltkrieges intensiv mit dem Verhältnis von Staat und Kirche und mit dem Problem der religiösen Freiheit beschäftigt hatte, sprach sich öffentlich gegen die von Ottaviani vertretene, anachronistisch gewordene Zweitei-

lung in ideale These und zu tolerierende Hypothese aus. Seine Gegenposition lautete: „Im Rahmen der neuen, heutigen Perspektiven reklamiert die Kirche an sich und grundsätzlich keinen privilegierten rechtlichen Status für sich. Die Kirche verlangt grundsätzlich und in allen Situationen religiöse Freiheit für sich und religiöse Freiheit für alle Menschen."

Auf Anweisung Roms wurde Murray im Jahre 1955 durch seine Ordens-pberen ein Schreibverbot erteilt. Doch die innerkirchliche Durchsetzung seiner Ideen war dadurch nicht aufzuhalten; die kirchliche Lehre erwies sich - um Murrays eigene Worte zu gebrauchen - als „eine Tradition, die in ein umfassenderes Verständnis der Wahrheit hineinwächst". Von der ersten Session des Konzils war er zwar

noch ausgeschlossen, 1964 aber wurde er zum Peritus (Experten) ernannt und war dann an der Ausarbeitung der Konzilserklärung zur Religionsfreiheit führend beteiligt. „Niemand kann leugnen", stellt der amerikanische Moraltheologe Charles Curran fest, „daß Murray auf die Erklärung den größten Einfluß hatte und daß das Dokument des Konzils die Rechtfertigung und den endgültigen Sieg von Murrays Arbeit und Ansichten bedeutet"

Das Zweite Vatikanum anerkannte in der Erklärung Dignitatis hum-anae vom 7. Dezember 1965 die Glaubens- und Gewissensfreiheit als Menschenrecht. „Das Vatikanische Konzil erklärt", heißt es in dem Dokument, „daß die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, daß alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von Seiten einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlicher Gewalt, so daß in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat oder öffentlich, als einzelner oder in Verbindung mit anderen innerhalb der gebührenden Grenzen nach seinem Gewissen zu handeln ... Dieses Recht der menschlichen Person auf religiöse Freiheit muß in der rechtlichen Ordnung der Gesellschaft so anerkannt werden, daß es zum bürgerlichen Recht wird."

Hinter dieses Bekenntnis des Konzils zur religiösen Freiheit darf die katholische Kirche nicht zurückgehen. Sie ist verpflichtet, religiöser Intoleranz - von wem immer sie auch ausgehen mag entschieden entgegenzutreten.

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