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Das Recht, atmen zu durfen

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Unter dem Titel „Wenig Anzeichen einer religiösen Freiheit bei den Sowjets“ veröffentlichte die Londoner Tageszeitung „The Times“ am 18. Jänner einen Artikel des Wiener Erzbischofs, Kardinal König, in dem sich dieser mit der gegenwärtigen Situation in den kommunistisch beherrschten Ländern befaßt. Wir wollen die Ausführungen unseres Oberhirten den Lesern der „Furche“ nicht vorenthalten und geben den deutschen Text dieses Artikels im Wortlaut wieder.

Die Konzilsdebatte über die religiöse Freiheit hat eine für viele überraschend große Aufgeschlossenheit der Kirche gezeigt. Die Konzilsväter haben mit großer Bestimmtheit dargelegt, daß die Kirche grundsätzlich jede religiöse Überzeugung achte. Sie sind dafür eingetreten, daß niemand in der freien Entscheidung seines Gewissens, aber auch nicht in der Ausübung seiner religiösen Uberzeugung gehindert werden darf. Die Gewissensfreiheit schließt nicht nur die Freiheit der religiösen Überzeugung, sondern jeder echten Überzeugung, auch einer areligiösen, mit ein.

Die Frage der Religionsfreiheit ist für die katholische Kirche keine Frage der Opportunität, keine Frage des Arrangements mit den Mächten und Anschauungen der Zeit, keine Moral mit zwei Gesichtern. Wenn es den Anschein hat. als ob die Kirche in der Vergangenheit nicht immer diese Haltung eingenommen habe, so erklärt sich dies daraus, daß noch im vergangenen Jahrhundert mit dem Schlagwort der Religionsfreiheit Kirche und Religion bekämpft wurden. Die Religionsfreiheit ist auch keine Angelegenheit bloß des guten Willens oder der Gleichgültigkeit, sie berührt gerade für den gläubigen Menschen Grundfragen, die in ihren theologischen Voraussetzungen, aber auch in ihren Folgen bedacht werden müssen. 1

Eine Religion, die sich im Besitz ewig gültiger Wahrheiten weiß, wird dazu anders Stellung nehmen als Menschen oder geistige Strömungen, für die auch letzte Wahrheiten relativ sind. Daß sich dieses Konzil in seiner überwältigenden Mehrheit zur Religionsfreiheit bekannte, mag für jene eine Überraschung sein, die in der Kirche noch immer eine totalitäre Geistesmacht sehen. Gewiß, die Kirche hat in ihrer Geschichte den 10 unchristlichen Gedanken des „cuius regio eius religio“ nicht nur gelegentlich geduldet, sie hat ihn auch selbst angewandt. Immer aber war es katholische Lehre, wenn auch nicht immer kirchliche Praxis, daß das ehrlich prüfende und wägende Gewissen des Einzelmenschen letzte Instanz auch in Fragen des Glaubens ist.

Eine Bekehrung zum katholischen Glauben hat nach offizieller katholischer Lehre vor Gott und der Kirche nur dann Gültigkeit, wenn sie in völliger Freiheit erfolgt. Die Religionsfreiheit, so wie sie die Kirche versteht, ist nicht jene Toleranz aus Indifferentismus, jener Relativismus, der aus Zweifel entspringt, jemals zur ganzen Wahrheit zu gelangen, wie sie in der berühmten Ringparabel in Leasings „Nathan der Weise“ in klassischer Form definiert wurde. Die Gewissensfreiheit, so wie die Kirche sie versteht, entspringt der Achtung vor der menschlichen Würde, deren wesentlicher Bestandteil die freie Gewissensentscheidung des Menschen ist, letztlich aber entspringt sie der Überzeugung, daß die Wahrheit immer stärker sein wird als alle Versuche, sie zu manipulieren, daß die Wahrheit stärker sein wird als der Irrtum und der Zwang. „Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh. 8/32).

Gibt uns die Überzeugung von der sieghaften Kraft der Wahrheit auch die Hoffnung, daß sie sich überall durchsetzen wird, auch in den Staaten mit kommunistischer Doktrin? Können wir in diesen Ländern eine Entwicklung erwarten, die zu einer echten Gewissens- und Religionsfreiheit führt? Was der Kommunismus heute unter Religionsfreiheit versteht, ist keine wahre Religionsfreiheit, sondern höchstens eine eingeschränkte Art Kultfreiheit. Wir sollten uns hüten, das eine für das andere zu nehmen. Nach objektiven Tatsachen gemessen, ist es in der Frage der Religionsfreiheit in den letzten Jahren im kommunistischen Machtbereich nicht besser, sondern leider oft noch schlechter geworden. Besonders in der Sowjetunion ist die Lebens- und Wirkungsmöglichkeit der Religion heute weiter ein-geschränfct denn je.

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