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Kirche am Scheideweg

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Wenn nicht alles täuscht, steht die Kirche gegenwärtig an einem Scheideweg. Es werden Weichen gestellt, die das kirchliche Leben langfristig bestimmen dürften. Die in der Kirche Verantwortlichen, vorab der Papst und die Bischöfe, bemühen sich um „Sammlung", um eine Konzentration der Kräfte nach Jahren diffuser Ausuferungen, um ein neues, gefestigteres, allein im Glauben wurzelndes kirchliches Selbstbewußtsein nach einer längeren Periode erkennbarer Identitätsschwäche ...

Das Ziel ist klar: Die Kirche will letztlich inmitten einer geistig sehr heterogenen Welt unterschiedlichster Uberzeugungen und Lebensformen ihre missionarische Kraft zurückgewinnen. Das setzt eine Verdeutlichung des Glaubensprofils voraus oder, wie es Joseph Kardinal

Ratzinger zu Silvester im Blick auf Johannes Paul II. formulierte, eine „Entmischung von Wahrheit und Unwahrheit".

Ein entschiedener Glaube duldet, keine Halbheiten. Gefordert wird Eindeutigkeit in Bekenntnis und Zeugnis. Jeder soll an der Kirche, an ihrer Leitung, an ihrer Theologie, an ihrer Verkündigung und an ihren Gesetzen ablesen können, was für ein Christenleben als Bekenntnis und Lebensführung verbindlich ist. Jedermann soll wissen, was er von der Kirche zu halten hat, was nach katholischem Verständnis christlicher Glaube ist und was nicht.

Mit solcher Festigkeit glaubt man das Ziel zu erreichen. Aber unterliegt die Kirche dabei nicht einer grundlegenden Täuschung? Ginge man nur von gewissen Elementen der aktuellen kirchlich-profanen Stimmungsbilder aus, dann gewiß nicht. Viele Katholiken sind der Auseinandersetzungen der späten sechziger und frühen siebziger Jahre längst müde. Einiges an Unruhe konnte durch Synoden oder ähnliche Meinungsbildungsprozesse kanalisiert werden.

Die wirklich Unzufriedenen haben sich aus der öffentlichen Auseinandersetzung in die private Religiosität zurückgezogen. Andere sind in religiöse Subkulturen abgewandert oder haben sich auf eine Haltung festgelegt, nach der sie eine Erneuerung der Kirche im Sinne der ursprünglich mit dem Konzil verknüpften Hoffnungen nicht mehr erwarten, oder sind aus dem kirchlichen Leben längst ausgewandert.

Nicht wenige sind unsicher geworden über das, was nach dem Konzil an Reformeifer an die Oberfläche gekommen ist, und suchen Halt in einer festen religiösen Tradition. Sie erwarten von der Kirche ohnehin in erster Linie nicht neue Aufbrüche, sondern Festschreibung von Stimmungen und Haltungen, die in ihr eigenes Lebens- und Gesellschaftsbild passen und dieses stützen.

Fast parallele Erwartungen kommen von außen auf die Kirche zu. Sie soll ihren Part spielen, auch als gesellschaftlich-moralische Ordnungsinstanz inmitten der Umwandlung oder Auflösung von Wertordnungen. Gerade viele von denen, die die Kirche nur von außen betrachten, sehen in ihr in erster Linie einen Ordnungsfaktor, der als solcher „leider" an Einfluß verloren hat. Sie wünschen der Kirche in diesem Sinne mehr Einfluß zurück, auch wenn sie selbst in Distanz zu ihr bleiben...

Auch eine religiöse Grundstimmung, die weit über die Kirche hinausreicht, kommt dem Verlangen nach innerer Festigung entgegen. Nachdem der Wissenschaftsglaube, die Hoffnung in die mehr oder weniger problemlose menschliche Gestaltbarkeit der Technik, das Vertrauen in stets wirtschaftliches Wachstum Risse bekommen haben, werden religiöse Fragen von neuem virulent, brechen zumindest religiöse Stimmungen wieder durch, wird nachdrücklicher wieder gefragt, ob denn der Mensch nicht eines ganz anderen Haltes bedarf, als ihm staatlich gewährte Sicherheit, berufliche Leistung und Konsum zu bieten vermögen.

In solchen Situationen hat auch die Kirche erhöhte Chancen, wieder gehört zu werden, wenn sie das rechte Wort findet. Der gegenwärtige Papst ist in diesem Sinne ein Meister des

Wortes. Wie kein anderer hat er in den letzten Monaten die Kirche ermutigt und die Gläubigen in die Offensive geführt. Mehr als alle anderen hat er durch seine geistige Eroberungsstrategie und die Zustimmung, die er durch seine Rundschreiben und seine Reisen ausgelöst hat, das Selbstbewußtsein der Kirche gestärkt ...

Niemand wird überdies bestreiten, daß es in bezug auf die letzten 10 bis 15 Jahre in den verschiedenen Teilen der Welt kirchlich einiges zu korrigieren gibt, daß die Loyalität nach innen und die Uberzeugungskraft nach außen gelitten haben, daß in der Verkündigung nicht alles gesagt wurde, was die Kirche an christlicher Deutlichkeit Gläubigen und Ungläubigen schuldig ist, daß da und dort die eschatologische Botschaft des Christentums mit recht irdischen Hoffnungen verwechselt wurde, daß gelegentlich auch christliches Freiheitspathos zu sehr mit irgendwelchen Emanzipationsgedanken durcheinandergebracht wurde.

Verständlich ist also unter den gegebenen Umständen eine solche Strategie. Aber welche Mittel werden dafür eingesetzt? Ist die Kirche nicht gerade durch die gezielt eingesetzte neue Festigkeit in Gefahr, am Mensehen vorbeizudenken und vorbei-zuhandeln?

Kein geringerer als der Erzbischof von Westminster, Basil Kardinal Hume, hat erst Anfang Jänner in einem „Times"-Artikel geschrieben, Konflikte in der Kirche seien besser als Gleichgültigkeit, auch im Verhältnis von Theologie und Lehramt. Verraten Klärungsversuche, wie sie jetzt durchgeführt werden, ganz im Gegensatz zu dem, was der Papst der Kirche an Ermutigung zuspricht, nicht vielfach Konfliktscheuheit?

So manches wird kirchenamtlich beanstandet und verurteilt, was in der Gesamtkirche noch lange nicht ausreichend durchdiskutiert ist. Nicht immer wird so viel Geduld geübt wie im Fall Küng. Oft wird auch bei Fragen und Fällen von minderer Bedeutung sehr autoritativ durchgegriffen, selbst wenn es nicht eindeutig um Wahrheit oder Unwahrheit, um Erhellung oder Verdunkelung des Glaubens geht

Vieles aber würde sich mit den Methoden einer redlich suchenden Theologie ohnehin von selbst klären. Und anderes, was sich nach langer Auseinandersetzung als wirklich unvereinbar mit dem Glauben herausstellt, kann dann um so überzeugender und bei weniger Unverständnis der Gläubigen zurechtgerückt werden ...

Warum müssen überhaupt so viele Beanstandungen zentral aufgegriffen werden, wo vieles ohnehin nur von regionaler Reichweite ist? Müssen selbst bischöfliche Dokumente bis in unwichtige Details zentral entschärft werden?

Oder ein anderes Beispiel: Geht es an, daß alle Laisierungsverfahren von Geistlichen zentral, für längere Zeit oder überhaupt für die ganze Welt (für wie lange?) ausgesetzt werden? Man mag in den vergangenen Jahren lax mit Laisierungsgesuchen umgegangen sein. Man kann das Verfahren so verbessern, daß es dem Ernst des geistlichen Berufes und der damit eingegangenen Verpflichtungen gerecht wird ...

Warum sagt man zwar vorsichtig, das römische Lehrbeanstandungs-verfahren sei „verbesserungsfähig", verbessert es aber trotz aller nun schon wieder fast jahrzentealter Einwände nicht? Was ginge denn der Kirche an innerer Sicherheit und Festigkeit verloren, wenn sie in solchen Verfahren Akteneinsicht zuließe, die Mitwirkenden dem Betroffenen und der Öffentlichkeit bekanntgäbe und im Verfahren selbst dem Betroffenen einen frei gewählten Anwalt gewährte, der ihm Argumentationshilfe gibt?...

Es geht dabei in dem allem gar nicht einmal so sehr um ein Mehr oder Weniger an Freiheit im innerkirchlichen Raum. Es geht in allererster Linie um Glaubwürdigkeit. Eine Kirche, die nicht einmal in ihren Verfahrensweisen glaubwürdig wirkt, verspielt damit auch religiösen Kredit und verdirbt das menschliche Miteinander in der Kirche ...

Das neue Bemühen um Festigkeit findet auch seinen Niederschlag in strikteren Anforderungen an die persönliche Lebensführung derjenigen, die im kirchlichen Dienst stehen. Das kann aus Gründen größerer Glaubwürdigkeit gefordert sein, und niemand, der mit der Kirche denkt, wird hierin widersprechen wollen, auch wenn dabei für den einzelnen beträchtlich viele Probleme entstehen.

Aber es gibt auch wieder den Zug zur Vereinfachung und Gleichmachung vor allem von Tatbeständen und Prinzipien, die mit der Sozial-, Sexual- und Familienmoral zu tun haben. Da wird des Marxismus verdächtigt, was kein Marxismus ist. Da wird das Verbot „künstlicher" Empfängnisverhütungsmittel auf die gleiche Stufe gestellt wie die Unauflöslichkeit der Ehe oder das Verbot der Abtreibung, während doch jedes dieser Probleme eine je spezifische und sehr differenzierte Antwort verlangt. Verdirbt hier die „Festigkeit" im einen nicht die Glaubwürdigkeit im anderen? ...

Es ist z. B. zu wenig, wenn die Unauflöslichkeit der Ehe nur prinzipienhaft gepredigt wird und die steigende Zahl von gescheiterten Ehen als allgemeiner Sittenverfall dargestellt wird. Es hat sich auch etwas gewandelt in den gesellschaftlichen Beziehungsverhältnissen in Ehe und Familie. Das hat mit dem objektiven Waridel der Lebensverhältnisse, aber nicht schon von sich aus mit sittlichem Zerfall zu tun.

Die heutige Partnerschaftsehe erlaubt, die persönlichen Beziehungen auch persönlicher zu leben, aber die Partner sind darin auch stärker gefordert, auch sehr viel mehr aufeinander angewiesen, als dies einmal in der sozial pluriformeren Großfamilie der Fall war. Daß auf Grund der höheren Anforderungen aneinander auch mehr Ehen scheitern, dürfte einsichtig sein. Mit der bloßen Verkündigung in sich richtiger, aber vorwiegend kontextfreier, abstrakter Prinzipien werden Menschen in solchen Konflikten nicht mehr erreicht ...

Es geht für die Kirche nicht darum, irgend jemandes Heimat zu sein, weder der Fragenden und Suchenden noch der im Glauben Selbstgewissen. Ihr Auftrag ist der Mensch in seiner konkreten Heils- und Unheilssituation. Ohne diese Zuwendung an alle würde die Kirche auch in der im-ponierendsten Geschlossenheit ihre Sendung verfehlen.

- Der Verfasser ist Chefredakteur der „Herder-Korrespondenz", deren Heft 211980 dieser Aufsatz auszugsweise entnommen ist.

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