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Kommt die Flut, die alles zerstort?

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Die religiöse Situation in den Niederlanden zeigt seit dem II. Vatikanischen Konzil vielfach eine Entwicklung zum Progressismus. Einige Priester und Laien verwendeten den Begriff des „aggiornamento“, wie dieser vom Vatikan II ausgelegt wurde, dazu, um Meinungen durchzudrücken, die mit den traditionellen Lehren der Kirche über Glauben und Moral brachen, und stellten dies als die einzig korrekten Ansichten hin. Sie hatten damit ungeteilten Erfolg, da es ihnen möglich war, alle Nach-richtenmedien, wie Presse, Radio und Fernsehen in die Hände zu bekommen. Die Situation der Kirche in den Niederlanden ist sehr ernst.

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Die religiöse Situation in den Niederlanden zeigt seit dem II. Vatikanischen Konzil vielfach eine Entwicklung zum Progressismus. Einige Priester und Laien verwendeten den Begriff des „aggiornamento“, wie dieser vom Vatikan II ausgelegt wurde, dazu, um Meinungen durchzudrücken, die mit den traditionellen Lehren der Kirche über Glauben und Moral brachen, und stellten dies als die einzig korrekten Ansichten hin. Sie hatten damit ungeteilten Erfolg, da es ihnen möglich war, alle Nach-richtenmedien, wie Presse, Radio und Fernsehen in die Hände zu bekommen. Die Situation der Kirche in den Niederlanden ist sehr ernst.

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Die progressiven Tendenzen traten in allen Bereichen des religiösen katholischen Lebens in Erscheinung: in den Beziehungen zu Rom, in der Lehrmeinung und den theologischen Standpunkten, in der sittlichen Lebensführung, in der religiösen Ausübung und der Liturgie, im kirchlichen Leben, in dem Streben nach Säkularisierung und in der ökumenischen Betätigung. Unter den Fortschnittlem besteht eine starke Tendenz, die Bindung an Rom zu lockern. Rom wird als das Bollwerk eines von überlebten Anschauungen beherrschten Konservatismus angesehen, den man aufbrechen müsse. Einige Katholiken gelien sogar so weit, daß sie die Gründung einer eigenen nationalen Kirche erwägen, aber dies sind nur wenige; be allen jedoch ist ein Zug zur Unabhängigkeit von Rom vorhanden. Diese Haltung wird noch verschärft durch eine ständige negative Kritik an allem, was aus Rom kommt. Daß die römische Kirche vor der Notwendigkeit gewisser Neuerungen steht und von Italianismen und traditionellen, festgefahrenen Handlungsweisen, die mit der heutigen Zeit nicht mehr im Einklang stehen, befreit werden sollte, ist eine Tatsache, die niemand bestreiten wird, aber das rechtfertigt nicht eine Gesinnung, die nur die Fehler sieht. Mit „Rom“ ist vor allem die Kurie gemeint, die häufig in Opposition zum Papst gesehen wird, aber manchmal ist auch der Papst mit inbegriffen.

Diese Ablehnung Roms geht Hand in Hand mit der strikten Ablehnung der traditionellen Theologie, und damit werden nicht nur traditionelle theologische Standpunkte, sondern manchmal selbst Dogmen in Frage gestellt oder verneint. Wie weit man darin zu gehen gewillt ist, kommt scharf umrissen in drei Artikeln über die Person Christi im Magazin für Theologie 1966, Nummer 3, zum Ausdruck, die von drei prominenten fortschrittlichen Theologen verfaßt wurden. In diesen Artikeln werden Lehren verkündet, die mit dem Dogma von der Göttlichkeit Christi und der Dreifaltigkeit unvereinbar sind. Natürlich können wir diese Artikel hier nur besprechen; es möge genügen, wenn wir darauf hinweisen, daß in allen dreien die im Konzil von Cbaloedon ausdrücklich niedergelegten und später zum Fundament der gesamten Christologie gewordene Doktrin von der in der Person Christi vereinigten zwei Naturen, der göttlichen und menschlichen Natur, als nicht mehr in unsere Zeit passend beiseite geschoben wurde. Wenn das die Geisteshaltung der wichtigsten Repräsentanten moderner Theologie in den Niederlanden ist, überrascht es nicht, daß bei vielen Priestern, besonders den Jüngeren, die Überzeugung von dem Wahrheitsgehalt der Dogmen ernstlich erschüttert worden ist. Kennzeichnend dafür ist, daß bei einer Befragung über den Zölibat auch die Frage aufgeworfen wurde, ob man Schwierigkeiten in folgenden Punkten hätte, die Existenz eines persönlichen Gottes, die Göttlichkeit Christi, die persönliche Existenz nach dem Tode, die körperliche Jungfräulichkeit Märiens, die Wunder in den Evangelien, die Unfehlbarkeit des Papstes, die dogmatische Unterscheidung zwischen Priester und Laien, die göttliche Inspiration der Bibel, Sünde als Vergehen gegen Gott, die leibliche Auferstehung Christi, die wirkliche Gegenwart in Brot und Wein. Das Ergebnis der Befragung ist noch nicht veröffentlicht worden.

An dritter Stelle hat die progressive Tendenz die Auffassungen über das moralische Leben des Menschen völlig verändert. Das Naturrecht, an dessen Rechtsgültigkeit die Kirche immer festgehalten hat als dem Fundament christlicher Ethik und des auf ihr beruhenden Teiles der Moraltheologie, wird als Ausgangspunkt abgelehnt. Dabei wird übersehen, daß man zwischen den wesentlichen, der menschlichen Natur gemäßen, daher unveränderlich gültigen Geboten des Naturrechts unterscheiden müsse und jenen Vorschriften, die eine zweckmäßige Regelung unwe Lebensumstände bedeuten und daher Veränderungen unterliegen. So aber wurden alle ethischen Gebote zurückgewiesen und an ihre Stelle ein Relativismus gesetzt, auf Grund dessen ethische Gesichtspunkte einzig und allein danach aufgestellt werden, was infolge menschlicher Veranlagung und der Lebensumständen von der Gesellschaft verlangt wird. Dies müsse von jedem für sich selbst bestimmt werden: die persönliche Gewissensentscheidung müsse für jeden Richtschnur in dem Sinne sein, daß jeder selbst bestimmen kann, was für ihn richtig ist. Daß man seinem eigenen Gewissen folgen solle, ist natürlich wahr und wurde von der Kirche immer so gelehrt, nicht aber, daß man die Norm selbst bestimmen kann; man sollte sein Gewissen im Einklang mit den vorurteilslos festgelegten Gesetzen formen.

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