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Kirche und Demokratie

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An der Krakauer Universität, die in den nächsten Jahren, das heißt ein Jahr vor der Wiener Universität, ihr 600jähriges Jubiläum feiert, sah ich auf meiner Polenreise am Collegium maius die Inschrift: „Plus ratio quam vis“, das heißt: die Vernunft gilt mehr als die Gewalt. Diese Worte beinhalten keine Feststellung, sondern eher eine Mahnung, einen Imperativ: mehr Vernunft als Macht und Leidenschaft! Damit sollte sich auch die Lösung in den oft spannungsreichen Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche anbahnen. Wenn sich in unserem Vaterland der neue Versuch einer wohlwollenden Partnerschaft zwischen Staat und Kirche realisieren ließ, so gilt auch hier das Wort „plus ratio quam vis“. Damit soll nicht gesagt sein, daß beiden Partnern die Kraft und Stärke mangeln sollen, sondern, daß ihre Beziehungen nicht nach dem Grundsatz der Macht, sondern der Vernunft geregelt werden können. Die Abgrenzung der beiden Zuständigkeitsbereiche würde falsch verstanden werden, wenn man die Kirche nur für die seelischen, den Staat für die materiellen und rechtlichen Anliegen des Menschen festlegen wollte. Beide sind für den ganzen Menschen da. und der einzelne Christ gehört zu beiden Bereichen, zum Staat wie zur Kirche.

Das Konkordat — Ergebnis eines Dialoges

Es wird daher in Einzelfällen auch beim besten Willen im Verhältnis von Kirche und Staat Schwierigkeiten geben können. Sie bedürfen einer Regelung, die den Gegenstand der Konkordate bilden. Ein solches Konkordat soll, wie Pius XII. sich ausdrückte, das Ergebnis eines Dialoges zwischen Kirche und Staat sein. Wie sehr dabei die rechte Handhabung des Toleranzprinzips die Richtung weist, läßt ich am Beispiel der Vereinigten Staaten und zu einem guten Teil wohl auch bereits in Österreich erkennen.

Aufgabe der Kirche kann es niemals sein, eine weltliche Herrschaft anzustreben oder zu errichten. Die durch Christus gegebene Antwort auf die ihm von seinen Gegnern gestellte Fangfrage lautete mit Bezug auf den Staat: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. Daran hat sich später die Streitfrage geschlossen: Was ist des Kaisers, und was ist Gottes? Die fast zweitausendjährige Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat war ein Ringen um diese Antwort.

Sache des Staates, soviel steht fest, kann es niemals sein, sich das anzueignen, was Gottes ist, was nicht ihm, das heißt dem Staat gehört; er kann sich nicht über das göttliche Gebot hinwegsetzen. Aufgabe der Kirche hingegen ist es, den Staat immer wieder daran zu erinnern, daß er nicht absolut ist, daß seine Gewalt nicht grenzenlos, daß seine Existenz nicht auf bloß äußerer Macht beruhen kann. Das Wort des heiligen Augustinus, das sich Im vierten Kapitel des vierten Buches „De Civitate Dei“ findet, ist von bleibender Aktualität: „Wenn die Gerechtigkeit schwindet, was sind dann die Staaten anderes als große Räuberbanden.“ Wenn die Kirche den Staat daran erinnert, daß er seine Gesetze nicht aus dem Nichts schaffen kann und daß sein gesetztes, positives Recht einer vorgegebenen Rechtsnorm entsprechen muß, ja, daß es nur in einem solchen Maße Recht ist, als es nicht im Gegensatz zu einer ewigen, natürlichen Rechtsordnung steht — dann handelt die Kirche nicht aus Sorge um ihre Macht, sondern nur aus Sorge um den Menschen. Die Kirche ist nicht für sich selbst da, sondern für den Menschen ...

Auch die Kodifikation der allgemeinen Menschenrechte durch die Vereinten Nationen wären ohne katho-

lisches Naturrecht kaum möglich gewesen. Dieses Eintreten der Kirche für die Rechte des Menschen hat sie immer wieder in Konflikt gebracht mit totalitären Systemen. Eine Institution, die im an der rechten Ordnung orientierten Gewissen die letzte und entscheidende Instanz erkennt, die das wache und richtig formierte Gewissen über letzte Dinge entscheiden läßt, muß notwendigerweise in Widerspruch geraten zu allen jenen Systemen, die sich eine Herrschaft anmaßen über das Gewissen der Menschen. Wer dem Menschen das Gewissen nimmt, der kann alles mit ihm und aus ihm machen. Wenn das rechte Menschenbild zerstört wird, das Menschenbild, das die Züge seines Schöpfers trägt, der ihm unveräußerliche, unabdingbare, vor jedem und über jedem staatlichen Gesetz stehende Rechte verliehen hat — wenn dieses Menschenbild zerstört ist, dann ist der letzte Damm gegen den Einbruch der Barbarei gefallen. Dann ist der Mensch nicht mehr, als ein großes Insekt, das man millionenweise vertilgen kann.

Hort geistiger Freiheit

Die Erinnerung an eine schreckliche Vergangenheit ist noch nicht ausgelöscht. Damals war es für viele Menschen — auch für Nichtgläubige und für jene, die aus historischen Mißverständnissen und im Namen der geistigen Freiheit gegen die Kirche glaubten stehen zu müssen — damals war es für viele Menschen klar geworden, daß Religion und Kirche der letzte Hort der geistigen Freiheit sind. Denn auch die letzte Entscheidung, vor die sich der Mensch gestellt sieht, die Entscheidung für oder gegen Gott, die Entscheidung mit oder ohne Gott zu leben — sie hat für Gott und die Kirche selber nur dann einen inneren Wert, wenn sie in Freiheit gefällt werden kann.

Die nicht seltenen Konflikte und Kämpfe zwischen Staat und Kirche, wie sie uns die Geschichte des europäisch-abendländischen Raumes berichtet, haben einen Raum der inneren Freiheit geschaffen, der das geistige Klima Europas bestimmt. Dies hat niemand anderer als J a s p e r s besonders einsichtig gemacht. Dies gilt auch angesichts der Tatsache, daß uns in diesem geschichtlichen Ringen zwischen Staat und Kirche manches heute unverständlich vorkommt. Dort, wo diese

Spannungen nicht existieren, wo die Kirche den Herrschaftsanspruch des Staates nicht abwehren konnte und vom Staat überniachtet wurde — wir kennen den Cäsaropapismus des Ostens —, dort, ist auch die geistige Entwicklung, die Geschichte anders verlaufen.

Der Staat und die Heilsordnung

Damit darf ich mich einer, wie mir scheint, heute besonders wichtigen gesellschaftlichen Funktion der Kirche in unserem demokratischen Staat zuwenden: Es ist dies die integrierende Funktion der Kirche. Die katholische Kirche hat eine viel unbefangenere Vorstellung vom Staat, als manche Theoretiker meinen. Für sie ist der Staat weder ein notwendiges Übel noch eine Einrichtung, die von selbst absterben müsse.

Für die Kirche gehört der Staat zur Heilsordnung des Menschen. Der Staat kann seine Funktion in dieser Heilsordnung erfüllen, indem er ein intakter Staat ist. Intakt ist ein Staat aber nur dann, wenn seine integrierenden Kräfte stärker sind als seine desintegrierenden Tendenzen. Wir erleben heute eine Aufweichung und Zersetzung jener Ideologien, die einst den Staat getragen haben, ich meine die Idee des Machtstaates und die Idee des Nationalstaates. Nicht der Staat löst sich auf, sondern jene Ideologien

— Ideen, die in der Vergangenheit wesentlich' das Staatsbewußtsein getra-nungsgenossenschaften ab. Interessengenossenschaften vielfach die Gesinnungsgenossenschaften ab. Interessenvertretungen aber können kein Staatsbewußtsein schaffen. Sie können nicht integrierend wirken, weil sie innerhalb eines Staates nicht verbinden, sondern vielmehr Interessen gegen Interessen setzen. Interessenvertretungen tragen in sich die Gefahr, nur das eigene Interesse zu sehen und das gemeinsame Interesse des Ganzen vollständig außer acht zu lassen Da dies für die heutige Situation auch in unserem Vaterland gilt, verliert der Staat immer mehr seine integrierende Funktion.

Wir leben heute in einer sogenannten pluralistischen Gesellschaft. Der Staat einer pluralistischen Gesellschaft braucht ein einigendes Band, um be-bestehen zu können, weil sonst Ideologie gegen Ideologie, Anschauung gegen Anschauung, Interesse gegen Interesse einen solchen Gegensatz erzeugen, daß sie das Staatsganze sprengen.

Die Kirche und die Integration der Gesellschaft

Wir müssen daher heute die Frage stellen: Wer ist in der Lage, die Aufgabe der Integration der Gesellschaft zu erfüllen, wenn ,der Staat immer mehr seine zusammenhaltende, integrierende Funktion verliert? Gehört es nicht auch in Österreich — lassen Sie mich dies zur Diskussion stellen

— zur dienenden Aufgabe der Kirche, zu ihrer gesellschaftlichen Funktion, an der so notwendigen Integration der Gesellschaft mitzuhelfen? Es ist ohne Zweifel für die Kirche schwierig zu versuchen, jene Aufgabe zu erfüllen, die von den politischen und sozialen Ideologien, von den Gesinnungsgemeinschaften und Interessengenossenschaften heute auf weiten Gebieten nicht mehr erfüllt werden. Vielleicht ist die Kirche heute in Österreich eher in der Lage dies zu tun, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Sie ist keiner Ideologie und keiner Interessengemeinschaft verhaftet. Ihre Aufgabe ist es, nicht zu trennen, sondern zu vereinen.

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