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Gründlich bis zum Absurden

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Zum zweiten, so glauben wir, resultiert der deutsche Linkskatholizismus aus einer Protesthaltung, die aus der Geschichte des deutschen Katholizismus zu erklären ist. Die deutschen Katholiken standen dem Staat im letzten Jahrhundert distanziert, reserviert gegenüber, es war der Staat der protestantischen Obrigkeit. In der Bundesrepublik sind die Katholiken zum erstenmal voll integriert, ja sie haben weitgehend die Führung dieses Staates übernommen. Und da die Deutschen das, was sie tun, nicht halb tun, haben sich die Katholiken, hat sich auch die offizielle Kirche mit diesem Staat und der ihn tragenden Partei weitgehend identifiziert. Dieser Staat mit seiner Führungsspitze aber ist nicht jener Staat, den sich viele junge deutsche Katholiken 1945 erträumten. Weder in nationaler noch in politischer noch in gesellschaftlicher Beziehung. Ihre Reserve, die alte katholische Reserve gegen den Staat, wird zu einem Protest. Aber in diesem Protest stehen sie nun allein. Die Masse der Katholiken, ja die Kirche selbst, sehen sie mit diesem Staat identisch. Wenn sie dagegen protestieren, dann nicht nur gegen Kanzler-demokratie, gegen Adenauer, gegen Wiederaufrüstung, auch gegen die CDU und gegen die Bischöfe. Sie protestieren aber auch gegen jene, die in diesem Staat auch einmal mitregieren

Daher ihre ablehnende Haltung gegenüber der SPD. So wird aus einer historisch begreiflichen, tiefen Verwundung und Enttäuschung eine politische Utopie und eine religiöse Schwärmerei. Die deutschen Linkskatholiken sind in Gefahr, Sektierer zu werden.

Kirche und Staat

Wie halten es wir in Österreich damit? Sind wir hier alle so restlos zufrieden? O gewiß nicht! Aber so wie es in Österreich keine heimatlose Linke gibt, so gibt es auch keine staatsverlorenen Katholiken. Da ist einmal der große Unterschied: Die Deutschen haben 1945 ihren Staat verloren, die Österreicher haben 1945 ihren Staat wiedergewonnen. Ob uns im einzelnen alles gefällt oder nicht, er ist schließlich unser Haus, in dem wir uns so einrichteten, wie wir wollten und konnten. Die Kirche in Österreich hatte zum Staat immer ein anderes Verhältnis als die Kirche in Deutschland, ein viel engeres, manchmal vielleicht ein zu enges. Auch das ist historisch begründet. Seitdem in der Gegenreformation der Staat die Kirche wieder in ihre alten, weitgehend verlorengegangenen Positionen etablierte, hat sich eine für Österreich bezeichnende Symbiose zwischen Staat und Kirche ergeben. Für die Kirche war der Staat der mächtige Schutzherr, für den Staat die Kirche eine moralische Einrichtung zur Erziehung der Staatsbürger, die er durch ein staatliches Amt verwalten ließ. Und wenn es auch der Kirche gelang, sich langsam aus den allzu engen staatlichen Fesseln des Josephinismus zu befreien, •sarwar das doch immer ihr Staat, dem sie niemals distanziert und reserviert gegenüberstand. Die Kirche war eine treue Dienerin der Apostolischen Majestät, sie hat aber nicht gezögert, zwei Tage nach dem Sturz der Monarchie ihre Gläubigen zur Loyalität gegenüber der Republik aufzurufen. Sie hat in der Ersten Republik zu jener Partei gehalten, die für sie den Staat repräsentierte, sie hat den autoritärvaterländischen Kurs mitgemacht, weil sie überzeugt war, daß es um die Existenz dieses Staates ging. Sie hat dabei sicherlich nicht übersehen, daß sie sich in Gegensatz zu jenen stellte, die diesen Staat ablehnten oder, besser gesagt, die dieser Staat ablehnte, indem er sie aus Mitführung und Mitverantwortung ausschloß. Die Kirche hat darunter schwer gelitten, objektiv und subjektiv. Mußte sie es daher nicht begrüßen, daß dieser Staat nach 1945 in Zusammenarbeit breitester Volksschichten wiederaufgebaut wurde? Nun, da der Staat von zwei gleich großen sozialen Gruppen getragen war, konnte ihr Bekenntnis zum Staat nicht mehr als einseitige Parteinahme ausgelegt werden'. Nicht daß die Kirche in Österreich einseitig die Koalition protegiere ist richtig, wohl aber ist es richtig, daß die Kirche eine weitgehende Zusammenarbeit begrüßt, nicht nur, weil sie als erste in Österreich unter einer Störung des inneren Friedens leiden würde, sondern auch, weil ihr Verhältnis zum Staat um so besser ist, je breiter die Basis ist, auf die sich eine Regierung stützen kann. In der Parlamentsdebatte zu den Konkordatsverträgen im Sommer des vergangenen Jahres erklärte der sozialistische Sprecher, das wünschenswerte Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Österreich sei nicht das einer gegenseitigen Beherrschung, auch nicht das einer völligen Trennung von Kirche und Staat, sondern liege in einer vertrauensvollen Zusammenarbeit beider. — Der Staat soll nicht vom Bischofspalais oder der Nuntiatur, die Kirche nicht vom Kulturministerium aus regiert werden. Man soll aber auch nicht so tun, als habe man überhaupt nichts miteinander zu schaffen und würde sich kaum kennen. Daß aus der Zusammenarbeit keine Identifikation, aus den freundlichen Grüßen kein allzu enges „Arm-in-Arm-Gehen“ wird, das verhindert schon die dem Österreicher eigene Scheu vor allzu engen Bindungen. Kann auf diesem Boden ein Linkskatholizismus als Protest gedeihen? Wo würde er seine linke und wo seine katholische Legitimation hernehmen?

Noch einmal; das ist kein Appell zur Selbstzufriedenheit. Der Österreicher hat den fatalen Hang, die Verhältnisse so zu sehen, wie er sie sehen will, die Dinge so lange herumzuschieben, in Worten versteht sich, bis er findet: Nun, ist nicht alles in Ordnung? Nein, es ist nicht alles in Ordnung, im Staat nicht, in der Gesellschaft nicht und auch nicht in der Kirche. Aber der Linkskatholizismus ist nicht die uns gemäße Haltung, das zu konstatieren, das zu ändern.

Was aber nicht verhindern wird, daß wir bei unserem nächsten Besuch im Ausland gefragt werden: „Sagen Sie, gibt es bei ihnen in Österreich einen Linkskatholizismus?“ Oder direkter: „Ich habe gehört, Sie sind ein Linkskatholik, Sie schreiben doch in der .Furche', und die soll doch so links sein?“

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