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Rosen für Grillparzer!

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Eine Dame berichtete unlängst einem österreichischen Journalisten ein seltsames Erlebnis. In der Neujahrsnacht wurde sie von einer familiären Silvesterfeier von einem jungen Mann in dessen Auto nach Hause gebracht. Neben dem Burschen am Steuer lag wohlverpackt ein Strauß roter Rosen. Die Frage lag nahe, für welche Dame seines Herzens dieselben reserviert seien. Betroffenheit, Zögern, dahn die verschämte Antwort: der Rosenstrauß sei keiner Dame zugedacht, vielmehr wolle ihn unser junger Mann mit einer Gruppe Gleichgesinnter in den ersten Stunden des neuen Jahres zu Füßen des Schiller-Denkmals vor der Akademie der bildenden Künste in Wien niederlegen. Dies erfuhr nun unser Kollege, welcher selbst einer von jenen gewesen ist, die den mit Schiller-Feiern begonnenen Irrweg des deutschen Nationalismus in Österreich gerade dann erkannten, als „die deutsche Ostmark heimgekehrt war“. Also setzte sich der Chefredakteur der „Oberösterreichischen Nachrichten“, Walter P o 11 a k, hin und schrieb unter dem Titel „Rosen für Schiller* a jenen tinbekannten jungen Msnn einen offenen Brief, dessen wesentliche Stellen wir gerne wiedergeben möchten:

Lieber junger Freund!

Seit ich davon gehört habe, daß Sie zusammen mit einigen Freunden das neue Jahr begrüßten, indem Sie einen Strauß roter Kosen am Fuße des Schiller-Denkmals in Wien niedergelegt haben, beschäftige ich mich mit den Motiven, die Sie und Ihre Freunde dabei bewegt haben mögen. Ich glaube sagen 7.u dürfen, diese Motive zu kennen, weil mich ähnliche, vielleicht auch die gleichen Gedanken und Gefühle bewegt haben, als ich als ganz junger Mensch begonnen habe, politisch zu denken. Es hat einer langen Entwicklung und mancher schmerzlichen Erfahrung bedurft, ehe diese Gedanken und Gefühle gereift und modifiziert waren. Ich spreche zu diesem Problem also aus eigenem Erleben, eigener Erfahrung, und nicht wie ein Blinder von der Farbe . . .

. . . Sie wissen so gut wie ich, daß Schiller in der nationalen Bewegung Österreichs seit mehr als hundert Jahren eine besondere Rolle spielt. Im vergangenen Sommer ist mir erst wieder das Schiller-Denkmal im steiri-schen Mureck nahe der jugoslawischen Grenze aufgefallen. Vor mehr als hundert Jahren galt es in Österreich bereits als ein Bekenntnis zum Deutschtum, wenn man sich zu Schiller bekannte. Dieses Bekenntnis ist aber auch ein Symptom jener politischen Entwicklung, mit der sich die Deutschen Österreichs von der Aufgabe entfernt haben, die ihnen die Geschichte aufgetragen hatte. Die Deutschen der habsburgischen Erbländer waren die Basis, von der aus Österreich seine ordnende und völkerverbindende Funktion in Mittel- und Südosteuropa erfüllen konnte. Die Deutschen Österreichs waren 'durch Jahrhunderte Ferment und Klammer des übernationalen, großösterreichischen Staates. Es gehört zur Tragik der Geschichte, daß die Deutschen Österreichs in jenem geschichtlichen Augenblick, da die anderen Völker Österreich-Ungarns sich ihrer selbst bewußt wurden und zur Gleichberechtigung drängten, die geschichtliche Aufgabe abschüttelten und auch ihrerseits nichts anderes sein wollten wie Deutsche im damaligen engen nationalistischen Sinn. Kein geringerer als Bismarck hat den Schaden dieser Entwicklung dargestellt, als er einer deutsch-nationalen Delegation aus Österreich, die ihm ihre Huldigung darbrachte, gesagt hat, ihre Mitglieder würden dem Deutschtum dadurch am besten nützen, wenn sie gute Staatsbürger Österreichs blieben ... Wenn Ich Sie, lieber junger Freund, und Ihre Freunde richtig verstehe, dann wollen Sie sich doch mit einer solchen Handlung wie in der letzten Neujahrsnacht zum deutschen Volk bekennen. Und Sie wollen doch zweifellos Ihrem Volk nützen? Gerade weil Sie das wollen, weil Sie eine Verpflichtung darin sehen, haben Sie nicht das Recht, einfach in das alte Gewand der nationalen Bewegung zu schlüpfen und darin zu leben, so als ob sich nichts ereignet hätte in den letzten Jahrzehnten, als ob wir nicht eine geschichtliche Episode hinter uns hätten, die unser Volk hart an den Rand des Abgrunds geführt hat. Sie und Ihre Freunde müssen die Unbequemlichkeit auf sich nehmen und den Mut haben, einen eigenen Weg zu suchen, der sich in vielem sehr wesentlich von dem der früheren Generationen wird unterscheiden müssen ...

... Man vermag sich hier und heute nicht als Deutscher zu bekennen, wenn man sich nicht mit ebensolcher Überzeugungskraft als Österreicher bekennt...

... Die harte Aufgabe, der Sie, lieber, junger Freund und Ihre Generation sich unterziehen müssen, besteht darin, das fortzusetzen, was ein Teil meiner Generation bereits begonnen hat: sich dieses Österreich geistig zu eigen zu machen. Der Staat, in dem wir leben und der unser Staat ist, ist das Ergebnis einer tausendjährigen Geschichte, und der Mörtel, der ihn zusammenhält, ist vermischt mit Schweiß, Blut und Tränen von Generationen. Dieser Staat war niemals Selbstzweck, aber er ist eine Tatsache im tiefen historischen Verstand. Harte Arbeit, emsiger Fleiß, unsterbliches Heldentum und musischer Sinn haben diesen Staat aufgebaut. Es ist unsere Aufgabe, diesen Staat vor den Gefahren geistiger Korrumpierung zu schützen, die heute allenthalben lauern.

Und deshalb, lieber junger Freund, richte ich an Sie die Frage, warum bekennen Sie sich demonstrativ zu Schiller, anstatt sich dem zuzuwenden, was dieses ihr eigentliches Land an geistigen Früchten bietet? Wenn es schon eine von Ihnen als beispielhaft empfundene geistige Persönlichkeit der Vergangenheit sein muß, warum nicht Grillparzer? Ich weiß, daß ihm das mitreißende Pathos fehlt, daß seiner dichtetischen Form die letzte Reife abgeht. Aber gibt es irgendeinen Dichter deutscher Zunge, der so wie er gültig ausgesagt hat, was allein den Staat hält?...

... Lieber junger Freund, seien Sie versichert, daß mir nichts ferner liegt als Besserwisserei. Ich glaubte aber verpflichtet zu sein, Ihnen zu sagen, daß Sie unserem Volk nicht nützen, wenn Sie in den Fußstapfen der Väter weiterwandern. Nicht, weil die Väter unrecht getan hätten, sondern weil die Zeiten sich geändert haben und andere Forderungen an uns herantreten. Wir werden unserem Volk nur nützen, wenn wir jeder romantischen Schwärmerei abschwören md uns redlich und nüchtern hier und heute unserer Pflicht unterwerfen.

Gewiß: Man kann die Akzente da und dort anders setzen. Wir haben das getan. Allein, wenn man es genau nimmt, ist hier der erste Aufruf aus gegebenem Anlaß zu einer Gewissenserforschung und neuen Standortbestimmung aus jenem Lager, das man das „nationale“ nennt. Ein ernstes Wort eines ehrlichen Mannes, der mit wachem Sinn die letzten Jahrzehnte erlebte. Hier ist eine Gesprächsbasis. Und noch etwas: Ehrlich gesprochen, gefallen uns diese Worte besser als die kalmierenden Beteuerungen manches Sprechers des offiziellen Österreich.

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