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Alterslose Jugend?

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Fortsetzung von Seite 20

30 Jahre FURCHE

' zeugter Christlichsozialer einen Kandidaten der ÖVP in der Hofburg sehen. Und es war zu erkennen, daß die Wahl des Staatsvolkes einen Sozialisten bevorzugen werde — tatsächlich ging Theodor Körner aus dem zweiten Wahlgang (ursprünglich traten drei Kandidaten an) als Sieger hervor. In der Bundesversammlung hätte der ÖVP-Kandidat eine feste Mehrheit gehabt. Funder hat sich dies unmittelbar nach Erscheinen seines Artikels denn auch vom damaligen Grand Old Man des konservativen Lagers vorrechnen lassen müssen. Zwei Seelen wohnten in seiner Brust. Die des verfassungstreuen Demokraten war stärker als die des alten Christlichsozialen Funder.

Sein Vorbild hat, und, 4a er ein schwieriger Chef war, sicher oft in starker Ambivalenz der Gefühle, eine Reihe hervorragender Publizisten aus der Redaktion der FURCHE hervorgehen lassen. Bereits in der Ausgabe vom 26. Oktober 1946 erschien anläßlich der bevorstehenden 950-Jahr-Feier Österreichs in einem Leitartikel unter dem beziehungsreichen Titel „Österreich?“ die Mahnung: „Wir haben nur dann das Recht, seine Vergangenheit zu feiern, wenn wir aus seiner Geschichte gelernt haben.“ Der Mahner war ein brillanter junger Intellektueller namens Friedrich Heer — es war der erste Beitrag von vielen, die in der FURCHE in den folgenden zwei Jahrzehnten noch erscheinen sollten.

Willy Lorenz, Mitarbeiter seit der zweiten Ausgabe der FURCHE, setzt sich in der Neujahrsnummer des Jahres 1947 mit einem „Monolog über Böhmen“ für ein besseres Verständnis böhmischer Wesensart und böhmischen Nationalschicksals ein. Von Willy Lorenz stammte auch jene Glosse (seit der allerersten Nummer hießen die Glossen der FURCHE stets „Querschnitte“), anonym wie alle FURCHE-Glossen, die, wie sooft als das Gewicht, das in einer schwankenden Waagschale noch gefehlt hatte, der Forderung nach Berücksichtigung protestantischer Theologen bei der Wahl zum Rektor der Wiener Universität (bei der bis dahin nur katholische Theologen zum Zug gekommen waren) zum Durchbruch verhalf.

Unter den vielen, mitunter stürmische Wirkungen auslösenden innenpolitischen Beiträgen von Kurt Skalnik sei hier nur die unter dem Titel „Der gelähmte Flügel“ erschienene Mahnung an die ÖVP, sich fortschrittlicheren Kräften zu öffnen, erwähnt. So manche politische Warnung blieb ungehört, und auch seinem Eintreten für die traditionelle österreichische Offizierskappe an Stelle der dann eingeführten Tellerkappe war kein Erfolg beschieden. Wer aber weiß, wenn er heute an einem schönen Sonntag durch die Wachau fährt, daß es dem verbissenen und ausdauernden Kampf dieses Mannes in erster Linie zu verdanken ist, wenn die seinerzeitige Trassierung der Wachaustraße nicht zur irreparablen Landschaftsverschandelung führte? In einer Zeit, in der das Wort Umweltbewußtsein noch nicht erfunden war, weil es ein solches Bewußtsein noch nicht gab, erkämpfte die FURCHE die Umfahrung von Spitz neben der Bahnlinie und den Tunnelbau von Dürnstein. Denn vorgesehen waren in beiden Fällen Ufertrassen, die das Landschaftsbild der Wachau einschneidend gestört hätten. Noch ist es intakt. Aber Bedrohungen, über die das letzte Wort hoffentlich noch immer nicht gesprochen ist, wurden bereits am 1. Dezember 1957 in einem Leitartikel unter dem Titel „Arbeitslose Donau“ dargestellt.

30 Jahre. Eine lange Zeit, in der nicht nur die FURCHE, sondern auch Österreich sich gewandelt hat. Aber schon in der Jubiläumsnummer anläßlich unseres zehnjährigen Bestehens erschien ein Artikel: „Ist die FURCHE anders geworden?“ Darin wurde diese Zeitung als „ein notwendiges, ein unbequemes, ja mitunter sogar ein lästiges Regulativ“ bezeichnet.

Wir sind davon überzeugt, daß wir dies noch immer sind, und sehen darin unsere Existenzberechtigung begründet.

HELLMUT BUTTERWECK

Ernst Schönwiese, Präsident des PEN:

Die FURCHE ist sicher eine der besten Wochenzeitungen Österreichs, für manche die beste. Dabei muß man — etwa im politischen Teil — durchaus nicht immer einer Meinung mit ihr sein. Aber da sie mehr als bloß Gesinnung besitzt, nämlich Charakter, und von unangreifbarer Anständigkeit ist, sind die Argumente, denen man in ihr begegnet, in Geisteshaltung wie Ausdruck das genaue Gegenteil jener grobschlächtigen Art schlau-verschlagener Poli-truks, die gar nicht mehr bemerken, wie deutlich sie uns fühlen lassen, was sie von uns halten oder richtiger: nicht halten. Und da der Mensch und die Antwort auf die Frage nach dem Sinn seines Lebens immer an erster Stelle stehen, ist man gezwungen, sich ernsthaft auseinanderzusetzen, beginnend bei Aufmacher, Karikatur, bis zu den Leserbriefen, nämlich wirklich im ursprünglichen Sinn des Wortes „sich auseinanderzusetzen“, und das heißt hier sehr oft, nicht so sehr das Auseinander als das Miteinander zu erkennen. Aber wie immer das auch im Einzelfall sein mag: man hat wirklich gelernt, hat seine eigene Überzeugung überprüft, korrigiert oder bekräftigt.

Die literarische Beilage der FURCHE halte ich für ziemlich konkurrenzlos in Österreich. Aber auch in der Schweiz und in Deutschland wird man nicht so schnell eine Zeitung finden, deren Feuilletonteil die gleiche kritische Objektivität zeigte und ähnlich bemüht wäre, nicht nur die im Augenblick gerade am lautesten Schreienden vernehmen zu lassen, sondern auch alle jene Einzelgänger, die keinen Gruppierungen angehören — so daß wirklich die ganze Fülle der Begabungen unserer Zeit sichtbar wird.

Ich gratuliere der FURCHE zu ihrer, sagen wir, alterslosen Jugend. Gäbe es sie nicht, so wären wir um eines der vorbildlichsten Presseerzeugnisse Österreichs ärmer.

Ernst Fuchs, Maler:

Ich bin kein regelmäßiger FURCHE'-Leser mehr. Ich habe früher die FURCHE gerne gelesen. Sie ist ein bisserl in die Defensive gegangen. Was wir brauchten in Österreich, wäre ein militanteres katholisches Blatt, das Mut zu einem progressiveren Konservatismus hat (das klingt wie ein Paradoxon). Das könnte die FURCHE ohne weiteres sein, dieses Forum. Wenn man zur Erkenntnis kommt, daß an Tradition viel mehr ist, als man wahrhaben will. Man könnte in der Verteidigung dieser Werte viel mehr Schlagkraft versammeln. Die Unsicherheit, die auch zum Konformismus geführt hat — daran ist auch die FURCHE ein bisserl krank geworden: zuviel Divergenz —, das wird oft als Lebenszeichen gewertet.

Alexander Lernet-Holenia:

Im allgemeinen ist Gott zwar viel zu groß und zu unbegreiflich erhaben, als daß man's wagen dürfte, ihm einen gewissen Mangel an Sinn für Pointen nachzusagen. Es scheint vielmehr, daß Pointen nach allem, was sich schon Anatole France in Gestalt einer Pointe aller Pointen über Gott geleistet hat, seiner einfach nicht würdig sind. Ich vermag also auch nicht zu sagen, ob es nicht etwa dennoch eine-Pointe ist, - die-sich, wenn schon nicht der Schöpfer selbst, so doch der Demiurg oder eine gewisse andere Zwischeninstanz, von diesem abwärts, aus dem Anlasse des dreißigjährigen Jubiläums des Bestehens der FURCHE leistet, nämlich, daß sich in den Streit zwischen Kreisky und Wiesenthal nun auch noch ein österreichisch-freiheitlicher Nachfolger des Großdeutschtums, der überdies einen italienischen Namen führt, einmischt. Zu beglückwünschen ist jedenfalls,' ihrer Katholizität wegen, nicht nur die FURCHE, sondern es sind dies auch (wir selbst aus dem Anlasse, daß wir mit einer solchen politisch-babylonischen Unglaubensverwirrung nichts zu tun haben.

Viktor Matejka, ehemaliger Wiener Stadtrat für Kultur und Volksbildung:

1. Ohne Friedrich Funder gibt's keine FURCHE. Die FURCHE als „freie kulturpolitische Wochenschrift“ zog der östereicher Funder, der geläutert aus der bisher größten Katastrophe dieses Jahrhunderts hervorging. Verständlich, daß des Gründers nach dessen Tod im Untertitel gedacht wurde. Von einem bestimmten Zeitpunkt an wurde des Gründers im Impressum nicht gedacht, und der Untertitel heißt „Unabhängige kulturpolitische Wochenzeitung“. Wenn ich bedenke, was in den letzten drei Jahrzehnten alles eingegangen ist, kann ich die Zähigkeit, die Lebenskraft, ' die Anpassungsfähigkeit nur hervorheben. All das vom Inhalt wie von der Gestaltung her wäre wohl auf zeitgeschichtlicher Basis einer österreichischen Monographie wert, die in der Kulturpolitik sowohl Politik als auch Kultur aufspürt und offen darlegt, was Leistung und Versagen bedeutet. Der Zeitraum, der da zu bewältigen wäre, ist groß genug und umfaßt fast die ganze Zweite Republik.

2. Gar so lang liegt die Zeit wieder nicht zurück, in. der Kulturpolitik schon vom Wort her verpönt war, weil Kultur mit Politik nichts zu tun habe, also unpolitisch sei. Indessen ist jede kulturelle Äußerung seit'jeher auf den politischen Zusammenhang angewiesen. Doch diese Erkenntnis mit allen Konsequenzen in Theorie und Praxis hat sich recht mühselig und erst in den allerletzten Jahrzehnten angebahnt. Das heißt, es mehren sich die Kräfte, die für ein kulturpolitisches Bewußtsein sorgen. Zweifellos hat DIE FURCHE an dieser Entwicklung regen Anteil. Das steht an ihrem 30. Geburtstag fest.

3. Im übrigen gebe ich mich keiner Täuschung über die Politik hin, auf deren Grundlage, aus deren Wurzeln Kulturpolitik in weitherziger Auffächerung in der FURCHE zum Ausdruck kommt. Wahrscheinlich die meisten ihrer Mitarbeiter bekennen sich zu konservativen Prinzipien oder zehren vornehmlich aus ihren Quellen. Doch kein Geringerer als Leopold Figl prognostizierte im Hinblick auf ein neues Österreich ein revolutionäres Österreich, was immer er im einzelnen darunter verstanden haben wollte. Auf dieser Basis stritten wir uns oft in großdeutschen Konzentrationslagern auf gut österreichisch zusammen. Auch für Funder war die Gründung der FURCHE ein revolutionärer Akt. Seit dreißig Jahren bin ich ihr Leser. Wie alles Gedruckte lese ich sie kritisch, auch polemisch. Für einen Österreicher in unserer Demokratie ist das selbstverständlich und soll es bleiben.

Paul Flora, Maler:

Ich habe die FURCHE seinerzeit gelesen, noch unter Funder, weil sie ein mir sehr sympathisches, konsequent österreichisches (was ja nicht selbstverständlich war) und sehr fortschrittliches Blatt war. Ich habe sie später aus den Augen verloren, kann weder Gutes noch Schlechtes darüber sagen, wie sie heute ist.

Reinhard Federmann, Generalsekretär des PEN:

Zu FURCHE assoziiere ich „Acker“ und denke dabei an ein Gedicht, das ich in früher und unrühmlicher Zeit, in der ich mich noch als Lyriker versuchte, schrieb. Es trägt den Titel

„Acker ohne Ende“. Dieser Titel impliziert die Mühseligkeit; die Aufgabe, die einzige Wochenzeitung für Intellektuelle in Österreich zu machen, ist ja auch ohne Mühseligkeit nicht vorstellbar.

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