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Am Anfang war die „Kaminrunde“

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Auf der Ringstraße hingen die Tramwaydrähte in Fetzen herunter. Man mußte vorsichtig sein, um im Dunkeln nicht über Trümmer zu stolpern. Lieber der Stadt lag noch ein feiner schwebender Rauchgeruch. Besonders die Innere Stadt war stark hergenommen, und bis in die Annagasse passierte man Brandruinen. Das Haus Annagasse Nr. 8, die Wohnung des verstorbenen Pater Thauren, war der Platz, wo ich das erstemal mit der „Furche“ in Berührung kam. Wir, das heißt jene jungen Menschen, die aus dem Krieg zurückgekommen waren und an eine österreichische Zukunft glaubten, hatten dort einen Kreis gebildet, den wir Kaminrunde nannten. Man saß um einen warmen Ofen, man sprach über Politik, Kultur und Wirtschaft und bat alle die Persönlichkeiten, die aus der Zeit des früheren Oesterreichs herüberreichten, um ihre Aufklärung und ihren Rat. Und in diese Kaminrunde kam auch Dr. Friedrich Funder. Er sprach über das Oesterreich, das im Jahre 1938 untergegangen war und fesselte uns alle durch die lebendige Schilderung seines Wortes.

Spät nachts gingen wir nach einer langen Diskussion zu Fuß nach Hause. Die Straßen waren leer, es war noch bitter kalt, und wir versuchten unseren Weg so zu nehmen, daß wir nicht allzuviel mit Patrouillen oder Posten in Berührung kamen. Dr. Funder störte aber nicht die Kälte und der lange Weg, sondern er begann mit mir, wie mit einem Gleichberechtigten, seine Ideen zu diskutieren. Das Blatt! Die kulturelle, politische und katholische Wochenschrift, die nicht das Tagesgeschehen beeinflussen sollte, sondern deren mahnende und gerechte Stimme in Oesterreich jetzt notwendiger sein würde als je vorher. Eine Wochenzeitung müßte es sein. Ich hörte begeistert zu. Man war doch wirklich wieder Idealist durch dieses neu erstandene Oesterreich geworden, und wo konnte man besser mithelfen als in der Redaktion einer Zeitschrift, die alles das vertreten wollte, was wir uns von unserem Land erhofften. So begann ein Gespräch. Als ich mich an der Tür des Albrecht-Dürer-Verlages von Doktor Funder verabschiedete, fragte er mich, ob ich an einer solchen Zeitschrift mitarbeiten

wollte; und ich erbat Bedenkzeit, war innerlich aber schon dazu entschlossen.

Es dauerte lange Zeit, bis die „Furche“ wirklich „Die Furche“ wurde. Wieder saßen wir bei Professor Thauren zusammen, überlegten die Namen, diskutierten mit dem leider schon so früh verstorbenen hervorragenden Vertreter der Journalistik, Dr. Mika, bis endlich die „Furche“, der Name und auch der Inhalt, festgehalten wurde. Die Furche, in die der Landmann seine Saat sät und die Frucht erntet, die dann reift und reichen Segen bringt. Nur jemand, der in einer Zeitung gearbeitet hat, weiß, was es heißt, eine neue Zeitschrift ins Leben zu rufen. Noch dazu in einer Zeit, da der elektrische Strom unsicher, das Papier Mangelware, die Postverbindungen schlecht und das geschriebene Wort unter dem Zwange der Zensur war. Der Kopf des Blattes mußte gezeichnet, der Inhalt bestimmt, und die Mitarbeiter, deren Aufenthalt man meist nicht kannte, gefunden werden.

Endlich war der große Tag da. Der erste Umbruch, den Dr. Funder persönlich leitete, die ersten Fahnenkorrekturen und dann als Krönung: das erste Blatt. Das ist für eine Redaktion ein ganz großer Augenblick. Mag das Blatt auch noch feucht von der Druckerschwärze sein, mögen die Finger davon schmutzig werden: die Müdigkeit ist vergessen und man hält sein Blatt, an dem man entscheidend mitgewirkt hat, in der Hand. Nur der Energie und der überragenden geistigen Ausdauer Dr. Funders war es zu verdanken, daß es so weit gekommen war.

Das Zeitungsleben ging weiter. Die Redaktion wurde größer. Um die „Furche“ herum bildete sich ein Team, das murrte und jubelte, das in Opposition stand und begeistert zustimmte, das aber immer, bei jeder Redaktionskonferenz, das Gefühl hatte, daß unter der Leitung dieses Chefs eine leitende Zeitung entstand. Ich erinnere mich noch an kleine Episoden: Wir waren in einem Leitartikel für die Heimatvertriebenen eingetreten, zu einer Zeit, da dies noch als äußerst gefährlich galt. Der Alliierten-Rat rügte unser

Verhalten auf Anraten der Russen. Aber auf dem Brief des Alliierten-Rates hatte dir Generalsekretär des amerikanischen Elements mit Handschrift die Worte hingeschrieben: „Well done“, gut gearbeitet!

Dann starb Dr. Mika. Mit ihm verlor die „Furche“ einen ihrer Besten. Er war als Publizist und dem Temperament nach vielleicht am ehesten berufen gewesen, das Erbe weiterzuführen. Die Lücke, ,die sein Tod riß, schien vorerst schlechtweg nicht zu schließen möglich, aber um diese Zeit hatte sich schon um die „Furche“ eine Schar von jungen Mitarbeitern gebildet, die imstande waren, die begonnene Arbeit konsequent und ernst weiterzuführen.

Als ich im vierten Jahr nach der Gründung aus der Redaktion ausschied, war die „Furche“ eine unerschütterliche Institution im österreichi-

schen Pressewesen geworden. Ich erinnere mich hoch wie heute an den Tag, da ich mich von Dr. Funder verabschiedete. In großzügiger Weise lehnte er mein Angebot, zu bleiben, ab, und wünschte mir für meine neue Berufung Glück und Erfolg. Aber er entließ mich auch mit den Worten: „Lieber Herr Doktor, betrachten Sie sich immer als zum Kreis der .Furche' gehörend, denn ich glaube, wer an dieser Arbeit hier teilgenommen hat, der geht nicht einfach weg.“ Jetzt, nachdem zehn Jahre vergangen sind, kann ich bereits diese Worte bestätigen. Wer in der Redaktion der „Furche“ gearbeitet hat, hat mehr mitbekommen als nur die Ueberzeugung, einen Posten ausgefüllt zu haben. Ob außerhalb oder in der Redaktion, er gehört zum Blatt und zur Idee dieses Blattes, und er bleibt vor allem stolz darauf, als Mitglied der „Furche“ anerkannt und durch die Freundschaft ihres Herausgebers ausgezeichnet zu werden.

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