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Die Hexenjäger von Prag

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In wenigen Tagen, am 19. November, werden es zehn Jahre sein, daß die sogenannte „Franzel-Affäre“ endete. An diesem Tag legte Dr. Emil Franzei, der auf Beschluß des Vereines Herold zum Herausgeber der „FURCHE“ berufen war, seine Berufung zurück. Diesem Rücktritt war eine der häßlichsten Hexenjagden, die die österreichische Öffentlichkeit je erlebt hatte, vorangegangen.

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In wenigen Tagen, am 19. November, werden es zehn Jahre sein, daß die sogenannte „Franzel-Affäre“ endete. An diesem Tag legte Dr. Emil Franzei, der auf Beschluß des Vereines Herold zum Herausgeber der „FURCHE“ berufen war, seine Berufung zurück. Diesem Rücktritt war eine der häßlichsten Hexenjagden, die die österreichische Öffentlichkeit je erlebt hatte, vorangegangen.

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Kurz sei zurückgeblendet: Am 19. Mai 1959 war Dr. Friedrich Funder hochbetagt gestorben. Bis zu seinem Tode war er Herausgeber und Chefredakteur der „FURCHE“ gewesen. Nach seinem Tode ergab sich die Frage, wer sein Nachfolger werden solle. Und die erste Generalversammlung des Vereines Herold (es ist dies jener katholische Pressverein, der der einzige Gesellschafter der Herold Ges. m. b. H. ist, der wiederum die „FURCHE“ gehört) beschäftigte sich natürlich mit dieser Frage. Ich wollte diese Gelegenheit benützen um die „FURCHE“, die seit ihrem Bestand passiv war und deren Passivum ständig wuchs, auf eine sichere Grundlage stellen. Seitdem ich 1954 Geschäftsführer des Herold geworden war, beunruhigte mich immer mehr die Entwicklung auf dem Gebiete des Druckereiwesens. Wie ein Trauma lagerte über mir das Sterben der Zeitungen und insbesondere der Tod des „VOLKSBLATTES“, das bei Herold gedruckt wurde und eine der stärksten finanziellen Stützen des Unternehmens war. Wenn dieser Tod einmal eintrat (den ich damals schon voraussagte, welche Voraussage aber mir niemand glaubte), mußte Herold in Bedrängnis kommen und dadurch auch die Existenz der „FURCHE“ gefährdet sein. Ich wollte deshalb die „FURCHE“ rechtzeitig abstützen und entwickelte folgenden Plan: neben die österreichische Ausgabe der „FURCHE“ sollta eine mutierte Münchner Ausgabe treten. Herausgegeben durch eine Furche-Gesellschaft in München, an der Herold- Wien mit 76 Prozent, ferner ein sudetendeutscher katholischer Pressverein, der in München die WOT chenzeitung „VOLKSBOTE“ herausgab, und der Hamburger evangelische Furche-Verlag beteiligt sein sollten. Mit der Münchner Ausgabe der „FURCHE“ sollte der „VOLKSBOTE“ fusioniert werden, der damals noch eine Auflage von 20.000 verkauften Exemplaren besaß. Damit hätte die „FURCHE“ mit einem Schlag um mindestens 15.000 Abnehmer mehr erhalten. Herausgeber — nicht Chefredakteur — beider Ausgaben sollte aber eine journalistisch versierte Persönlichkeit sein, die sowohl in Österreich wie auch in Deutschland zu Hause wäre. Der Plan fand die Genehmigung meines Kuratoriums. Für die Person des Herausgebers wurden drei Namen genannt: Dr. Anton Böhm, ein Österreicher, der damals stellvertretende Chefredakteur des „RHEINISCHEN MERKUR“ war, ferner Dr. Emil Franzei, ein in München lebender Sudetendeutscher und Journalist und Doktor Richard Barta. Das Kuratorium beauftragte mich zunächst, mit Doktor Böhm zu verhandeln, und, falls diese Verhandlungen nicht gelingen sollten, mit Dr. Franzei. Dr. Barta wurde ausgeschieden, da der Herr Kardinal zu verstehen gab, daß er auf diese wertvolle Kraft nicht verzichten wolle. Um das Interregnum zu überbrücken, wurde ich für diese Zeit zum Herausgeber und Chefredakteur ernannt, und ich ernannte wiederum Dr. Skalnik zum stellvertretenden Chefredakteur.

Die Verhandlungen mit Dr. Böhm zogen sich endlos hin, einmal hatte er schon zu,gesagt, dann widerrief er wieder die Zusage, da inzwischen Otto Roegele, der bisherige Chefredakteur des „RHEINISCHEN MERKUR“, Professor in München geworden war und Dr. Böhm zum Chefredakteur aufrückte. Nach dem Scheitern dieser Verhandlungen trat ich an Dr. Franzei heran, der zunächst auch nicht diesen Posten übernehmen wollte. Aber dann, nach langem Zögern — zusagte, weil ihn die journalistische Aufgabe reizte und die Sehnsucht nach Wien in ihm zu groß war. Am 2. November 1964 kam er nach Wien, um offiziell die Herausgeberschaft mit 1. Dezember zu beginnen. Knapp vorher hatte der Plan der gemeinsamen Ausgabe der „FURCHE“ einen schweren Stoß erlitten: Der Direktor des Herold- Zeitungsverlages, Maximilian Heine- Geldern, der die geplanten technischen Arbeiten durchführen sollte, erlag am 30. Oktober im Alter von

49 Jahren einem Herzinfarkt.

Noch bevor Dr. Franzei seinen Posten angetreten hatte, begann gegen ihn eine Hexenjagd: den Startschuß gab die „KLEINE ZEITUNG“ in Graz, ihr folgte am 1. November das inzwischen eingestellte „NEUE ÖSTERREICH“ mit dem Artikel „Die ,FURCHE1 darf nicht emigrieren“. Und von diesem Augenblick an begann ein ständig steigendes Trommelfeuer gegen Dr. Franzei und überhaupt gegen den Plan einer „FURCHE“, die eine Münchner mutierte Ausgabe bekommen sollte. Schon der Vorwurf, daß die „FURCHE“ nach Deutschland zu emigrieren im Begriffe sei, war falsch. Denn nicht die „FURCHE“ sollte nach Deutschland emigrieren, sondern zum ersten Mal sollte ein österreichisches Organ nach Deutschland übergreifen, um dort für Österreich aktiv und präsent zu sein. Im Laufe dieser Hexenjagd wurde immer wieder behauptet, daß westdeutsches Kapital an diesem Plan interessiert sei, vor allem auch die CSU und insbesondere Franz Joseph Strauß. Auch diese Behauptung war völlig falsch. Denn an der österreichischen Ausgabe der „FURCHE“ sollte überhaupt nicht westdeutsches Kapital beteiligt sein und nur an der Münchner Ausgabe ein sudetendeutscher katholischer Pressverein, der doch eigentlich ein österreichischer Pressverein ist und im minimalsten Maß ein evangelischer Verlag. Aber niemals die CSU oder gar Franz Joseph Strauß. Aber selbst, wenn dies der Fall gewesen wäre, warum regten sich alle diese Menschen, die gegen diesen Plan Sturm liefen, nie darüber auf, daß an österreichischen Firmen deutsches Kapital beteiligt ist, angefangen von der größten österreichischen Privatbank, der BAWAG, an der die deutsche „INGEBE“ beteiligt ist? Dr. Franzei wurde immer wieder zum Vorwurf gemacht, daß er ein Sudetendeutscher ist, und die „FURCHE“ damit sudetendeutsch würde. Abgesehen davon, daß es immer ein Verbrechen ist, jemanden seine Abstammung vorzuwerfen, übersahen alle jene, die diesen Vorwurf erhoben, daß die Geschichte Österreichs und insbesondere Wiens in den letzten Jahrzehnten ohne Sudetendeutsche undenkbar ist. Die Sozialistische Partei Österreichs stand jahrzehntelang unter sudetendeutscher Führung,

denn Otto Bauer, Karl Renner und Adolf Schärf waren Sudetendeutsche und Bruno Kreisky ist dies ebenso. Auch der sudetendeutsche Einfluß auf die katholische Kirche in Wien war sehr groß, denn die Kardinale Piffl und Innitzer waren Sudetendeutsche, ebenso wie Generalvikar Kamprath, der Schottenabt Peichl, der Historiker Prof. Dr. Hugo Hantsch und der Chorherr Pius Parsch. Das Stift Klosterneuburg nahm bis 1918 überhaupt nur Sudetendeutsche auf. Aber ebenso könnte man heute ‘behaupten, daß der „RHEINISCHE MERKUR“ unter sudetendeutscher Herrschaft steht, weil der derzeitige Chefredakteur ebenfalls Sudetendeutscher ist.

Dann erfuhr Dr. Franzei, der 1901 in Nordböhmen geboren war, er sei ein Renegat gewesen. Dr. Franzei war in seiner Jugend Mitglied der deutschen sozialdemokratischen Partei der Tschechoslowakei und Redakteur ihres Zentralorgans gewesen. 1937 trennte er sich von der Partei, da er, im Grunde genommen immer ein k. k. Sozialdemokrat, mit der Richtung der Partei nicht übereinstimmte. Als Prag von den Deutschen besetzt wurde, wurde er sofort verhaftet. Wieder freigelassen, rückte er zur Polizei ein, wurde am letzten Tag des Krieges verVundet, saß einige Zeit in tschechischen Lagern, wobei ihm die neue Tschechoslowakei die Staatsbürgerschaft an- trug, wamderte aber dann nach Deutschland aus, und wurde einer der brillantesten konservativen Journalisten der Nachkriegszeit. In unserer Zeit macht sich immer ein merkwürdiges Phänomen bemerkbar: wandert ein Konservativer zu den Linken ab, wie der CDU- Abgeordnete Heimemanin, der dann später deutscher Bund esp ras id en’t wurde, dann gilt er als ein „Erleuchteter“. Wenn aber ein Linker zu den Konservativen geht, dann ist er Renegat. Er begeht eine Sünde, die nie verziehen wird. Aber in der modernen Demokratie gibt es überhaupt kein Renegatentum, denn jede Partei muß doch trachten, möglichst viele Anhänger anderer Parteien an sich zu ziehen. Bei dieser Hexenjagd behauptete die „Volksstimme“ sogar, Dr. Franzei habe sich zu Hinrichtungen gemeldet und sei an der Vernichtung von Lidice beteiligt gewesen. Beschuldigungen, die die „Volksstimme“ allerdings zurücknehmen mußte.

Die Volksfront, die sich gegen die Berufung Dr. Franzeis bildete, reichte von ganz links bis ganz rechts. Kommunisten und CVer und vor allen Dingen viele Katholiken beteiligten sich an ihr. Besonders wurde versucht, den Herrn Kardinal unter Druck zu setzen, der ja Protektor des Vereines Herold ist. Irgendeine geheimnisvolle Stelle verteilte vorgedruckte Protestbriefe an den Kardinal und ließ , sie von allen möglichen Leuten unterschreiben, vor allem von solchen, die sich bisher nie um die „FURCHE“ gekümmert hatten. Ebenso wurden Photokopien von angeblichen Artikeln Dr. Franzeis verbreitet. Aber niemand trug, woher sie kamen. Unter dem Eindruck dieser Hetze verzichtete Dr. Franzei auf seine Berufung, da er es ja nicht notwendig hatte, sich mit derartigem Schmutz bewerfen zu lassen.

Schon während der Hexenjagd war mir der an sich sehr geniale Plan aufgefallen. Irgendeine geheimnisvolle Stelle muß diese Hexenjagd zentral organisiert haben. Den ersten Hinweis erhielt ich am 10. Dezember 1964, als ich vom Begräbnis Dr. Weigels nach Hause fuhr. Doktor Weigel war stellvertretender Generaldirektor der Länderbank und auch Obmann-Stellvertreter des Vereines Herold. Aim 3. Dezember war er plötzlich gestorben. Mein Freund, mit dem ich nach Hause fuhr, hatte sehr gute Beziehungen zum österreichischen Bundesheer. Und er sagte mir: „Bevor noch die Berufung

Franzeis in der Öffentlichkeit bekannt war, wußte schon der deutsche Abwehrdienst, daß der tschechoslowakische Abwehrdienst Dr. Franzei abschießen werde.“ Jahrelang ging ich auf die Suche, was hinter dieser Bemerkung stand. Vor ungefähr einem Jahr fiel mir das Buch eines Dr. Ladislav Bittmann in die Hände, das den Titel trägt „Geheimwaffe D“. Dr. Bittmann, der von 1954 bis 1968 Offizier im tschechoslowakischen Geheimdienst war und im Prager Frühling absprang, war von 1966 bis 1968 in Wien tätig. In seinem Buch schildert er eine ganz neue Waffe des Abwehrdienstes. Mittels Desinformation wird der Gegner oder das Opfer durch gefälschte Informationen getäuscht und verwirrt. Dr. Bittmann führt einige Aktionen in seinem Buch -an, die eine frappante Ähnlichkeift mit der Hexenjagd gegen Dr. Franzei hatten. Lange suchte ich die Adresse von Dr. Bittmann bis ich ihn fand und ich fragte schriftlich, ob er mir über die Franzel-Affäre etwas sagen könne. Hier seine Antwort:

12. Juni 1974

„Lieber Dr. Lorenz!

Sie haben mich gefragt, ob der Tschechoslowakische Geheimdienst in das Vorgehen gegen Dr. Emil Franzei im Jahr 1964 verwickelt war. Die Antwort lautet: ja.

Seit den frühen sechziger Jahren stand die „FURCHE“ im Interessenbereich des tschechoslowakischen Geheimdienstes. Natürlich nicht wegen ihres Massenabsatzes, sondern weil man den Anstoß, den sie den österreichischen Intellektuellen — besonders den katholisch orientierten — gab, für stark genug hielt, um die Entscheidung, die „FURCHE“ zu einem Operationsziel zu machen, zu rechtfertigen.

Die zehn Jahre, die seit der Franzel-Affäre vergangen sind, haben viele Einzelheiten aus meinem Gedächtnis gelöscht. Der Grundgedanke war — wenn ich mich recht erinnere — die Berufung Dr. Franzeis zur „FURCHE“ zu verhindern, indem man „bewies“, daß er mit den Nazis zusammengearbeitet und sie unterstützt hatte. Das Beweisstück war eine Fälschung: man hatte in Prag einige Protokolle gefunden,

die seinen Namen enthielten. Dr. Franzei arbeitete nämlich während der ersten Kriegsjahre als Dolmetsch. Die Protokolle waren echt, sie wurden jedoch „verbessert". Mehrere Sätze und Abschnitte wurden eingefügt, um Dr. Franzei als ergebenen Nazi zu zeigen.

Um eine eingehende Analyse durch westliche Experten zu verhindern, brachte man nur Photokopien in Umlauf. Die „verbesserten“ Originale waren niemandem außerhalb des Geheimdienstes zugänglich. An zusätzlichen Details

— z. B. wer die Protokolle ausgegraben und wer sie in Umlauf gebracht hat — erinnere ich mich nicht mehr. Man hielt diese Operation für sehr gelungen, und ihr Urheber — einer der Experten für die Sudetendeutsche Frage in der Abteilung Deutsch-österreichisches Operationsgebiet im Geheimdienst — wurde dafür belohnt.

Während meiner Geheimdienst- Mission in Wien, 1966 bis 1968, hatte ich mit mehreren Redak- tionsmitgliedem der „FURCHE“, Dr. Skalnik mit eingeschlossen, persönlichen Kontakt. Diese Kontakte wurden von meiner Seite her aus beruflichem Intersse hergestellt, da der tschechoslowakische Geheimdienst höchlichst daran interessiert war, seine Operationsbasis unter österreichischen Journalisten zu erweitern. Ich möchte jedoch betonen, daß alle Kontakte mit „FURCHE“-Redakteuren auf der Ebene einer freundschaftlichen persönlichen Verbindung verblieben. Keiner von ihnen wurde angeworben. Ich wünsche der „FURCHE“ und Ihnen selbst viele Erfolge.

Mit besten Grüßen

Dr. Ladislav Bittmann

Das Geheimnis, wer hinter der Hexenjagd gegen Franzei stand, ist endlich gelösit. Und traurig ist nur die Erkenntnis, wie anfällig Österreicher für eine derartige Propaganda sind, die mit allen möglichen Emotionen arbeitet. Schon 1938 war fast ganz Österreich der genialen Propaganda des. verbrecherischen Rattenfängers Adolf Hitler hereingefallen. 1964 ereignete sich ein ähnlicher Vorgang. Diese beiden Fälle sollten zu denken geben. Sie stellen den Österreichern kein gutes Zeugnis aus.

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