6792824-1970_47_03.jpg
Digital In Arbeit

Das Ende einer Epoche, einer Idee, einer Zeitung

19451960198020002020

Am 15. November 1970, also ausgerechnet am Tag des österreichischen Nationalheiligen Leopold, stellte das Zentralorgan der österreichischen Volkspartei, das „Volksblatt“, sein Erscheinen ein. Gleichzeitig kursierten in Wien Gerüchte, daß auch das sozialistische kleine Wiener Blatt, die „Neue Zeitung“, in absehbarer Zeit dem Schicksal des „Volksblattes“ folgen werde. Gleichzeitig tobt aber auch ein erbitterter Kampf gegen Österreichs erfolgreichste Zeitung, die „Kronen-Zeitung“. Was steckt hinter all diesen Erscheinungen? Ist das Sterben des „Volksblattes“ nur das Sterben einer Zeitung, wie es im Lauf der Geschichte immer vorkam, oder ist dieses Sterben ein Symbol für etwas anderes?

19451960198020002020

Am 15. November 1970, also ausgerechnet am Tag des österreichischen Nationalheiligen Leopold, stellte das Zentralorgan der österreichischen Volkspartei, das „Volksblatt“, sein Erscheinen ein. Gleichzeitig kursierten in Wien Gerüchte, daß auch das sozialistische kleine Wiener Blatt, die „Neue Zeitung“, in absehbarer Zeit dem Schicksal des „Volksblattes“ folgen werde. Gleichzeitig tobt aber auch ein erbitterter Kampf gegen Österreichs erfolgreichste Zeitung, die „Kronen-Zeitung“. Was steckt hinter all diesen Erscheinungen? Ist das Sterben des „Volksblattes“ nur das Sterben einer Zeitung, wie es im Lauf der Geschichte immer vorkam, oder ist dieses Sterben ein Symbol für etwas anderes?

Werbung
Werbung
Werbung

Das „Kleine Volksblatt“, aus dem das „Volksblatt“ hervorging, kam zum erstenmal im Jänner 1929 heraus, im „Albrecht-Dürer-Verlag“, der dem katholischen Pressverein Herold gehörte. Wer die eigentlichen Initiatoren gewesen waren, ist heute nicht mehr ersichtlich. Eine wesentliche Anregung kam zweifellos vom berühmten Volksmissionar Pater Bogs-rucker SJ. Einer der besten Organisatoren war der spätere Prälat Jakob Fried, damals schon Vorstand des Vereines Herold. Mit vielen Opfern wurde das Blatt gestartet. Kardinal Piffl, Protektor des Vereines Herold, spendete die unglaublich hohe Summe von 150.000 Kienböck-Schil-lingen. Prälat Seipel, Mitglied des Vereines Herald, 'brachte die gleiche Suimime auf. 480.000 Schilling wurden durch Sammlungen innerhalb der Katholiken Wiens und Niederösterreichs zustande gebracht. Es waren nicht reine Spenden, denn jeder der Spender erhielt einen Anteilschein, eine Art Vorläufer der Volksaktien. Das „Kleine Vollksblatt“ war im Raum von Wien und Niederösterreich das erste christliche Massenblatt, und es hatte in Kürze einen unglaublichen Erfolg. Die Initiatoren dieses Erfolges waren einerseits das Team um Prälat Fried, das Sonntag für Sonntag durch Wien und Niederösterreich zog und die Werbetrommel rührte, anderseits die Redaktion mit ihrem Chefredakteur Mailler.

Dieser Chefredakteur machte nämlich sozusagen einen neuen Typ Zeitung. Er brachte alles was nicht in den anderen Zeitungen stand. Und brachte alles, was die „kleinen Leute“ faszinierte. Der Erfolg war enorm. Das „Kleine Volksblatt“ erkletterte eine Auflage von 150.000 bis 200.000. Es wurde für die Inserenten interessant und dadurch fi-narazstark. Es war so finanzstark, daß es mit monatlich 30.000 Kien-böckiSchillingen der sehr passiven „Reichspost“ beispringen konnte, die in einer Auflage von nur 10.000 Exemplaren erschien. Das „Kleine VolksMatt“ gehörte nie der ChristMchsozialen Partei, aber es stand ihr nahe. Die Christlich-soziale Partei besaß ja so gut wie keine eigenen Presseorgane. Auch die „Reichspost“ gehörte ihr nicht. Es genügte der Partei, daß die Organe der Katholischen Pressvereine Österreichs für sie stritten. 1938 vollzog sich dann die erste Tragödie dieses Erfolgsblattes. Das Haus Herold samt ,Albrecht-Dürer“-Verlag wurde vom NS-Regime beschlagnahmt und damit auch das „Kleine VolksWatt“. Es erschien noch einige Jahre und wurde 1944 ganz eingestellt.

Im August 1945 übergab die russische Besatzungsmacht den drei österreichischen Parteien je eine Großdruckerei. Die ÖVP verzichtete aber auf die Großdruckerei und war damit einverstanden, daß die Herold- und Albrecht-Dürer-Druk-kereien wieder dem Verein Herold zurückgegeben wurden. Dafür verlangte sie die Zurverfügungstellung des „Kleinen Volksblattes“. Im August 1945 kam deshalb ein Vertrag zwischen den Vertretern des Vereines Herold und der Volkspartei zustande, der festlegte, daß der Titel „Kleines Volksblatt“ der Partei zu „übergeben“ sei, die das Blatt im Herold-

Verlag hersteilen werde. Es war ein Vertrag unter Freunden, die beiderseits aus der christlichsozialen Bewegung kamen. Dieser Vertrag war fast der Ausdruck für die Überzeugung, daß das alte Bündnis zwischen Partei und katholischen Pressvereinen für immer weiter bestehen sollte. Es war. ein Vertrag unter Freunden, die überzeugt waren, daß sie sich nie streiten würden und für die es unvorstellbar war, daß die christlichsoziale Idee einmal zur Frage werden würde. Der Vertrag war nicht exakt juridisch formuliert.

Als der frühere Vizekanzler Richard Schmitz 1946 Generaldirektor des Herold-Verlages wurde, bemerkte er sofort die juridischen Lücken dieses Vertrages, die dem Herold-Verlag eines Tages Schaden bringen könnten. Und er begann den Kampf um das „Volksblatt“. Aber es war bereits zu spät. Das Eigentum an dem Titel war nicht mehr zu retten. Das einzige, was Vizekanzler Schmitz noch erreichen konnte, war ein fünfzehnjähriger unkündbarer Druckvertrag. Mir gelang es dann noch, diesen Druckvertrag bis zum Jahre 1970 zu verlängern.

Das Blatt ging auch nach dem zweiten Weltkrieg noch eine geraume Zeit sehr gut. Es ging so gut, daß durch seine Einnahmen viele Kosten der Zentrale der Volkspartei gedeckt werden konnten. Doch dann änderten sich langsam die Zeiten. Ein neues Masserumedium kam auf:

Das Fernsehen. Und damit brach eine große Revolution auf dem Ge-oiet des Nachrichtenwesens aus, vergleichbar nur der Ablösung der Postkutsche durch die Eisenbahn. Von zwei Seiten her greift das Fernsehen die Existenz der Zeitungen immer mehr an: Es nimmt den Zeitungen die Werbemillionen weg. Und die Werbeeinschaltungen im Fernsehen sind sehr teuer, weil sie einen großen Teil der Bevölkerung erreichen, aber immer mehr Firmen schalten sich im Fernsehen ein. So bleibt weniger Geld für Inserate in den Zeitungen übrig.

Das Fernsehen kommt aber auch der großen Lesemüdigkeit der heutigen Zeit entgegen. Als ich 1957 vor dem Dreiländertreffen des katholischen Buchhandels einen Vortrag über das Ende des Lesezeitalters hielt, belächelte man mich als einen armen Narren. Leider war die Vorhersage richtig. Eine unglaubliche Lesemüdigkeit hat weite Schichten ergriffen. Viele Menschen wollen keine Zeitungen mehr lesen. Sie lassen sich diese „vorlesen“, wie weiland die Damen und Herren der hohen Ge-

Seilschaft. Auch das heutige Publikum hat seinen „Vorleser“ im Fernsehen, der ihm zwölf Stunden vor Erscheinen der Zeitungen alle wichtigen Nachrichten aus der Welt und Österreich vorliest. So mancher wird einwenden, daß diese Behauptungen nicht stimmen und wird hiebei auf die Erfolge der „Kleinen Zeitung“ in Graz, der „Kronen-Zeitung“ in Wien und anderer Organe hinweisen. Der Erfolg dieser Zeitungen ist tatsächlich sehr groß — trotz des Vorhandenseins des Fernsehens. Das Geheimnis ihres Erfolges liegt darin, daß diese Zeitungen vielfach Berichte bringen, von denen nichts im Femsehen zu hören ist. Und sie sind vielfach Zeitungen nicht für die Jugend, sondern für die älteren Leute, die Zeit zum Lesen haben und neben dem Fernsehen all jenen kleinen und großen Tratsch erfahren wollen, den ihnen das

Fernsehen nicht beschert. Es sind die gleichen Prinzipien, auf denen seinerzeit der Erfolg des „Kleinen Volksblattes“ beruhte. Die .genannten Zeitungen können deshalb immer mehr Leser gewinnen und ihre Auflagen steigern. Dadurch werden sie wieder für den Inserenten interessant und in der Folge f inanzstark.

Gerade als das Fernsehen immer weitere Kreise in seinen Bann zog, beging das „Kleine Volksblatt“ einen großen Fehler. Es stieg im Jahre 1962 vom kleinen Format auf das große Format um. Die Redaktion war zwar dagegen, aber sie setzte sich nicht durch. Zuviele Stimmen innerhalb der Volkspartei hatten gefordert, daß das Zentralorgan der Partei eine „repräsentative“ Form besitze. An einem Tag verlor daraufhin das „Volksblatt“ 15.000 Abonnenten. Und damit begann der Abstieg. Es wurde ein Parteiorgan, mit allen Für und Wider eines solchen Blattes. Es wurde — auch äußerlich sichtbar — das Zentralorgan der Volkspartei. Die Volkspartei hat vieles von ihrer Vorgängerin, der Christlichsozialen Partei übernommen. Wie diese, hatte sie nie ein richtiges Pressekonzept. Sie hatte nie eine sehr straffe Mitgliederorganisation, und sie kümmerte sich nicht sehr um einen starken finanziellen Rückhalt. Das Kapital der Christlichsozialen und der Voltospartei waren die großen Köpfe wie Lueger, Seipel und Raab. Wenn diese Führer von der Bühne abtraten, war dies immer eine Katastrophe für die Partei, weil keine Organisation vorhanden war, um den Abstieg aufzufangen.

In dieser tragischen Stunde, da das Fernsehen die Revolution gegen die Zeitungen begann und die Lesemüdigkeit in der österreichischen Bevölkerung einsetzte, verließ das „Kleine Volksblatt“ den sicheren Weg, der es ermöglicht hätte, diese Katastrophe zu überstehen. Es wurde ein Zentralorgan im Großformat. Gleichzeitig begann aber der Aufstieg der „Kronen-Zeitung“, die nach dem bewährten Konzept des „Kleinen Volksblattes“ sich erfolgreich neben dem Fernsehen behaupten konnte.

Die Basis des „Volksblattes“ wurde immer brüchiger. Natürlich gab es einige Rettungsversuche. So glaubte die geschäftliche Leitung des „Volksblattes“, durch einen Wechsel der Druckerei das „Volksblatt“ retten zu können. Dieser Wechsel kam nicht zustande, hätte aber den Tod wahrscheinlich auch nur etwas hinausgezögert. Das Schicksal der „österreichischen Tageszeitung“, die sich ebenfalls durch eine solche Manipulation zu retten gehofft hatte und dann doch zugrunde gegangen war, ist ein beredtes Beispiel dafür.

Vor ungefähr drei Jahren machte ich der Volkspartei den Vorschlag, man möge doch dieses Blatt in eine „Kopfzeitung“ für die Westbahnlinie von Wien bis Salzburg umwandeln. Das „Linzer Volksblatt“ stöhnte damals schon unter seinem großen Defizit und nicht minder das „Salzburger Volksblatt“. Ich schlug vor, man möge alle drei Zeitungen vereinen, eine einzige große Redaktion in Wien aufbauen und nur Lokalredaktionen in Linz und SalzJburg beibehalten. Die Zeitung sollte in Wien mit Mutationen gedruckt werden. Unter den jetzigen Verkehrsverhältnissen wäre das Blatt überall rechtzeitig angekommen. Ich erkürte mich sogar bereit, die Geschäftsführung dieser neuen Gesellschaft ohne Entschädigung zu übernehmen. Ich bekam nie eine Antwort. Mein Vorschlag verschwand in irgendeiner Schublade.

Im August : 970, als die Situation des Volksblattes schon sehr bedrohlich war, machte ich der Geschäftsleitung des österreichischen Verlages den Vorschlag, das „Volksblatt“ doch an die Styria zu verkaufen, damit diese eine Wiener Ausgabe der „Kleinen Zeitung“ herausbringen könne. Vor rund neun Jahren hatte ich mit der Styria schon einmal diese Idee ventiliert. Die „Kronen-Zeitung“ war damals nicht so stark wie heute, das „Voiksiblatt“ im Umsteigen vom kleinen auf das große Format begriffen. Der Zeitpunkt war sehr günstig, aber die Styria war gerade dabei, außerordentlich hohe Investitionen vorzunehmen und erklärte sich nicht imstande, das notwendige Kapital aufzubringen.

Mein Vorschlag vom August 1970 wurde vom österreichischen Verlag sehr positiv aufgenommen, und schon bald begannen die Verhandlungen mit der Styria. Bald erwies es sich aber, daß für das neue Projekt sehr hohe Summen notwendig wären, die aufzubringen niemand von der Styria verlangen konnte. Als dies erkennbar wurde, war das Rennen mit der Zeit eigentlich schon verloren. Die Summen wären vielleicht aufzubringen gewesen, aber keinesfalls in so kurzer Zeit. Das „Voiksiblatt“ hatte aber nicht mehr den Atem, um so lange zu warten. Damit war das Rennen zu Ende.

Der Tod des „Volksblattes“ hätte, um es sehr konkret zu sagen, nicht vermieden werden können. Die Lesemüdigkeit einerseits, das Aufkommen des Fernsehens, das Verlassen der bewährten / Linie des „Kleinen Volksblattes“ anderseits sind die Ursachen der Einstellung. Das „Kleine Volksblatt“ war ein Blatt der christlichsozialen Bewegung, aber auch sie existiert längst nicht,mehr in ihrer ursprünglichen Art. Die Volkspartei hat nur zum Teil das Erbe der alten Christlichsozialen übernommen. Die Sozialisten haben ihre antikirchlichen Waffen abgelegt. Die Kirche selbst distanzierte sich — mit Recht — von allen Parteien und verzichtete auf jede politische Allianz. Das Ende des „Volksblattes“ wurde nicht verursacht durch die Redaktion und auch nicht durch die Geschäftsführung — der Tod hätte höchstens hinausgezögert werden können.

★

Man möge mir ein persönliches Wort gestatten. Seit Jahren halbe ich das Ende des Lesezeitalters vorausgesagt. Seit langem habe ich auch das Sterben des „Volksblattes“ immer wieder vorausgesagt — wie das Sterben anderer Zeitungen (so des „Wiener Montags“). Man soll nie prophezeien, aber auf Grund gewisser Indizien kann man gewisse Ereignisse auch in der Politik mit hoher Wahrscheinlichkeit vorausberechnen. Viele Reformen, viele Maßnahmen im Hause Herold waren unter dem Gesichtswinkel des Verlustes größerer Druckaufträge vorgenommen worden, wurden aber von der .Öffentlichkeit vielfach mißverstanden. Vielleicht werden sie jetzt verstanden. Unser Haus verabschiedet sich mit einem besonderen Schmerz vom „Volksblatt“. Wir hatten es gegründet und es war jahrelang unser Stolz. Und auch, als es nicht mehr uns gehörte, war uns sein Schicksal nicht gleichgültig.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung