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80 JAHRE HEROLD

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(Der Pressverein Herold, ursprünglich „Verein Reichspost“ genannt — nach der Tageszeitung, die er von 1894 an herausgab —, feiert heuer seinen achtzigjährigen Bestand. Mit einer lächerlich geringen Summe begannen die Unternehmungen des Vereines ihre Tätigkeit. Und diese franziskanische Armut begleit tete den Verein und seine Tätigkeit fäst durch alle die Jahrzehnte. Oft schien es soweit zu sein, daß er seine Tätigkeit einstellen werde müssen, aber immer wieder geschah das Wunder, daß er alle Krisen überwinden konnte. Durch seine drei großen Presseorgane, die „Reichspost“, „Das kleine Volksblatt“ und „Die Furche“ hat er in den letzten 80 Jahren das politische und geistige Leben Österreichs wesentlich beeinflußt. Als der Verein seine Tätigkeit begann, waren Zeitungen und Zeitschriften die einzigen Massenmedien. Heute sind dazu Rundfunk und Fernsehen gekommen, und eine Krise des Lesens scheint sich überall breitzumachen. Aber gerade in dieser Zeit haben Unternehmungen, die das Wort gedruckt weitergeben, nach wie vor ihren Sinn: Denn nur in gedruckter Form ist es möglich, Worten Bestand zu verleihen.)

Der Anfang des heutigen Unternehmens „Herold“ reicht auf das Jahr 1893 und in das Haus Wien VIII, Josefstädterstraße 14, zurück. Aus einem Beschluß des im August 1892 in Linz abgehaltenen „Dritten Allgemeinen österreichischen Katholikentages“ war die Gründung des „Unabhängigen Tagblattes für das christliche Volk Österreich-Ungarns“ — „Reichspost“ — hervorgegangen. Das Blatt hatte im Sinne jenes Beschlusses die Bestimmung erhalten, auf katholischem Grundsatzboden stehend, den Ideen der jungen christlichsozialen, von Vogelsang, Franz Maria Schindler, Aloys Liechtenstein und Lueger geschaffenen Volksbewegung ein modernes Zentralorgan der österreichischen Katholiken, wie der Subskriptionsaufruf sagte, „eine katholische, vom Mittelpunkt des Reiches aus beobachtende und berichtende Volkspresse zum Schutze von Familie, Thron und Altar“ zu werden. Ein Verein, an dessen Spitze der Druckereibesitzer und Herausgeber der in Wamsdorf, Nordböhmen, erscheinenden „österreichischen Volkszeitung“ Ambros Opitz trat, hatte die technischen Vorbereitungen für die Blattgründung, vor allem die Beschaffung einer eigenen Druckerei, übernommen, deren Ertrag zur Erhaltung des Blattes dienen sollte.

Das Werk war mit großem Elan begonnen worden. Die von Wien ausgehende stürmische Erhebung gegen die bisherige liberale Herrschaft stieß auch auf die Stellungen der alten konservativen Partei. Und die Gegensätze, die sich hier auslösten und erst in anderthalb Jahrzehnten nach und nach überwunden werden konnten, bedrohten auch die Wiege des Blattes, dem die Linzer Tagung mit ihrem feierlichen Beschlüsse Pate gestanden war. Vom ersten Tage an erschien die Eröffnung des Druckereibetriebes in der Josefstädterstraße 14 zur Herstellung einer Tageszeitung, die berufen sein sollte, mit der hochentwickelten liberalen Presse in Wettbewerb zu treten, ein Unternehmen, dessen Aussichtslosigkeit nur überboten wurde durch den Mut der Männer, die hier

Hand anlegten. Als Gründungskapital für Druckerei und Zeitung hatte man in den Aufrufen den Betrag von 50.000 Gulden bezeichnet. Erreicht hatte man wenig mehr als die Hälfte. Mit bescheideneren Mitteln war noch keine Wieher Zeitung in die Welt geschickt worden. Man mußte den Druckereibetrieb, der in einem Keller des großen Miethauses Platz gefunden hatte, ohne Rotationspresse führen, weil für den Kauf einer solchen das Geld nicht reichte. Den ganzen Maschinenbestand bildeten zwei altertümliche Flachdruckpressen und eine ebenso antike Tiegeldruckpresse; ein zweipferdiger Gasmotor besorgte den Antrieb der vorsintflutlichen Apparatur, aus der eine neuzeitliche Wiener Tageszeitung hervorgehen sollte. Eine der ersten Nummern erschien überhaupt nicht, weil einem Arbeiter der schwere Stahlrahmen einer Blattseite auf der Kellerstiege entglitten und der Letternsatz, den er umschloß, zerschmettert worden war. Da man den Aufwand für die Herstellung eines Morgenblattes zufolge der höheren Löhne für die Nachtarbeit nicht zu bestreiten vermochte, sollte die Zeitung um vier Uhr nachmittag erscheinen. Infolge des primitiven Druckvorganges, der zu langė dauerte, war die Zeitung jedoch schon veraltet, wenn sie erschien. Da der großstädtische Vertriebsapparat fehlte, kam die Zeitung viel zu spät auf den Markt und traf in den Außenbezirken nicht selten erst ein, wenn die Zeitungsverkaufsstellen schon geschlossen waren. Wenn es möglich gewesen wäre, so hätte die Ausstattung der Redaktion, die bei Gasbeleuchtung in düsteren Räumen des Halbstok- kes zwischen Bretterverschlägen ihres Berufes waltete, jene der Druckerei noch an Bescheidenheit übertroffen. Heroismus beseelte die Männer, die unter solchen Umständen aushielten. An ihrer Spitze der bisherige freie Schriftsteller Anton Weimar als Leiter der Redaktion und Ambros Opitz, der Eigentümer der Druckerei war und im Impressum der Zeitung erschien. Dieser priesterliche Zeitungsmann, der zwischen seinem großen nordböhmischen Verlagshause ■ und seinem Wiener Sorgenkinde stets unterwegs zu sein schien, war unter den Männern des Konsortiums der einzige Geschäftskundige; aber auch er hatte in der Großstadt so ganz andere Voraussetzungen eines Zeitungsbetriebes vorgefunden, als sie in seiner provinziellen Heimat für ein dreimal erscheinendes Wochenblatt bestanden. Auf seinen Schultern ruhte die ganze Sorgenlast einer kümmerlichen Gründung. Aber wenn alle schon verzagen wollten, stand er mit hartem Mute zu der übernommenen Mission. Lächelnd erwarteten jene, gegen die die Gründung der „Reichspost“ im

Namen des christlichen Volkes von Österreich gerichtet worden war, den doch offenkundig bald fälligen Untergang des unsympathischen Neulings.

Aber er ging nicht unter. Nach anderthalb Jahren eines Ringens mit Unzulänglichkeiten aller Art erreichte das Unternehmen sogar ein eigenes Heim, das Haus Strozzigasse 41 im Wiener 8. Bezirk, das von Max Freiherm von Vittinghoff- Schell, einem Mitglied des Konsortiums „Reichspost“ zur Verfügung gestellt worden war, ein zweistöckiges Gebäude mit sieben Fenstern Front und einem kleinen Hof, dessen Seitentrakte der Druckerei und dem Verteilerapparat der Zeitung Raum zu bieten hatten. Es war ein altes Haus und die Redaktion hatte noch nicht lange in seinem ersten Stock Platz gefunden, als man entdeckte, daß sie knapp daran gewesen war, durch die vermorschte Holzdecke in dem Druckereibüro des Parterre zu landen. Immerhin war der Betrieb in der Strozzigasse mit einer Rotationsmaschine ausgerüstet worden, die zwar stets zwei getrennte Druckgänge brauchte, wenn sie, nur für acht Seiten bestimmt, ein zwölf- oder sechzehnseitiges Blatt liefern sollte. Mit diesem Fortschritt wagte die Herausgeberschaft des Blattes am 1. Jänner 1896 den Sprung zum Morgenblatt. Er hätte der Zeitung und ihrer Druckerei fast das Leben gekostet. Die Unmöglichkeit, ohne Betriebskapital mit einer unzureichenden Produktionstechnik den bedeutenden Aufwand einer vollwertigen Zeitung aufzubringen, brachte das Experiment schon nach einem Vierteljahr zum Scheitern. Ambros Opitz verhinderte durch entschlossenen Eingriff am Rande des Abgrundes das Äußerste. Er, der bisher der Besitzer der Druckerei und nur als Mitglied des unter dem Vorsitz des Hofrates Univ.-Prof. Dr. Franz Schindler bestehenden Vereines an der Herausgabe der Zeitung mitgewirkt hatte, übernahm nun aus den Händen Anton Weimars auch Herausgabe und Verlag des Blattes, das zur 4-Uhr-Nachmittag-Ausgabe zurückkehren mußte.

Mühsam entrang sich das Unternehmen der drohenden Katastrophe. Bis zum Ende des Jahres 1896 stand es von Woche zu Woche vor dem Umkippen. Zu jener Zeit, in einer Periode großer Ungeklärtheit innerhalb der Reihen der Wiener „Vereinigten Christen“, zwischen nationalistischem Rassenantisemitismus und christlichsozialer und katholischer Grundsatzvertretung, wäre auch das Verschwinden des kleinen, aber richtungsicheren Blattes von nicht berechenbarer Tragweite geworden. Wäre damals nicht die Idealgestalt Schindlers, dieses Lehrmeisters christlicher Soziologie, und neben ihm Ambros Opitz gewesen, der das Beispiel glühender Opfergesinnung gab — die kleine Schar im technischen Betrieb und in der Redaktion hätte schwerlich das zähe Ausharren in Armut und Mühsal aufgebracht. So aber geschah es doch, daß langsam das Blatt Boden gewann, trotzdem keine seiner Federn einem geschulten Journalisten gehörte und der Wiener Leser in der bescheidenen Erscheinung der „Reichspost“ vieles vermissen mußte, was er von seiner Zeitung anzusprechen gewohnt war. Aber die Haltung der Zeitung in dem verwirrenden Hin und Her der entbrannten Sprachenkämpfe und dann in der schweren Reichskrise, die an der Schwelle des neuen Jahrhunderts infolge des Wahlsieges der Kossuth-Partei in Ungarn und ihrer gegen die Staatsgemeinr schaft gerichteten Attacken aus- brach, erzwang sich die Aufmerksamkeit und eroberte sich Sympathie. Es wurde zu einem politische: Ereignis, als der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand die Zeitung erkennbar mit seinem Vertrauen auszeichnete und es bekannt wurde, daß von seiner Militärkanzlei aus unmittelbare Verbindungen in die Redaktion der „Reichspost“ liefen. Die zunehmende Verbreitung des Blattes erlaubte nun auch Aufwendungen für die Druckerei und das Werben um einen größeren Kundenkreis. Freilich fehlte der bisherige erfahrene Leiter des Betriebes, Ambros Opitz, der an einer Nervenentzündung in Warnsdorf schwer darniederlag und die Geschäftsführung unter dem Titel „Ambros ppitz’ Nachfahren“ an den bisherigen Druckereibeamten Julius Ličhtner, seinen landsmännischen treuen Gehilfen seit der Gründung des Unternehmens, und den jungen Chefredakteurs der „Reichspost“, Dr. Friedrich Funder übertragen hatte.

Bestimmend griff in die Aufwärtsentwicklung der im November 1905 unter der hinreißenden Initiative des Jesuitenpaters Viktor Kolb auf dem Fünften Allgemeinen österreichischen Katholikentag in Wien ins Leben gerufene Pius-Verein durch das Aufgebot ansehnlicher Mittel und noch mehr durch eine mit noch nicht erlebter Wucht vorgetragene propagandistische Bewegung ein. Es geschah das Unvorstellbare, daß binnen eines Jahrzehnts Form, Leistung und Verbreitung des österreichischen katholischen Zeitungswesens eine vollständige Umwandlung erfuhren. Man kochte nicht mehr mit Wasser, man verließ die rückständigen Formen, man trat mit allen Mitteln moderner Zeitungsarbeit auf den Markt und hatte Erfolg.

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