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Die alte „Reichspost“

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Das Gedenken an meine „Reichspost“-Zeit gehört zu meinen liebsten Erinnerungen. Gerne erzähle ich davon. Ich sage noch heute als alter Mann, daß der journalistische Beruf für den, der nicht nur des lieben Brotes wegen schreibt und der den Anstrengungen gewachsen ist, der interessanteste, abwechslungsreichste und daher wahrlich einer der schönsten Berufe ist. Was waren wir im Jahre 1907, als die „Reichspost“ noch Abendblatt war, für eine verschworene, fröhliche Gesellschaft! Da war der Chef Dr. Funder, der Unermüdliche, der 32 Jahre später neben mir und Oberst Walter Adam ebenso unermüdlich im Vernichtungslager des Steinbruches Flossen- bürg in Oberfranken täglich zehn Stunden mit Pickel und Schaufel arbeitete, da war mein lieber, guter Landsmann Peter Thaler, der „Politische“, der seine ausgezeichneten Artikel und Polemiken so vehement mit Leib und Seele schrieb, daß alle paar Monate die Füße seines Schreibtisches neu geleimt werden mußten: da war Prummler, der Feuilletonist, der, während wir anderen nach einem ziemlich heftigen Erdbeben, das unser aus Kaiser Josefs Zeiten stammendes Zeitungsheim erschüttert hatte, noch debattierten, schon ein tadelloses Feuilleton über das Ereignis geschrieben hatte; da war der feinsinnige Musikreferent Maximilian Munz, der bei Aufführung der „Schönen Galathee“ mit einem schrecklich singenden Gast als Pygmalion einem Kollegen, der ihm zuflüsterte: „Entsetzlich!“, zur Antwort gab: „Stilgemäß zum Steinerweichen.“ Ein Wort, das am nächsten Tage in der ganzen Wiener Presse zu lesen war. Als dann die „Reichspost“ Morgenblatt geworden war und Dr. Funder, Thaler und ich abwechselnd je einen Monat lang von 16 Uhr bis 3 Uhr in der Redaktion und Druckerei Dienst taten, um dem damals bis 3 Uhr laufenden und zu verarbeitenden Depescheneingang zu entsprechen, da kam man so müde nach Hause, daß man — wenigstens ich — nicht schlafen konnte. Da erschien eines Nachts der kleine, spitznasige Metteur an meinem Schreibtisch und begehrte

Manuskripte. Ich wies ihn ab, da ich noch nicht fertig sei. Da faßte der Metteur nach meiner auf dem Schreibtisch liegenden Schere und schnitt von meinem Manuskript alle Zeilen ab bis zu der Stelle, wo meine Feder zuletzt gehalten hatte, und verschwand damit in die Setzerei. Damals hat man schreiben gelernt, ohne nachzulesen und zu korrigieren; Schreibmaschinen hat es damals noch nicht gegeben.

Ich hatte den militärischen und wirtschaftlichen Teil der Zeitung zu betreuen. Ein unbestreitbares Verdienst der „Reichspost" wurde es, daß sie in unermüdlicher aufklärender Arbeit das Verständnis für die Bedeutung der k. u. k. Marine weckte und so die Bemühungen zu deren Ausbau zum Erfolge führen half. So geschah es, daß im ersten Weltkrieg diese Marine als stählerner Eckpfeiler auf dem Meere der Isonzo- front einen Rückhalt gab und feindliche Landungen in Istrien und Dalmatien und einen Angriff auf Triest unmöglich machte. Eine aus dem Ausland eindringende Propaganda warb damals um österreichische Käufer für exotische Papiere. Als die „Reichspost" schonungslos die Hintergründe dieses Werbefeldzuges und die Schwindel- haftigkeit des Unternehmens aufdeckte, klagten die Angegriffenen das Blatt auf eine hohe Entschädigungssumme. Die „Reichspost“ gewann den Prozeß. In seiner Urteilsbegründung sprach der Richter seine Anerkennung aus, daß sie durch ihre unbestechliche Warnung die österreichischen Sparer vor schwerer Schädigung bewahrt hatte.

So erlebten wir das Ermutigende und das Beglückende unseres Berufes. Es ist jedem sachlich geschulten und gewissenhaften Zeitungsmann das Bewußtsein geschenkt, daß er wirken kann, ein Wächter am Wohl seiner Mitmenschen, der oft mehr vermag als Behörde und Strafgericht.

Dir, lieber Freund Dr. Funder, und deinen im Dienste einer großen Sache stehenden Mitarbeitern die besten Wünsche. Ich bin im Geiste bei euch.

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