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Am Hebel saß ein Junger

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Dies war einer der Gründe, die die Zeitung dem Mittelstand und der Masse entfremdete: sie war ihnen zu „hoch“. Katholisches wurde also wohl gelesen, aber hauptsächlich von christlich-sozialen Politikern und Männern der Kirche, Künstlern und Wissenschaftlern. Aber die Masse? Es gab die lokalen Kirchenblätter, den beachtenswerten Versuch des „Zweigroschenblattes“ und das „Neuigkeitsweltblatt“, das sich, am Nachmittag erscheinend, gegen eine erdrückende Übermacht andersgesinnter „Abendblätter“ tapfer zu behaupten suchte, im Chor der massiven offen oder versteckt gegnerischen Morgenblätter aber ausschied — ebenso wie die zu kurz erscheinende forsche Mittagsaus gabe der „Reichspost“ „Wiener Stimmen“.

Am Hebel des neuralgischen Punktes der „Reichspost“, dem Lokalteil, saß damals der junge, aber in seiner Größe und gedrungenen Gestalt achtunggebietende Hermann Mattier (über seine Herkunft und Persön- . lichkedt siehe Näheres demnächst im Kapitel „Die Redaktion“). Er arbeitete mit Fesseln, übersah aber die Lage. Und als nach einigem Hin und i Her die Wahl des Chefs des „Klei-

nen Volksblattes" auf ihn fiel, tat i er instinktiv und bewußt, was not war: er stopfte im neuen Blatt über-

all die Löcher der „Reichspost" und ließ ihr den Vorrang dort, wo ihre : Stärke war. Er drängte die Politik auf eine einzige von 16 Seiten zurück, die Kunst (mit Ausnahme des Films!) auf eine halbe bis ganze Spalte und spielte im übrigen die zwei Trümpfe jedes Massenblattes aus: den Lokalteil mit weitgehender Eigenberichterstattu ng und die Illustration.

Wohl war das Blatt im Fahrwasser der (christlichsozialen, später autoritär-ständischen) Regierung, aber als Gesinnungsblatt war ihm doch deutlich der Schwerpunkt, das Übergewicht des rein Katholischen anzusehen, was sich der damaligen Zeitlage entsprechend unter anderem in besonders engen Kontakten mit den katholischen Organisationen ausdrückte, die damals in und neben der Katholischen Aktion noch weitgehend ein Eigenleben führten.

Bedenkt man das alles, so ist es nicht übertrieben, zu behaupten, daß das Erscheinen des Blattes im eigenen Lager wie im gegnerischen wie eine Bombe einschlug, deren Detonation auch im christlichen Ausland aufhorchen machte.

Wie das Blatt seine Aufgabe erfüllte, an der Zeit mit allen ihren Vorzügen und Fehlem mitwirkte und schließlich im Feuer eines Weltenbrandes unterging, soll im folgenden näher ausgeführt werden.

Seltsames Vorspiel

Es steht fest, daß der berühmte kleine Mann von der Straße, die Masse gläubiger Katholiken, denen die Lektüre der sonst ausgezeichneten hochpolitischen Tageszeitung „Reichspost" zu „hoch“ war, die auch damals schon kostspielige Einrichtung einer neuen Zeitung durch Zeichnung von eigens aufgelegten Förderscheinen, auf deren Umwandlung in Aktien übrigens die meisten Förderer später verzichten, ermöglicht haben. Dies schmälert nicht das Verdienst zweier hochherziger Spender: Kardinal Piffls und Prälat Seipels, die sich mit je 150.000 Schilling (Dr. Seipels Betrag stammte vermutlich von Sammlungen innerhalb der christlich-sozialen Partei) einstellten.

Sieben Städte streiten um die Ehre, Homers Geburtsstadt zu sein. Fast so verwickelt ist es, das persönliche Verdienst dieser oder jeher Person um das Zustandekommen des „Kleinen Volksblattes“ (und die Aufbringung der ersten 450.000 Schilling dafür) nachzuweisen, von denen die meisten Personen nicht mehr unter den Lebenden weilen. Evident und über jeden Zweifel erhaben sind die Verdienste des verstorbenen Pater Bogsrucker SJ, der allerdings eine andere Vorstellung von der Struktur des neuen Blattes als Dr. Funder hatte, und des seither gleichermaßen verstorbenen damaligen Generaldirektors des katholischen Volksbundes Monsignore Jakob Fried, der die Idee, begeistert fördernd, sogar gegen das anfängliche Zaudern des allmächtigen „Reichspost“-Chefs Dr. Funder durchzusetzen wußte.

Dieses kurze Zaudern Dr. Funders war dem Chronisten, dem die Begeisterung seines verehrten väterlichen Freundes und Lehrers für so wagemutige Unternehmen bekannt ist, lange Zeit unklar, bis ihm eine tief verschüttete, fürs erste höchst abenteuerlich anmutende Spur den Weg wies.

Schwierigkeiten im „Vaterhaus“

Regierungsblätter wie die „Reichspost“, die alle unpopulären Maßnahmen der damals rasch wechselnden Kabinette, noch dazu in den wirtschaftlich labilen Zeiten der zwanziger und dreißiger Jahre, ohne Abstrich vertreten müssen, sind für finanzielle Schwierigkeiten höchst anfällig. Dazu kamen die Brandschatzung und Verwüstung des Herold-Gebäudes mit der „Reichs- post“-Redaktion durch die politischen Unruhen am 15. Juli 1927. Es gab also damals Schwierigkeiten im „Vaterhaus“, die ihrem Chef Doktor Funder die Gründung einer neuen kleinen Ausgabe nicht gerade empfahlen.

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