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Ein Leben lernen

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Im Todesjahr Grillparzers wurde Friedrich Funder als Sohn eines Zuckerbäckers in Graz geboren. Kaiser Franz Joseph war erst 42 Jahre alt und sollte noch 46 Jahre regieren. Pius IX. hatte noch sechs Regierungsjahre vor sich, er war der erste von sieben Päpste deren Pontifikate Dr. Funder erleben sollte. Der Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn war erst fünf Jahre alt. Das österreichische Parlament erst zwölf Jahre. Bosnien war noch nicht einmal besetzt.

Funders Vater wurde als Zuckerbäcker nach Dresden berufen und der junge Funder besuchte einige Jahre die Schule der königlichen sächsischen Hauptstadt. Dann kehrte die Familie nach Graz zurück, der junge Funder trat in das fürstbischöfliche Knabenseminar ein und wählte das Studium der Theologie nach Ablegung der Matura. 1892 trat eine entscheidende Wende im Leben des jungen Funder ein. Mit einigen Kollegen besuchte er den österreichischen Katholikentag in Linz, auf dem auch die Forderung nach Gründung einer christlichen Tageszeitung gestellt wurde. Einer der Hauptreferenten dieses Katholikentages war der deutschböhmische Priester und Journalist Ambros Opitz. In den nächsten Jahren kam Funder zur Einsicht, daß er nicht zum Priester berufen sei, sondern zum Journalisten. Er sattelte auf Jus um und trat in die neugegründete Tageszeitung „Reichspost“ ein, deren Herausgeber Ambros Opitz war und die der christlichsozialen Bewegung nahestand. Es war ein armseliges Erzeugnis, das mit 900 Beziehern begonnen hatte und von den Liberalen als „Kaplansblättchen“ verspottet wurde.

Funders journalistisches Naturtalent ließ aus diesem Blättchen bald eine gewichtige Stimme werden. Lueger wurde auf den jungen Journalisten aufmerksam, aber auch der Thronfolger Franz Ferdinand, der Funder sogar in den sogenannten „Belvederekreis“ aufnahm. 1903 wurde Funder Chefredakteur der „Reichspost“ und 1905 Herausgeber und blieb dies bis zum Jahr 1938. Der Tod Luegers und der Verfall der Christlich-sozialen Partei, die Ermordung Franz Ferdinands und der Untergang der Monarchie waren schwere Schicksalsschläge für Doktor Funder, der in seinem Herzen immer ein Großösterreicher und ein alter Christlichsozialer blieb. Mit Vehemenz unterstützte er die Politik Sei-pels und ebenso die Unabhängigkeit Österreichs gegen Hitler in der Zwischenkriegszeit. 1938 blieb dem bereits Sechsundsechzigjährigen das KZ nicht erspart. Das Haus Herold wurde beschlagnahmt. Nach dem KZ wurde Funder in Baden konfiniert. 1945 ging er als Dreiundsiebzig jähriger zu Fuß nach Wien und nahm das Haus Herold wieder für den Verein Herold in Besitz. Im Dezember 1945 erschien die erste Nummer der „Furche“, die Dr. Funder als einer der großen Alten der Nachkriegszeit gegründet hatte und bis zu seinem Tod am 19. Mai 1959 leitete.

Dr. Funder war als ein Kind armer Eltern geboren und er verließ diese Welt als ein Mensch, der aus Bedürfnislosigkeit arm geblieben war. Sein Reichtum war die Fülle seiner Talente und der große Charme, den ihm die Natur schenkte. Sein Leben lang hatte er seine Fehler niedergekämpft und seine Talente immer mehr entwickelt. Seine große Leistung bestand vor allem darin, daß er bis an sein Lebensende bereit war, zu lernen, Irrtümer einzusehen und neue Wege zu beschreiten. All dies formte schließlich die Größe, in der seine Persönlichkeit im Gedenken der Nachwelt fortlebt.

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