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Vom Gestern ins Heute

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Vielfach wurde die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg das Zeitalter der alten Männer genannt, und es genügt, auf die Namen Churchill, Adenauer, De Gasperi hinzuweisen, um diese These bestätigt zu finden. Das Seltsame an dieser Generation der Siebzig- und Achtzigjährigen bestand beziehungsweise besteht darin, daß sie nicht erst „Heute“ eine Rolle spielte, sondern daß sie bereits im „Gestern“, in der Zeit vor und knapp nach dem ersten Weltkrieg, eine bedeutende Tätigkeit im Spiel der Kräfte entfaltet hat. Inmitten aller Umstürze, aller Katastrophen, aller Umkehrungen der Werte ragten diese Männer wie einsame Pfeiler empor, über die eine Brücke vom „Gestern" ins „Heute“ geschlagen werden konnte, um die großen Werte der Vergangenheit in die Gegenwart hinüberzuretten, sie mit den positiven Kräf ten der Gegenwart zu verknüpfen und den kommenden Zeiten weiterzureichen. Zu dieser Generation war auch Dr. Funder zu rechnen.

Ein Porträt dieses Mannes, der seit dem Jahre 1896 ununterbrochen im öffentlichen Leben stand — die sieben Jahre der NS-Zeit abgerechnet — ist nicht leicht. Nicht leicht, weil die äußeren Daten dieses Lebens eher dürftig und ohne Anhaltspunkt für die Bedeutung und Charakterisierung Dr. Funders rasch erzählt sind. Sie geben kein Porträt des Mannes wieder, der seit Jahrzehnten nicht nur einer der bedeutendsten europäischen Journalisten überhaupt ist.

Vielleicht ist Dr. Funder schon charakterisiert, wenn man über ihn sagt: er war ein Oesterreicher. Tatsächlich war er ein Vollblutösterreicher, wie er in dieser Aus prägung selten zu finden ist und doch die Norm abgibt, nach der diese Spezies unter den europäischen Menschen beurteilt wird. Er war ein Oesterreicher: das heißt vor allem, er besaß viel Charme, jenen Charme, der Oesterreich in der Welt so beliebt machte und eines der Geheimnisse seiner Erfolge ist. Dr. Funder hatte jene Art von Charme, der die Fehler der Menschen, die er natürlich auch besaß und unter denen er oft genug am meisten litt, immer wieder erträglich machte. Dr. Funder besaß aber nicht nur Charme, sondern auch — sehr selten im deutschen Sprachraum — „Esprit“. Das heißt vor allem Humor, jenen überlegenen Humor, der über vieles lächeln, vieles verzeihen kann. „Esprit“, das heißt auch Geist, nicht jenen messerscharfen Intellekt, der mehr schadet als nützt, sondern jenen positiven Geist, der immer bestrebt ist, aufzubauen und der nur dann eine schmerzhafte Operation vornimmt, wenn es nur durch sie möglich ist, den Patienten als solchen zu retten. „Esprit“, das heißt vor allem auch Herz, ein gütiges, ein sehr hilfsbereites Herz (um das auch die „Tüchtigen des Tages“ wußten).

Dr. Funder war ein Oesterreicher, das heißt: er war bis in die letzte Faser seines Daseins katholisch. Mit der Selbstverständlichkeit des sicheren, nie getrübten, nie gefährdeten Beisitzes. Er war bis in die letzten Fasern seines Daseins katholisch, das heißt, ein allzeit getreuer Diener der Kirche, nicht des Klerus vielleicht, sondern der gesamten, der ganzen Kirche als des mystischen Leibes Christi. Dr. Funder, der sich einmal äußerte, daß der journalistische Beruf der schönste nach dem priesterlichen sei, hat in seinem ganzen Leben versucht, mit jedem Wort, das er schrieb, dem ewigen Wort zu dienen.

Dr. Funder war ein Oesterreicher, das heißt, daß manchmal seine Logik, seine Sprache eine barocke Form, dann wieder die nüchterne Klarheit des Josephinismus annehmen konnte. Er war ein Oesterreicher: das heißt, daß er sich sein ganzes Leben zu den Ideen bekannte, die der große Tscheche Palacky als die „Ideen des österreichischen Staates“ bezeichnete. Es sind die Ideen der Vereinigung der Völker, die Ideen der großen Wirtschaftsräume, die Ideen der Toleranz, der Ablehnung jedes Terrors auf politischem, wirtschaftlichem, religiösem, nationalem Gebiet. Er war ein Oesterreicher: das heißt, er war - und war sich dessen bewußt — ein Unvollendeter. Woraus manchmal eine gewisse Schüchternheit, ein mangelndes Zutrauen zu sich selbst folgte.

Vielleicht sind es zwei Wörter, die versteckt und kaum sichtbar und nur jenen, die lang um ihn leben konnten, als seine Lieblingswörter bekannt, die sein Oesterreichertum am besten verraten. Es sind die Wörter „schmerzlich“ und „vornehm“.

Im Leben jedes Oesterreichers, der seine Heimat liebt, gibt es unendlich viel Schmerzliches seit rund hundert Jahren. Seit 1854 .ging es langsam aber sicher mit der Bedeutung Oesterreichs bergab. In diesen 100 Jahren stand Dr. Funder mehr als 60 .Jahre lang an vorderster Stelle des öffentlichen Lebens. Die Schmerzen Oesterreichs waren, seine eigenen Schmerzen. Da ist der frühe Tod des Gründers der .Christlichsozialen Partei, des berühmten Wiener Bürgermeisters Dr. Karl Lueger, der 1910 stirbt und die Partei .führerlos hinterläßt, die denn auch bald in eine Niederlage treibt, von der sie sich niemals mehr erholt. Da ist der Tod des Thronfolgers Franz Ferdinand, des großen Freundes, dessen Sprachrohr Dr. Funder durch Jahre war, von dessen Thronbesteigung er eine Konsolidierung der Großmacht erhofft; da ist der Untergang der alten Monarchie, der nie verwundene; da ist der frühe Tod Seipels im Jahre 1932; da ist der Untergang der Heimat 1938. Das alles war schmerzlich und ließ Jedesmal ein Stück Herz zerbrechen, nahm aber niemals den Mut, immer wieder neu ans Werk zu gehen.

Und da ist das zweite Lieblingswort, „vornehm“: Wer Dr. Funder persönlich gesehen hat, der weiß, daß dieses Wort keine Phrase ist, denn der es manchmal und doch gerne spricht, strahlt ein Stück jener Noblesse aus, die Oesterreich in den besten Gestalten seiner Geschichte besaß, einem Kaiser Franz Joseph,

einer Maria Theresia, einer. Seipel, es ist eine Vornehmheit des Herzens, die so manche Zurückhaltung und Bescheidenheit in seinem Wesen erklärte.

Bis vor wenigen Wochen kam Dr. Funder täglich schon früh in sein Büro, um dort, unterbrochen nur von einer kurzen Mittagspause, bis in die tiefen Abendstunden zu arbeiten, eine enorme Korrespondenz bewältigend, mit einem Artikel oder Buch beschäftigt, Besuche empfangend. Aus seinem tiefen christlichen Glauben, aus seiner Liebe zu seiner Heimat kämpfte er so seit Jahrzehnten für die Notwendigkeiten des jeweiligen „Heute“, verband dadurch das „Gestern“ mit dem „Heute“ und baute der gegenwärtigen und der kommenden Generation eine Brücke ins „Morgen“. Das Schicksal der „grand old men“ Europas.

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