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Vertrag mit „Giftzähnen”

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Ist unser Staatsvertrag „der rechte Vertrag”? 30 Jahre nach der Unterzeichnung greift ein Historiker Funders kritische Auseinandersetzung mit der Vertragspolitik auf.

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Ist unser Staatsvertrag „der rechte Vertrag”? 30 Jahre nach der Unterzeichnung greift ein Historiker Funders kritische Auseinandersetzung mit der Vertragspolitik auf.

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„Ich nehme Deine letzte Frage, was ich zum jetzigen Text des Staatsvertrages sage, voraus. In einem Wort, ich halte ihn für eine Schmach und für die Quelle einer großen Zahl von Gefahren und Komplikationen. Selbstverständlich sind dem früheren Text etliche sehr gewichtige Giftzähne gerissen worden... Trotzdem bleiben immer noch der Giftzähne mehr als genug... Wir lassen uns die unter Militärzwang abgenötigten Ausnahmegesetze zur .Entnazifizierung' auf ewige Zeiten aufzwingen. Wir besitzen nun in dem unveränderten Art. 9 die sichere Gewähr von ständigen Interventionen und Drohungen, wegen unserer diversen Vereine paramilitärischer oder faschistischer Art in Unruhe versetzt zu werden. Wir stimmen ohne jedes Federlesen dem Abs. 13 des Art. 22 über das Deutsche Eigentum zu, d. h. wir rauben ganz einfach vor 1938 erworbenen Besitz deutscher Reichsangehöriger, sofern er 10.000 Dollar übersteigt. Das bedeutet, daß wir natürlich... unseren Kredit im Ausland... einbüßen. Wer wird uns jetzt noch Auslandsgeld leihen ...? Wir triumphieren über unsere Souveränität und Unabhängigkeit. Demgegenüber unterwerfen uns die Art. 34 und 35 in allen den Vertrag betreffenden Dingen, somit fast allen ohne Ausnahme, dem Ausle-gungs- und Entscheidungsrecht der vier Großmächte.”

So stand es in einem Brief zu lesen, den Friedrich Funder, der Gründer der FURCHE, am 25. Mai 1955 empfing - zehn Tage nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages, der wir heuer mit Recht so sehr gedenken.

Funder antwortete wenig später: „Ich mache mir bittere Vorwürfe, daß ich die Wahrheiten, die

Du vor mir ausbreitest, nicht selbst erkannte ... nicht öffentlich aussprach.” Der große alte Mann der österreichischen Publizistik stimmte der herben Kritik seines Briefpartners zu und machte sich zu dem Versuch bereit, „das Krummgewordene wieder gerade (zu) biegen”.

Funders Du-Partner war nicht irgendein Querulant. Es war Theodor Hornbostel (1889-1973). Seit 1912 im diplomatischen Dienst Altösterreichs und dann der Ersten Republik, hatte er von 1930 bis 1938 als Leiter der Politischen Abteilung des Außenministeriums in Wien gewirkt, und vielen galt er damals und noch nach 1945 als der beste Kopf, den die österreichische Diplomatie aufzubieten hatte. 1938 verhaftet, bis 1943 in verschiedenen KZ interniert und erst nach Kriegsende wieder nach Österreich'zurückgekehrt, war er doch nicht wieder in den aktiven Dienst eingetreten. In der ÖVP spielte er aber noch bis in die sechziger Jahre eine gewisse Rolle.

Wir wissen es: Was den beiden Briefschreibern „krumm” am Staatsvertrag vorkam, wurde seither nicht mehr „gerade”. Und wir wissen auch, daß sich ihre Besorgnis im Wesen als grundlos erwiesen, ja daß ihre Kritik 1955 den Vertragstext zum Teil sogar mißdeutete. Auch Funder und Hornbostel bemühten sich bald nicht mehr um Vertragsrevision.

Dennoch war ihr Briefaustausch mehr als eine Episode. Er markierte nämlich nicht den Anfang, sondern das Ende einer kritischen Diskussion der österreichischen Staats Vertragspolitik bis 1955, einer Diskussion, die 1953/ 54 bis in den Vorhof der tatsächlichen Entscheidungen vordrang. Der FURCHE kam in dieser Diskussion eine maßgebliche Rolle zu.

Es begann im Spätherbst 1953, als Hornbostel Funder seine Kritik an der Politik des eben aus dem Amt geschiedenen Außenministers Karl Gruber übermittelte. Den Ansatz fand die Kritik bei Grubers wirklichem, vermutlich wohl nur vermeintlichem Aktivismus in der Staatsvertragspolitik. Das Resultat unangebrachter Aktivität Österreichs wäre ein Vertragsinhalt, der geradezu an „Frivolität” grenze.

Das führte Hornbostel in einer langen Detailkritik aus, die weit über das hinausging, was Funder noch Ende Mai 1955 zu lesen bekam. Die ganze Reihe der „Giftzähne” wurde erörtert.

Funder war offenbar beeindruckt. Er begann mit einer „Kampagne”. Sie setzte ein mit

Vorwurf: Oberflächlichkeit dem Neujahrsartikel der FURCHE von 1954 - betitelt „Der rechte Vertrag”, im Gegensatz zum (unrechten) Vertragsentwurf. Diesen letzten nannte Funder einen „wunderlichen Text”, geboren aus dem „Haßgeist von Versailles” (siehe Faksimile).

Die Alternative, der „rechte” Vertrag, wurde allerdings erst am 20. März 1954 in der FURCHE etwas deutlicher. „Nochmals: Der rechte Vertrag” hieß nun Funders Beitrag, in den er erstmals wesentliche Teile der Detailkritik Hornbostels aufnahm. Daß sie notwendig geworden wäre, diente Funder und Hornbostel als Beweis der „Oberflächlichkeit” der bisherigen österreichischen Vertragspolitik.

Die Österreicher, so die angedeutete Alternative, sollten nicht diesen Vertrag anstreben, sondern einen quasi untereinander, einen intra-österreichischen, der die innere Ordnung des Landes pflege und entwickle, dem Ausland die Sorgen um Österreich nehme. Das werde die Voraussetzung für eine geduldige Politik der Revision des Vertragsentwurfes schaffen.

Im Hintergrund stand die Uberzeugung, daß der Status quo von 1954 besser, weil unter Umständen entwicklungsfähiger wäre als ein schlechter Staatsvertrag.

Was derart in der FURCHE nur zwischen den Zeilen zu lesen war, drückte Hornbostel im Oktober 1954 dann in einer Denkschrift aus, die für Julius Raab bestimmt war und von ihrem Autor dem Kanzler am 18. November 1954 auch erläutert wurde: „... der gegenwärtige Zustand der durch das 2. Kontrollabkommen regulierten Vertragslosigkeit ist somit, so schwer erträglich er für die Ostzone auch ist, der Kapitulation unter einen scheinbar freiwillig unterzeichneten Vertrag, der Österreich keine Freiheit gewährt, ohne Zweifel vorzuziehen.”

Heute, 1985, erstaunliche, geradezu bestürzende Sätze. Sie hatten direkt mit Hornbostels Einschätzung der 1954 akuten Lage des Kalten Krieges zu tun, die ihn für Österreich wenig Gutes hoffen ließ. Auch die USA kamen dabei für den österreichischen Patrioten nicht gut weg; ihre politische Räson wäre eben nicht durch die Bedürfnisse des kleinen Alpen-und Donaustaates bestimmt, son-, dem von der Entwicklung des Ost-West-Gegensatzes.

In der FURCHE spiegelte sich am 20. November 1954 einiges von dieser Skepsis gegenüber Amerika. „Eine Tür auf für Österreich” überschrieb Funder den langen Leitartikel, der unmittelbar vor Kanzler Raabs USA-Reise erschien. „Die Presse” konterte: „Keine Falltür”.

War zu diesem Zeitpunkt die Sorge um den Staatsvertragsinhalt noch nicht zum Medienzank degeneriert, so geschah das ab Jahresbeginn 1955. Hornbostels und Funders Anliegen, unautorisiert publiziert, gerieten zwischen die parteipolitischen Fronten der österreichischen Innenpolitik, wo diese sie wirklich nicht placiert haben wollten. Was die beiden daher nun noch zum Thema publizierten und brieflich austauschten, hatte nur mehr Epilog-Charakter.

Der Verfasser ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Graz. Er publiziert eine ausführliche Studie zum Gegenstand in „Geschichte und Gegenwart” Heft 3/ 1985.

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