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Aus dem Kaiserreich in die Republik

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Die Monarchie Kaiser Franz Josephs hat zwei prominente Jour- nalisten-Gestalten hervorgebracht: Dr. Friedrich Funder, den Christlich- Sozialen, Dr. Moritz Benedikt, den Liberalen, und man kann vielleicht sagen, daß die Macht Dr. Funders die des Herausgebers der „Neuen Freien Presse“ zu Zeiten noch überwog; denn es ist uns nicht bekannt, daß es Moritz Benedikt je gelungen wäre,

mit einem Leitartikel einen Minister zu stürzen. Man muß in das Frankreich Louis Veuillots gehen, um ein Gegenbild der Stellung des Herausgebers der „Reichpost“, des Begründers der „Furche“ zu finden.

Wenn also jetzt anläßlich der Wiederkehr des 100. Geburtstages Dr. Funders seine Erinnerungen in neuer Auflage erscheinen, so bedarf dies keiner Rechtfertigurig: Erinnerungen einer starken aufrechten Persönlichkeit, eines Mannes, dem Geld, Stellungen, Ehrungen zeit seines Lebens nichts bedeutet haben. Zeitgemäß auch diese Erinnerung!

Erinnerungen eines starken, stark

leidenschaftlichen Mannes, dessen Aufstieg in eine Sturmzeit fiel; in das Werden der christlich-sozialen Partei. Man erwarte in diesem Kapitel keine abgewogene historische Darstellung mit kritischer Benützung aller Quellen; es ist das Bekenntnis eines Kämpfers, dem die Bewegung einen namhaften Teil ihres Durchbruchs verdankt. In seinem abgewogenen Vorwort verschweigt DDr. Willy Lorenz nicht, daß Dr. Funder lange Zeit „ein sehr scharfer Antisemit gewesen war, wenn er auch den Rassenantisemitismus Schönerers oder Hitlers immer scharf mißbilligte“. Erst das Erlebnis des Konzentrationslagers, das er, als fast 70jähriger dahin gebracht, in Dachau und Flossenburg zu überstehen hatte, haben ihn völlig davon befreit. Das betreffende Kapitel des Buchs verschweigt die Einstellung des Kämpfers von damals keineswegs; der Rezensent würde sich eine Gegendarstellung dieser Periode etwa aus der Feder Moritz Benedikts wünschen. Als historische Quelle sind die Aufzeichnungen des Herausgebers der „Reichspost“ überaus aufschlußreich. Bemerkenswert, wie unbefangen Dr. Funder einer der umstrittensten Persönlichkeiten der letzten Jahrzehnte der Monarchie, dem Sektionschef Dr. Sieghart gegenübertrat, erkennend, daß es nicht Streben nach Geld, sondern nach „Ehre und Macht“ war, das diesen Mann im letzten bestimmte, der er zusammen mit dem „listenreichen und mißtrauischen“ Christlich-Sozialen Dr. Albert Geßmann das Du- umvirat nannte, „das in den Jahren 1906 und 1907 (also vor der großen Wahlreform) die innenpolitische Potenz außerhalb des bürokratischen Apparates bildete“; er fügte hinzu, daß Dr. Sieghart „bei seiner Pflicht als Beamter mit dem Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit war“.

Die politischen Ideale Dr. Funders lagen freilich weit ab von diesem Duumvlrat; mag sie in dem Triumvirat Lueger, Erzherzog Franz Ferdinand, Seipel erblicken. Auch wer diese Einstellung nicht teilt, wie der Schreiber dieser Zeilen, wird auch da der Darstellung Dr. Funders ihre

historische Bedeutung zuerkennen. Hier sei der besondere Wert der Schilderung der ersten Mitarbeiter der „Reichspost“ und des Kreises um das „Belvedere“ hervorgehoben.

Durch und durch das Zeugnis einer mutigen aufrechten Persönlichkeit über eine noch immer wenig gekannte, für die Geschichte Europas entscheidenden Periode Österreichs sind diese Erinnerungen Friedrich Funders wichtig; sie sind notwendig.

VOM GESTERN INS HEUTE. Aus dem Kaiserreich in die Republik. Von Friedrich Funder. Mit einem Vorwort von Willy Lorenz „Dr. Friedrich Funder — Mythos und Wirklichkeit", 3. Auflage, Verlag Herold, Wien-München. 556 Seiten, 32 Abbildungen, S 295.—.

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