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Die Bühne war zu klein

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ZU GROSS FÜR ÖSTERREICH. Seipel und Bauer im Kampf um die Erste Republik. Von Viktor Reimann. 416 Seiten. S 160.—.

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ZU GROSS FÜR ÖSTERREICH. Seipel und Bauer im Kampf um die Erste Republik. Von Viktor Reimann. 416 Seiten. S 160.—.

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Die Geschichtsschreibung über die österreichische Zwischenkriegszeit ist ein trauriges Kapitel im Geschichtsbewußtsein des heutigen Österreichers. Die Generation, die sie erlebte, besitzt vor ihr ein gewisses Unbehagen, wahrscheinlich, weil jeder in dieser Zeit einmal in irgendeiner Form unter die Räder kam. Die jüngere Generation interessiert sich nicht für sie, da die Dramatik dieser Geschichtsepoche ja noch viel zuwenig dargestellt worden ist. Aber gerade die Jahre von 1918 bis 1938 bilden das nicht bewältigte Kapitel der österreichischen Geschichte schlechthin. Um diese Zeit zu erfassen, bestünde eigentlich die Verpflichtung der österreichischen Historiker, sich ihrer Erforschung besonders anzunehmen.

Dr. Viktor Reimann ist dieser Verpflichtung bereits nachgekommen. Vor einiger Zeit legte er ein großes Werk über Kardinal Innitzer vor und vor kurzem erschien sein großes Buch über Seipel und Bauer, die beiden bedeutendsten Persönlichkeiten der Ersten Republik. Dr. Viktor Reimann hat die Zwischenkriegszeit teilweise schon bewußt erlebt. Geboren 1915 in Wien, studierte er bei Srbik und Hirsch Geschichte. Ab 1938 besuchte er das weltberühmte österreichische Institut für Geschichtsforschung. Im Frühjahr 1940 rückte er zum Militärdienst ein, wurde im November 1940 verhaftet und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Der Grund seiner Verhaftung war seine Zugehörigkeit zur Widerstandsgruppe des Klosterneuburger Chorherrn Roman Scholz, der 1944 durch das NS-Regime hingerichtet wurde. Von Mai 1945 bis Februar 1949 war Dr. Reimann stellvertretender Chefredakteur der „Salzburger Nachrichten“, widmete sich dann kurze Zeit der Politik, war Mitglied des österreichischen Nationalrates, wurde 1956 für vier Jahre Leiter des Pressebüros der Bundestheater und lebt seither als freier Schriftsteller in Wien.

Sein Fachwissen als Historiker paart sich mit seiner journalistischen Begabung und macht dadurch auch die sprödesten Stoffe flüssig und klar lesbar. Als Mitglied einer Widerstandsgruppe bewies Dr. Reimann, daß er viel Mut besaß, einen Mult, der ihn auch bei der Darstellung der österreichischen Zwischenkniegszsit nicht verließ. Reimann stellt nun in seinem Buch die Geschichte der beiden bedeutendsten politischen Persönlichkeiten der Ersten Republik dar, die sehr tragische Geschichte von Seipel und Bauer. Beide waren geniale Persönlichkeiten, die nur auf einer Bühne agieren mußten, die für ihre Genialität zu klein war. Man stelle sich Kainz und Mitterwurzer vor, für ständig verdammt, im Theater von Tetschen-Bodenbach zu spielen. Natürlich müssen in solchen Situationen, die verstärkt werden durch Hoffnungslosigkeiten, Reibereien entstehen.

Sowohl Seipel wie Bauer schätzten einander im Grunde. Allerdings den letzten Schritt zueinander konnten sie nie tun, wobei Seipel noch am ehesten dazu geneigt gewesen wäre.

Diese beiden großen Akteure auf einer zu kleinen Bühne strebten natürlich immer von dieser Bühne weg, und Reimann gelingt es ganz ausgezeichnet darzustellen, wo jeweils das Gelobte Land für die beiden großen Persönlichkeiten lag. Für Seipel, der Prälat der römischen Kirche war und Minister des kaiserlichen Österreich, dieses heimlichen Römischen Reiches, wäre es eine Art sacrum imperium gewesen, in dem er mit Recht die Rolle eines Kardinals Klehsl hätte spielen können, und für Bauer, diesen Politiker, der aus einer reichen jüdischen Familie kam, dessen Glaube aber völlig säkularisiert war, für den das auserwählte Volk die Arbeiter waren, die er in einem großen Ghetto vor den Gefahren der Welt bewahren wollte, für diesen Dr. Otto Bauer war der Anschluß an Deutschland die Heimkehr ins Ge lobte Land, an der er eben offen mit einer Inbrunst hing wie Seipel versteckt an seinem Traum vom sacrum imperium.

Bei der Beurteilung der beiden Persönlichkeiten scheint Dr. Reimann positiver Dr. Bauer als Doktor Seipel gegenüberzustehen. Dies hat sicherlich nicht seinen Grund in einer persönlichen Sympathie, aber der Historiker muß alle Quellen benützen, und leider hat Seipel ein Tagebuch hinterlassen, in dem er der härteste und unerbittlichste Kritiker seiner eigenen Person ist. Und leider kann natürlich kein Historiker an dieser Quelle vorbeigehen. Von Bauer existiert eine solche Quelle nicht. Dr. Seipel war außerdem durch viele Jahre der Leiter der österreichischen Politik. Alles, was in dieser Zeit geschah, kommt ihm nicht nur zugute, sondern belastet ihn auch. Dr. Bauer dagegen war nur relativ kurze Zeit als Minister tätig. Aber all dies kann natürlich nichts an der Größe Seipels ändern, an jener Größe, die Dr. Bauer in seinem berühmten Nachruf in der „Arbeiterzeitung“ so richtig geschildert hat.

PS: Nur am Rande sei bemerkt, daß Dr. Reimann, der doch seinen Kopf für Österreich einsetzte, bis heute weder einen Titel, noch einen Orden, noch einen der sonst zu zahlreich vergebenen Preise erhalten hat.

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