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Kein dritter Mann

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JOHANNES SCHOBER - MITTELWEG IN DIE KATASTROPHE. Porträt eines Repräsentanten der verlorenen Mitte. Von Jacques Hannak. Österreich-Profile. Europa-Verlag. 205 Seiten. DM 13.80.

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JOHANNES SCHOBER - MITTELWEG IN DIE KATASTROPHE. Porträt eines Repräsentanten der verlorenen Mitte. Von Jacques Hannak. Österreich-Profile. Europa-Verlag. 205 Seiten. DM 13.80.

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Der markante sozialistische Publizist der alten Schule Jacques Han- nak weiß die Muße, die ihm seit seinem Abschied von der Kärner- Arbeit des Tages gegönnt ist, wohl zu nutzen. Xm letzten Jahrzehnt legte er eine Reihe von Büchern und sonstigen Publikationen vor, darunter eine großangelegte Biographie Karl Renners (vgl. „Die Furche“ Nr. 16/65), die die Historiographie des österreichischen Sozialismus bereichert.

Diesmal schaut Jacques Hannak über den Zaun. Mehr als fünfzig im Wiener Polizeiarchiv ruhende und verstaubte Faszikel mit Reden, Aufsätzen, stenographischen Notizen, Briefen, Gesetzentwürfen, Drucksorten, Photos und Sitzungsprotokollen zogen seine Aufmerksamkeit an. Sie bilden den dokumentarischen Nachlaß des langjährigen Wiener Polizeipräsidenten und zweimaligen Bundeskanzlers der Ersten Republik Johannes Schober. Die Einschau ließ in dem Autor bald den Entschluß reifen, aus der Sicht der Gegenwart ein politisches Porträt dieses zu seiner Zeit bisweilen ebenso in den Himmel hinauf gelobten („Hort der Republik“1) wie in die schwärzeste Hölle verdammten Mannes („Arbeitermörder“) zu zeichnen. Seminararbeiten und Tonbandaufnahmen des Instituts für Zeitgeschichte waren dem Reifen der Arbeit von großem Nutzen.

Hannak wählte als Arbeitsmethode die Deduktion. Er stellt Thesen auf, um hernach das dokumentarische Beweisverfahren zu eröffnen. These Nummer 1: Die Tragödie der Ersten Republik war nicht, wie bisweilen behauptet wird, ein „Dreiecksstück“ zwischen Ignaz Seipel, Otto Bauer und Johannes Schober. Seipel und Bauer beherrschten allein die Szene. Es gab keinen „Dritten Mann“.

Ohne Schobers Ruf als modernen Ideen aufgeschlossener Polizeifachmann und korrekter Beamter nahezutreten, glaubt der Verfasser, daß der Herr der Polizeidirektion am Schottenring doch ein viel zu mittelmäßiger, ja in seinen Lebens- äußerungen beinahe philiströs zu nennender Mann gewesen ist, um einem Ignaz Seipel oder Otto Bauer das Wasser reichen zu können. In ihren Tugenden, wie auch dort, wo sie danebengriffen. Der „Schobermythos“ sei deshalb genauso revi- sionsbedürfig wie die — und das geht an die Adresse von Hannaks Parteifreunden — oft mehr als harten Verdammungsurteile von Zeitgenossen. Hannak lotet aber noch tiefer. Er stellt den gesellschaftlichen und soziologischen Hintergrund in Frage, vor dem und in dessen Namen Schober agierte. Es gab und es gibt in Österreich aus historischen Gründen, die Hannak durchaus diskutabel erläutert, keine aus Großbürgertum und Hochbürokratie sich rekrutierende liberale Mitte von politischer Bedeutsamkeit. Der Zug zum Zweiparteiensystem, der sich in unserer Generation empfindlich verstärkt hat, beginnt sehr früh.

Bei Jacques Hannaks publizistischen und zeitgeschichtlichen Arbeiten braucht man nicht besorgt zu sein, daß der Autor mit seiner eigenen Meinung hinter dem Berg hält und sich in die „akademische Unverbindlichkeit'“ flüchtet. Die Versuchung zum Gegenteil, zur sehr persönlichen und parteiischen Interpretation ist eher vorhanden, obwohl ohne Zweifel in den letzten Jahren bei dem Verfasser der Wille, auch andere Standpunkte zu verstehen und ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, gewachsen ist. Deshalb wird er es verstehen, daß der Rezensent, sosehr er die Hauptthese der vorliegenden Arbeit anzunehmen bereit ist, mitunter so etwas wie Mitleid mit dem völlig „demontierten“ Johannes Schober bekam und auch manche Akzente in dem Zeitbild anders setzen würde. Vor allem glaubt er, daß man der Person und noch mehr der Politik Ignaz Seipels durchaus kritisch gegenüberstehen kann, ohne ihn zum Buhmann der Ersten Republik zu machen. Die Tragödie Österreichs in jener Zeit war weder das Werk eines schwarzen Teufels noch das eines roten Satans, sondern wie der auch für sozialistische Autoren durchaus glaubwürdige Universitätsprofessor Karl J. Newman in seinem Standardwerk „Zerstörung und Selbstzerstörung der Demokratie“ (vgl. „Die Furche“ Nr. 49/1965) überzeugend dargelegt hat, die Wachstumskrise einer „Anfangsdemokratie“.

Die aus der Tragödie der Ersten Republik gewonnenen Lehren und Erfahrungen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, ist Aufgabe jener echten „republikanischen Mitte'“, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten innerhalb der beiden großen historischen Lager und quer durch sie in Österreich etabliert hat. Ihrer wird dieses Land in Zukunft, das kann heute schon gesagt werden, noch dringend bedürfen.

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