6931339-1982_30_04.jpg
Digital In Arbeit

Zeit für ein neues Urteil

19451960198020002020

Am 2. August 1932 starb Seipel, 17 Tage später Schober. Die FURCHE fragte den Sozialdemokraten Walter B. Simon, wie er diese beiden Männer der Ersten Republik sieht.

19451960198020002020

Am 2. August 1932 starb Seipel, 17 Tage später Schober. Die FURCHE fragte den Sozialdemokraten Walter B. Simon, wie er diese beiden Männer der Ersten Republik sieht.

Werbung
Werbung
Werbung

Vom November 1920 bis zum September 1933 wurde Österreich mit einer nur zweimonatigen Unterbrechung im Herbst 1930 von Koalitionsregierungen der Christlich-Sozialen mit den beiden national-liberalen Parteien, der Großdeutschen . und dem Landbund, geführt. Bei den Christlich-Sozialen war die hervorragende Persönlichkeit Ignaz Seipel, Priester und Universitätsprofessor, bei den Nationalliberalen Johann Schober, Polizeipräsident von Wien.

Seipel starb am 2. August 1932, Schober nur 17 Tage später am 19. August. Aus Anlaß des 50. Todestages beider Politiker fragte die FURCHE Univ.-Prof. Walter Simon, Universität Wien.

FURCHE: Wie würden Sie Neipel und Schober als Persönlichkeiten charakterisieren?

SIMON: Als alter Sozialdemokrat kann ich in bezug auf Seipel dem Nachruf Otto Bauers zustimmen, der Seipel als einen Marin von großem Format gewürdigt hat und als einen Gegner, der Achtung verdiente. Aus Klemens von Klemperers Biographie geht hervor, daß Seipel bis zum 15. Juli 1927 eindeutig auf dem Boden der Demokratie gestanden ist, aber von der demokratischen Politik enttäuscht war. Es scheint, daß er als Idealist und als Moralist unrealistische Erwartungen in die Demokratie gesetzt hat und sich deswegen autoritären Ideen zuwandte.

Johann Schober kam aus der besten Tradition des österreichischen Beamtentums. Zum Unterschied von Seipel verstand er, daß in der Politik keine Perfektion durchsetzbar ist, und handelte als Beamter wie als Politiker als ein staatstreuer Demokrat.

Im Zusammenhang mit dem 15. Juli 1927 sind beide von meiner Partei ungerecht verurteilt worden. Seipel hat damals die Forderung nach einer Amnestie mit der Begründung abgelehnt: „Verlangen Sie nicht, was den Schuldigen an diesem Unglück milde erscheinen könnte, aber grausam wäre gegen die junge Republik!” Eine Amnestie wäre wahrscheinlich sinnvoll gewesen. Die Verunglimpfung Seipels als „Prälat ohne Milde” war jedoch ungerechtfertigt und verschärfte die Spannung unnötig.

Zurück zum 15. Juli 1927: Die Freisprüche der Mörder von Schattendorf rechtfertigten einen Protest, aber nicht den Leitartikel in der Arbeiterzeitung, der den Protest unbillig aufputschte. Zur Rolle Schobers als Polizeipräsident berichten sozialdemokratische Augenzeugen, daß er keine andere Wahl hatte, als den verhängnisvollen Schießbefehl zu geben. Daß die unvorbereiteten Polizisten durchdrehten, hatte Schober zu verantworten. Das begründete aber keine Schuld.

Es spricht für ihn, daß er sich

Schober: „Arbeitermörder”? weder von den verleumderischen Beleidigungen von „links” noch von gleichfalls unverdienten Ausdrücken der Bewunderung von „rechts” von seinem Weg abbringen ließ: Er stimmte der Bildung einer Gemeindewache zu und formierte innerhalb der Polizei eine Alarmabteilung, die auf Konfrontation mit einem Straßenmob vorbereitet wurde.

FURCHE: Als Seipels größter Erfolg gilt die Sanierung von 1922, als Schobers größter Erfolg die Verfassungsreform von 1929...

SIMON: In meiner Partei ist die Sanierung von 1922 umstritten. Man wirft Seipel vor, auf die wirtschaftlich Schwachen, die Pensionisten und Rentner, nicht genug Rücksicht genommen zu haben. Das wäre ein Thema für Wirtschaftsfachleute.

Schober verdient für seine Rolle in der Verfassungsreform von 1929 die Anerkennung aller demokratischen Österreicher, denn er hat sie unter größten Schwierigkeiten zustande gebracht. Damit wurde nicht nur der Demokratie in Österreich noch eine Atempause von vier Jahren gegeben, die leider nicht benutzt worden ist. Damit wurde auch die Grundlage für unseren heutigen Staat gelegt, denn die Verfassung von 1929 trat dann 1945 erneut in Kraft.

Dabei beeindruckt, wie Schober die offen faschistische Heimwehr

Seipel: „Prälat ohne Milde”? durch geschicktes Taktieren ohne Blutvergießen zurückgedrängt hat. Diese war nach dem 15. Juli mit der Unterstützung aller bürgerlichen Parteien zu einem Faktor in der Politik geworden, doch Schober war unter den ersten, die die Abenteuerlust der Heimwehren richtig einschätzten und auf eine demokratische Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten setzten.

Seipel brauchte wesentlich länger dazu. Er dürfte dabei von romantischen Autoritätsgedanken inspiriert worden sein, wie sie vor allem von Othmar Spann ausgingen. Dieser befürwortete einen autoritären Ständestaat nach den

SIMON: Nach dem Zusammenbruch der Monarchie haben fast alle Österreicher mit wenigen Ausnahmen für einen Anschluß an das Deutsche Reich plädiert. Die konservativen Christlich-Sozialen hatten dabei die größten Vorbehalte. Ihnen - und mit ihnen wohl Seipel — wäre eine katholische Donauföderation wahrscheinlich lieber gewesen. Aber alle Politiker, auch Seipel und Schober, mußten sich mit dem Anschlußverbot der Siegermächte abfinden.

FURCHE: Schober wie Seipel blickten in ihrer Außenpolitik über Österreichs Grenzen hinweg ...

SIMON: Seipel hatte, wie Klemperer schreibt, schon 1925 eine Neugestaltung Europas als „bewußte Einheit aus der Vielfalt seiner Völker” gefordert.

Die von Schober konzipierte Zollunion mit Deutschland im Sommer 1931 war ausdrücklich als Vorstufe für eine europäische Zollunion gedacht. Es wäre wohl angebracht, ihm dafür heute in Straßburg ein Denkmal zu setzen. Ich hoffe, daß meine Partei, die als Mitglied der Sozialistischen Internationale Pionierarbeit für die europäische Verständigung geleistet hat, schon deswegen einer Ehrung Schobers in Straßburg zustimmen wird.

FURCHE: Wie sehen Sie die derzeitige Beurteilung Seipels und Schobers in der SPÖ?

SIMON: Ich hoffe, daß die kommenden Gedenktage unbillige Verleumdungen wie „Prälat ohne Milde” für Seipel und „Arbeiter-mörder” für Schober endgültig verschwinden lassen werden. Schober hat die Beziehungen zur Sozialdemokratie nie abreißen lassen. Seipel hat durch sein Koalitionsangebot im Sommer 1931 bewiesen, daß auch er zu den Grundsätzen der Demokratie zurückgefunden hatte. Dieses Angebot ist von den Sozialdemokraten ausschließlich auf Grund ideologisch fundierter Geschichtsperspektiven abgelehnt worden. Diese Ablehnung gehört zur unbe-wältigten Vergangenheit meiner Partei.

Das GesprSch mit Univ.-Prof. Walter B. Simon führte Felix Gamillscheg.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung