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Maschinen haben Geschichte

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„Die Werksäle des Hinterhauses sind eine Sehenswürdigkeit für sich. Sie sind weite, "“hohe, licht- und luftdurchflutete Räume, die als ideale Arbeitsstätte gelten können. Im Parterre liegt der gewaltige Rotationsmaschinensaal, in dem unsere vier großkalibrigen Geschütze untergebracht werden, Druckmaschinen, die ausdrücklich für den Zeitungsdruck bestimmt sind. Der Saal ist in der Breite von 13 Metern frei — ohne Säulen — überspannt; eine Weite, die sich in allen Sälen wiederholt und die hier zum erstenmal bei einem Privatindustriebau durchgeführt wurde. Eine ähnliche Anlage säulenloser

Räume befindet sich in Wien nur noch im neuen Technologischen Gewerbemuseum auf der Linzer Straße. Im Mezzaninsaal dieses Baues sind 15 Flachpressen, daneben ein Waschraum und Garderoben für die Arbeiter untergebracht. Ebenso wiederholt sich dieser Saal im ersten, zweiten und dritten Stock. Und zwar ist im ersten Stock die Zeitungssetzerei gelegen, die durch eine Glaswand in zwei Teile für die Handsetzer und für die Maschinensetzer abgeteilt ist. Ununterbrochen ticken und tacken in diesem Saale nun die Setzmaschinen, heult die Prägedruckpresse, welche didSäm Satz fertigen Seiten in Papier formt und für den Bieiguß vorbereitet, rattert die Rohrpost, die Manuskripte bringt.

Der zweite Stock enthält die sogenannte Akzidenzdruckerei, in welcher die zahlreichen Arbeiten für Privatkunden, .angefangen von der Visitkarte bis zum feinsten Kunstdruck, hergestellt werden. Denn die ,Reichspost“ - Druckerei erzeugt nicht nur Zeitungen, sondern auch Druckarbeiten aller Art, deren Reinertrag aber satzungsgemäß dem Ausbau der ,Reichspost“ und damit der allgemeinen Sache des christlichen Volkes zufließt.

Der Saal des dritten Stockes, in dem die

Linweinungsieier stattnnden wird, ist dritter Setzersaal gedacht. Im Dachgeschc ist die Stereotypie untergebracht, das heil jene Abteilung, in der die Bleiplatten für d Rotationsmaschinen gegossen werden, d neben die Buchbinderei und ein Speise- ui Erholungsraum für die Arbeiter.“

So berichtete die „Reichspost“ stolz in d Festnummer vom 7. Dezember 1913 über d neue, prächtige Gebäude, einen „repräsent; tiven Rahmen für das Zentralblatt der Kathi liken Österreichs“. Wie war es im alten Hai Strozzigasse 41 gewesen? Kommerzialr Bernecker, kaufmännischer Direktor d

neuen Hauses, erinnert sich: „Im kleinen alten Haus wurde in bescheidenen Kam- merln die ,Reichspost“ geschrieben und im Hoftrakt auf alten Maschinen gedruckt. Gegenüber im Bäckerhaus diente ein ebenerdiger Raum bei Nacht als Expeditionssaal, bei Tag für den Parteienverkehr und als Administrationsbüro.“

Das großzügig geplante neue Haus bot genügend Platz, es mit den damals modernsten Errungenschaften des Pressewesens auszustatten: die Erwerbung neuer Maschinen und die Neueinrichtung aller Büroräume allein hatten 200.000 Kronen beansprucht.

Im großen Rotationssaal liefen zwei Rotationsmaschinen: eine sechzehnseitige, die den Umzug der „Reichspost“ aus dem alten Haus mitgemacht hatte, und die alte, vierundzwanzigseitige Rotationsmaschine aus dem Erbe der „Deutschen Zeitung“, des ehemaligen christlichen Parteiorgans.

Direktor Lichtner, der bisherige technische Betriebsleiter, wünschte nicht, die Verantwortung für den neuen, großen Bau zu übernehmen. Eduard Stoss, bisher Angestellter des Grazer Verlagshauses Styria, fand nun als technischer Direktor der Herold-Verlags-

anstalt bald Gelegenheit, neben dem Direktor der Zeitungsverwaltung, Franz Bernecker, bei der Organisation des Druckereibetriebes im neuen Haus und beim geschäftlichen Aufbau seine großen Fähigkeiten zu beweisen.

Ein halbes Jahr nach Vollendung des „Herold“-Hauses brach der Weltkrieg aus. „Man hatte“, so schreibt Dr. Friedrich Funder, „unbewußt die letzte Stunde genutzt, die Wiener christliche Pressezentrale herzustellen. Ebensowenig wie während der Kriegsdauer wären später die bedeutenden finanziellen Mittel für diesen Bau und seine Einrichtung ohne unzulässige Verpflichtungen zu beschaffen gewesen.“

Der ungeheure Nachrichtenhunger, verursacht durch die Ereignisse des Krieges, ließ die Auflage der „Reichspęst“ auf 55.000 Stück pro Tag hinaufschnellen. 1917 mußte die maschinelle Ausrüstung des „Herold“- Hauses durch den Ankauf einer neuen zweiunddreißigseitigen Rotationsmaschine verstärkt werden. Um dem Mängel an geschulten Setzern abzuhelfen, gelang es, für diese Fachkräfte längeren Urlaub vpm Militärdienst zu erwirken. So arbeiteten also beurlaubte Soldaten neben den wenigen zurückgebliebenen militärdienstuntauglichen Druckereiarbeitern. Nur durch diese Dienstfreistellungen war es möglich, die „Reichspost“ immer wieder termingerecht herauszubringen.

Den großen Ereignissen, die sich 1918 in der Umwelt vollzogen und politisch und wirtschaftlich die Führung des Hauses vor nicht geringe Probleme stellten, begegnete der Verein Herold durch die handelsrechtliche Umstellung auf die Form einer Kommanditgesellschaft auf Aktien, mit der das Unternehmen nicht nur neue wirtschaftliche Kräfte heranzog, sondern sich auch weithin sichtbar aus der bisherigen privaten Sphäre heraushob. Das aufgebrachte Aktienkapital wurde zur Vervollkommnung der Druckerei investiert: o wurden eine Offsetanlage angeschafft, der Bestand an Buchdruck- und Setzmaschinen irweitert, schließlich wurde auch noch eine Fiefdruckanlage gekauft. Der umfangreiche Sundendruck war in der Lage, die Defizite les Hauses abzudecken, die in den wirtschaft- ichen Krisen der Nachkriegszeit, vor allem in ier großen internationalen Finanzkrise der ireißiger Jahre, das Zeitungswesen des ,Herold“-Hauses zu spüren bekam.

Die innenpolitischen Stürme gingen auch im Haus in der Strozzigasse nicht spurlos vorbei. Demonstranten leerten 1927 die Setzkästen aus und zertrümmerten manche Maichine. Der Schaden war jedoch bald wieder jehoben.

1929 kam dann das „Kleine Volksblatt“, Allerdings erschien es nicht bei „Herold“ - londern im neugegründeten Verlag „Albrecht Dürer“ in der Bandgasse am Neubau, einer Tochtergesellschaft. Zwei Rotationsmaschinen ind sieben Setzmaschinen dienten zur Herstellung dieses Blattes, das sich rasch großer Beliebtheit erfreute.

März 1938. Die neuen Machthaber gingen daran, das Wiener Pressewesen gänzlich umzustellen. Der Verlag „Herold“ und seine Tochtergesellschaft „Albrecht Dürer“ wurden von öffentlichen Verwaltern geleitet. Die „Reichspost“ war eingestellt worden, das „Kleine Volksblatt“ sollte mit der „Kronen- Zeitung“ zu einer modernen Volkszeitung vereinigt werden. Das Schicksal des „Herold“- Gebäudes war noch nicht entschieden. Da trat Direktor Franz Miholek, der Nachfolger Eduard Stoss', auf den Plan. In einer genauen betriebswirtschaftlichen Untersuchung bewies er den beiden Berliner Bevollmächtigten für das Wiener Pressewesen schwarz auf weiß, daß der geplante Umzug in das Haus Pramergasse 2, den Sitz der „Kronen-Zeitung“, vom technischen Standpunkt aus völliger Unsinn sei. Direktor Miholek behielt recht. Die „Kronen-Zeitung“ brachte als Mitgift eine moderne Rotationsmaschine in die Strozzigasse mit.

Die Übergangslage freilich war schwierig. Eine vergilbte Aktennotiz vom 1. Jänner 1939 gibt eine trockene Schilderung der Umstände, unter denen der Druckereibetrieb aufrechterhalten wurde: „Während des Umzuges der ersten Rotationsmaschine aus der Pramergasse in die Strozzigasse muß der Druck der .Illustrierten Kronen-Zeitung1 gleichzeitig zum Teil in der Pramergasse auf den restlichen Maschinen, zum Teil in der Strozzigasse mitgedruckt werden. Solange die Gießwerke in der Pramergasse stehen, müssen die geprägten Matrizen durch Radfahrer von der Strozzigasse in die Pramergasse gebracht werden. Ist die erste Rotationsmaschine der .Illustrierten Kronen-Zeitung“ in der Strozzigasse bereits in Betrieb, muß sofort das erste Gießwerk aus der Pramergasse in die Strozzi-

gasse umgezogen werden. Während die zweite Großteil der .Illustrierten Kronen-Zeitung“ in der Pramergasse abgebrochen wird, wird der Großteil der .Illustierten Kronen-Zeitung“ in der Strozzigasse auf der schon errichteten ersten zweiunddreißigseitigen Maschine und unter Hinzunahme der früheren Maschine des .Kleinen Volksblattes' erfolgen müssen, wäh-

rend der Rest auf der in der Pramergasse bis auf weiteres stehenbleiben

Maschine und-dergaftr alten zweiunddreißig- seitigėn Maschine erfolgt.“ '

Der Umzug war geglückt, dem Direktor fiel ein Stein vom Herzen. In der Strozzigasse standen nun also drei neue zweiunddreißigseitige und eine achtundvierzigseitige Rpta- tionsmaschine, außerdem wurde auf zwölf Setzmaschinen gesetzt.

Der totale Krieg stellte auch die Maschinen des „Herold“-Hauses ab.

April 1945: Die Getreuen fanden sich wieder ein. Die Druckerei nahm im Frühherbst wieder die Arbeit auf. Die Rotationsmaschinen liefen wieder an: Das „Kleine Volksblatt“ erschien wieder, allerdings im österreichischen Verlag, bald darauf im „Herold“- Verlag die erste Nummer der „Furche“.

Die steil aufwärtsstrebende Entwicklung auf dem Zeitschriften-, aber auch auf dem Buchsektor machten eine Erweiterung des Maschinenbestandes dringend notwendig. Ein neuer Rotationsmaschinensaal wurde errichtet, eine veraltete Rotationsmaschine wurde verschrottet, eine zweite — zusammen mit einem Gießwerk — nach Kärnten verkauft. 1956 wurde eine moderne zweiunddreißigseitige Rotationsmaschine angeschafft und kürzlich die Setzerei durch eine Mono- und eine TTS-Anlage erweitert.

1948 — zum fünfunddreißigjährigen Jubiläum des Hauses in der Strozzigasse — schrieb Dr. Friedrich Funder: „Der Zukunft gehen wir mit festem Willen entgegen, alles zu tun, daß dieses Haus stets seiner Bestimmung getreu bleibe, Heim und Werkstätte zu sein christlichem Geiste und der Treue zu Volk und Vaterland.“ Dieser selbstgewählte Auftrag verpflichtet auch heute noch. Vielleicht heute mehr denn je. Das „Herold“-Haus — eben ein halbes Jahrhundert alt geworden — wird auch weiterhin das publizistische Unternehmen bleiben, das — um nochmals Doktor Funder zu zitieren — „im Dienste christlicher Gesellschaftsgestaltung und österreichischen Wesens aus kleinsten Verhältnissen emporgestiegen und zu einem bedeutenden Faktor des öffentlichen und kulturellen Lebens geworden war“.

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