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Dreimal war ich stolz

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Der heutigen journalistischen Jugend ist kaum begreiflich zu machen, was vor einem Menschenalter die „Reichspost“ bedeutete. Ein Vergleich mit den heutigen Wiener Zeitungen hält nicht stand. Nicht daß die „Reichspost“ eine Auflage gehabt hätte, der heute nichts mehr gleichkäme; der von ihr unmittelbar erfaßte Volksteil aber war unendlich stärker als die sichtbare und faßbare Gemeinschaft der Bezieher.

Redakteur der „Reichspost“ sein war ein Begriff. Man fand mit dieser Visitenkarte offene Türen. Aber dreimal war ich auf meinen Berufstitel besonders stolz.

Es war während des heiligen Jahres 1925. Ich kam mit meiner Mutter nach Rom. Wie aber gelangt man an den verschiedenen Schranken vorbei zum Heiligen Vater? Die Speere der Schweizer Gardisten sind weniger gefährlich als die Schreibtische der Monsignori. Die Bemühung der österreichischen Gesandtschaft verhalf uns zu einer Audienz in einer Gruppe von dreißig Personen. So war es gesichert, Papst Pius XL zu sehen und vielleicht ein paar Worte des Segens sprechen zu hören. Sich irgendwie bemerkbar zu machen, ist im Vatikan strenge verboten und wieviel fehlte dem jungen Manne ohne Rang und ohne Namen bis zu einer Privataudienz?

Im Saale herrscht erwartungsvolle Stille. Nach langen Minuten innerer Erregung stößt der Gardist den Lanzenschaft auf den Boden, alles sinkt in die Knie. Pius XI., kleiner als die uns heute vertraute Gestalt seines Nachfolgers, tritt ein; der Heilige Vater schreitet die Reihe der Pilger ab und reicht jedem die Hand zum Ringkuß. Ein einziger Kapuzinerpater wird einiger Worte gewürdigt. Plötzlich bemerkt der Papst am Kleide meiner Mutter ein Pilgerabzeichen und fragt sie auf italienisch, woher sie komme. Sie versteht, beherrscht aber die Sprache Dantes nicht und sagt auf deutsch: „Aus Wien.“ Darauf Pius XL: „Ist der auch aus Wien?" und deutet auf mich. Ich antworte rasch: „Jawohl, Heiliger Vater, ich bin Redakteur der .Reichs- postV’ Und min folgt ein Augenblick, der vor mir steht, als wären seither nicht dreißig Jahre, sondern dreißig Minuten vergangen. Papst Pius XI. bleibt vor mir stehen: „So, so, von unserer lieben ,Reichspost’.“ Ich spüre seine Hand auf meiner Schulter und seinen Blick durch die starken Gläser in meinen Augen ruhen. Der Papst winkt dem begleitenden Monsignore. der aus seiner Tasche eine Medaille zieht. Mit einem Lächeln überreicht Pius XI. mir die Medaille, während ich es wie einen körperlichen Schmerz verspüre, daß die Blicke der ganzen Umgebung sich auf mich sammeln. Die seitlich von mir Stehenden werden gerade noch zu einem Ringkuß zugelassen und dann ist von der unvergeßlichen Szene die Erinnerung übriggeblieben.

Wenige Monate später gab es wieder einen Anlaß, die Ehre des Hauses zu empfangen, weit höher nach geographischen Begriffen, aber diesmal unter ganz schlichten Leuten.

Ich weilte an jener Dreiländerecke, da unser Tirol, das italienisch gewordene Südtirol, und die Schweiz aneinandergrenzen. Damals war es mir ein Erlebnis, den Ortler, von dem ich in der Schule gelernt hatte, er sei Oesterreichs höchster Berg, wenigstens über den Zaun schauen zu dürfen.

Abends sprach ich im Dorfgasthaus mit den Leuten. „Woas bischt denn von Beruf?“ — „Redakteur der .Reichspost““, erwidere ich dem Frager, um im nächsten Augenblick mir zu sagen, die guten Männer werden weder wissen, was ein Redakteur noch was die „Reichspost" ist. Daß wir uns doch den geistigen Hochmut nicht abgewöhnen können! Mein Gesprächspartner schmunzelt nämlich freundlich und sagt: „Nacha kennscht ja den Doktr Funder.“ Und nun muß ich im äußersten Westen des schönen Landes Tirol, wo aus dem Engadin der kalte Wind pfeift, von meinem Chefredakteur erzählen, eine Stunde lang. Die Männer verlangen genauen Aufschluß über die Redaktion, die ihnen offenkundig ein Begriff ist. Wahrscheinlich hat nur der eine oder der andere eine Folge der „Reichspost“ in der Hand gehabt; was das Blatt für Oesterreich war, haben sie von Pfarrer und Lehrer, haben sie von den politischen Mandatsträgern gehört, ein schönes Beispiel der unsichtbaren Wirkung über den im Bestellerverzeichnis erfaßten Kreis hinaus. Damals war ich wieder richtig stolz auf mein Handwerk.

Der dritte jener feierlichen Augenblicke ereignete sich über dem Meer, im schwarzen Erdteil.

Es war auf meiner zweiten Afrikareise. Wir waren von Tripolis zu den Ruinen der römischen Großstadt Leptis Magna gefahren. Gelber Stein und gelbe Sanddünen, so weit das Auge blickt; in der äußersten Ferne des Horizonts verschwimmt die Wüste in die gleiche Farbe eines von einer unbarmherzigen Glutsonne beherrschten Himmels. Hier hatten die Italiener eine Stadt geplant, Homs, das im Jahre 1931 einem aufs Wachsen angemessenen Anzug glich: innerhalb der allzu weiten Stadtmauer fand man zunächst nichts und dann nach einigem Suchen Kirche und Moschee, Kaserne und Hotel, letzteres allerdings durchweg „europäisch" und sehr gut geführt. Mit der unwillkürlichen Bewegung des Journalisten greife ich fürs erste nach einer auf einem Tische liegenden Zeitung, meines Tuns kaum bewußter als der Raucher, der sich vor allem einmal eine Zigarette anzündet. Wirklich, das Blatt ist erst zwei Tage alt und in Afrika gedruckt; es nennt sich „Avvenire di Tripoli“ (wo mögen inzwischen Redaktion und Verwaltung jenes Blättchens hingekommen sein?). Auf der ersten Seite ist eine Meldung aus Oesterreich zu lesen und der Ortsangabe „Vienna“ folgt die Einleitung: „La .Reichspost“ scrive " Das libysche Kolonialorgan schöpfte seine mitteleuropäischen Kenntnisse aus der „Reichspost".

Wie viele Zeitungsleser in allen fünf Erdteilen mögen ihr Wissen von Oesterreich, aber auch von anderen Ländern des mittleren Europa aus solchen Zitaten bezogen haben, welche auf redaktionelle Arbeit der „Reichspost“ zurückgingen? Durch Entnahme und Uebersetzung hat sich der Leserkreis vielfach verfünfzig-, wenn nicht verhundertfacht. Es war dies eine Arbeit, die mit keinem Groschen bedankt wurde. Wer die kleinste technische Erfindung nachmacht, muß schwere Lizenzgebühren zahlen, und der gedankliche Schöpfer irgendeines nur wenig geänderten Handgriffes wird reich. Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze — der Zeitung stiehlt bereits die Gegenwart das geistige Eigentum. Hätte jedes Blatt, das eine Meldung der „Reichspost" verwertete, nur einen Schilling zahlen müssen, sie wäre eine Kapitalsmacht geworden. So hatte sie „nur“ die Ehre, das Sprachrohr des österreichischen Genius zu sein.

So war ich dreimal stolz. Jahre vergingen, die „Reichspost“ bestand nicht mehr. In einem französischen Kriegsgefangenenlager gab der Geist einem Soldaten, der außer einer verlausten Uniform nichts mehr sein eigen nannte, im richtigen Augenblick ein, zu erzählen, daß er Redakteur der „Reichspost“ gewesen war. Damit war meine neue Soldatenlaufbahn gebaut; die „Reichspost“ hatte mich noch über ihr Ende hinaus gesegnet.

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