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Digital In Arbeit

Hin zum sozialen Rechtsstaat

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Die Europäische Sozialcharta ist auf die Herbeiführung des sozialen Rechtsstaates abgestellt, jenes Staates, der sich „um den Ausgleich sozialer Spannungen, um die Schlichtung sozialer Konflikte, um die Behebung sozialer Krisen, um die Verhinderung sozialer Revolutionen bemüht.“

(Willi Geiger.) Es ist jener Staat, der sich bemüht, daß auch die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen geschaffen werden, damit sich die Persönlichkeit des einzelnen frei entfalten kann.

Diesem von der Europäischen Sozialcharta mitgezeichneten Bild des um freie Entfaltung seiner Persönlichkeit ringenden Menschen kann der Staat nur dann entsprechen, wenn der einzelne seine sozialen Grundrechte trotz der Tatsache, daß sie geistesgeschichtlich von derselben Wurzel wie die klassischen Grundrechte stammen, nicht gleich ihnen als subjektiv öffentliche Rechte gegen den Staat geltend macht. Würde man nämlich den Staat in einem gegen ihn einklagbaren Individualanspruch verpflichten, für das Wohlergehen des einzelnen zu sorgen, müßte man ihm auch dazu die erforderlichen Mittel, und so auch das Recht geben, sich diese zu beschaffen. So würde also zum Beispiel ein subjektiv öffentliches Recht des einzelnen auf einen Arbeitsplatz den Staat nicht bloß verpflichten, die Vollbeschäftigung herzustellen, sondern auch aufrechtzuerhalten. Dies würde aber ohne staatliche Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt unmöglich sein. Der Staat wäre in diesem Fall verpflichtet, sozial-, wirtschafts- und gesellschaftspolitische Maßnahmen zu ergreifen. In einem sich ständig mehrenden Maße würde so der Staat, der früher mehr Schiedsrichter in den Auseinandersetzungen seines Bereiches war, vergesellschaftet und damit selbst Mitbeteiligter, aber nicht ' nur Verpflichteter sein, sondern auch ! Berechtigter werden.

Das Recht auf Arbeit führt so zum Beispiel zu einer staatlichen Be- schäftigungs- und Preispolitik, wobei es sich deutlich zeigt, daß mit : der Vermehrung der Staatsaufgaben ' der Totalitätsanspruch des Staates : zunimmt. Er, der selbst durch die Übertragung und Übernahme von Aufgaben, die über den Rechts- und : Mlachtzweck hinausgehen, vengesell- 1 schäftet wird, ist anderseits veran- : laßt, die Gesellschaft und die Reprä- I sentanten ihrer organisierten Inter- : essen, nämlich die Verbände, in den Dienst seiner Gesetzesvollziehung zu stellen. Der vergesellschaftete Staat i würde die Gesellschaft verstaat- ] liehen. Der einzelne aber, der Glied ’ einer verstaatlichten Gesellschaft i und Bürger des vergesellschafteten : Staates ist, würd durch diese mit '

der Vermehrung der staatlichen Aufgaben verbundene Zunahme des staatlichen Ordnungsanspruches, immer unfähiger und damit unfreier werden, von sich heraus freiwillig einen Beitrag zu seiner sozialen Sicherheit zu leisten. Die soziale Sicherheit würde auf diese Weise zu einer staatlichen Sicherheit werden, die den einzelnen versichert, nämlich verschließt, d. h. einschließt in den Herrschaftsanspruch des Staates.

Möglichkeiten in Österreich

Die innerstaatliche Durchführung der Europäischen Sozialcharta wird daher in einer dem Bild und Recht des Menschen entsprechenden Weise nicht in der Gewährung subjektiver öffentlicher Ansprüche des einzelnen gegenüber dem Staat, sondern vielmehr darin bestehen müssen, dem einzelnen jene Institutionen zu garantieren, die ihm die Verwirklichung der in der Sozialcharta genannten Ziele ermöglichen. Um aber dem einzelnen anzuzeigen, was der Staat institutionell garantieren will, wird es erforderlich sein, die Europäische Sozialcharta nicht generell zu übernehmen, sondern speziell auszuführen. Diese Möglichkeit spezieller Transformation ist uns in Österreich durch die Bundesverfassungsnovelle vom 4. März 1964 eröffnet worden.

In derselben Weise, in der die sozialen Grundrechte, wollen sie jene gemeinsame Grundlage des Persönlichkeitsschutzes nicht verlassen, die sie mit den klassischen Grundrechten verbindet, nicht auf ein subjektiv öffentliches Recht des einzelnen gegen den Staat angelegt sind, bedürfen sie aber der Konkretisierung durch den Gesetzgeber, da sie für sich allein als bloßer Programmsatz mit Sozialgestaltungsauftrag noch keine Vollziehungsmöglichkeit bieten. Der einfache Gesetzgeber muß dann die auf die verschiedenen Gebiete des Arbeitsrechtes, der Sozialversicherung und die übrigen Gebiete der Sozialpolitik gerichteten Gesetze beschließen. Erst auf Grund dieser Gesetze erwirbt der einzelne Bürger im Rahmen, dieses Gesetzes einen Anspruch auf Leistung.

Auf diese Weise werden die sozialen Grundrechte zu einem Sozialgestaltungauftrag an den staatlichen Gesetzgeber und in Entsprechung dessen für den einzelnen in Spiegelung der Staatsaufgaben zu rückwirkenden Reflexrechten. Für das Wesen des sozialen Rechtsstaates ist es nämlich belanglos, ob die gesetzliche Verbürgung positiver sozialer Ansprüche verfassungsgesetzlich oder einfachgesetzlich normiert wird. Dem Personwert des Menschen soll in einer der jeweiligen Wirtschaftsund Sozialsituation angepaßten Weise entsprochen werden.

Die Freiheit im Alltag

Die persönliche Freiheit hat nur dann einen Sinn, wenn auch der einzelne Bürger tatsächlich die Möglichkeit hat, in seinem Alltag von ihr Gebrauch zu machen. Da im Industriezeitalter der Gegenwart mit dem steten Anwachsen der Anzahl unselbständig Erwerbstätiger der Weg zum Eigentumserwerb über die Arbeit führt, stehen auch alle sozialen Grundrechte im Dienste der Freiheitssicherung; sie sind in diesem übertragenen Sinn auch Freiheitsrechte, weshalb die Grundrechte der Europäischen Sozialcharta den klassischen Grundrechten nicht gegenüber oder gar entgegengestellt, sondern an die Seite gestellt gehören, solange sie als Sozialgestaltungsauftrag an den Gesetzgeber dem Persönlichkeitsschutz dienen. Man könnte heute, bei der sicht- und fühlbaren Bedeutung der Sozial- und Wirtschaftspolitik fast behaupten, daß es letztlich von der Effektivität der in den Grundrechten der Europäischen Sozialcharta vorgesehenen Einrichtungen abhängt, daß heute nicht nur einige wenige, sondern alle Staatsbürger von den Grundrechten Gebrauch machen können.

(Fortsetzung von Seite 4) men ich immer gefürchtet hatte, schien aufzubegehren. Denn wie immer beginnen die Menschen bei diesen Dingen zu sparen. Steigende Kosten, geringere Einnahmen nach allen Seiten. Das Fazit war leicht auszumälen. Dazu kam noch, eigentlich eine selbstverständliche Folge der geschilderten Umstände, ein Hinausziehen von Zahlungen seitens vieler Kunden, auch an dien Herold- Veriag. Unsere Firma, die vielleicht als einziges Unternehmen ln Österreich jahrelang ohne Kredite ausgekommen war, mußte bedeutende Kredite aufnehmen. Und Kredite bringen nun einmal eine entsprechende Zimsenlast mit sich!

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, begann unser Unternehmen radikal zu sparen. Viele Unterstützungen, die wir für katholische Unternehmungen ausgegeben hatten, wurden eingestellt oder reduziert. Auch viele unserer freiwilligen Soziallleiistungen an unsere Arbeiter und Angestellten wurden gekürzt oder ganz eingestellt. Aber das Defizit der „Furche“ stieg. Es betrug 1966 1,200.000 Schilling und kletterte im Jahre 1967 auf 1,500.000 Schilling. Wir konnten uns ausrechnen, wie hoch es im Jahr 1968 sein würde. Dazu sank die Zahl der Bezieher und erreichte Ende des Jahres 1967 den Tiefstand von rund 9000. So manche bestellten die „Furche“ ab, weil sie „diese“ Furche nicht mehr wollten. Auch die Inserate gingen zurück. Das große Inserat über die Investitionsanleihe 1967, das von der „Volksstimme" an bi® ganz rechts die Zeitungen bekamen, erhielten wir nicht einmal.

Wir kürzten weiterhin unsere freiwilligen sozialen Leistungen, strichen alle Kinderbeihilfen, einen Teil der freiwilligen Altersrenten und andere freiwillige Zuschüsse. Daraufhin erschienen die Betriebsräte unserer Arbeiter — durchwegs Sozialisten — bei mir und beschwerten sich. Auf der einen Seite würden ihnen die freiwiEigen Sozialleisfcungen genommen, auf der anderen Seite werde das Defizit der „Furche“ immer größer. Sie hätten den Eindruck, daß nur bei ihnen, aber nicht bei der „Furche“ gespart werde. Im Betrieb sagte ein Arbeiter, indem er auf den Gang zeigte, wo die „Furche“ umbrochen wird, „hier liegen unsere freiwilligen Kinderbeihilfen“. Ob die Betriebsräte nun recht haben oder nicht, ich fürchte, daß auch ihnen jetzt nicht der Vorwurf erspart bleiben wird, sie hätten die „Furche" abgewürgt oder wären Agenten westdeutschen Kapitals und stünden im Sold von Franz Josef StrauSs oder gar Dr. Otto Habsburgs...

Die letzte Wolke

Über unser Haus zog sich seit Frühjahr 1967 eine weitere drohende Wolke zusammen. Seit diesem Zeitpunkt ungefähr wußte ich von den Plänen zur Einstellung des „Volksblattes“. Jetzt, da diese Einstellung fast Wirklichkeit geworden war, kann ich darüber reden, früher wäre es eine Verletzung des Geschäftsgeheimnisses gewesen. Der Verlust dieses großen Druckauftrages hätte für uns schwerwiegende Folgen gehabt. Rund 60 Arbeiter und Angestellte hätten ihren Arbeitsplatz verloren, die Allgemeinkosten wären gestiegen, dadurch auch das Defizit der „Furche“ zusätzlich größer geworden, hohe Abfertigungen wären zu zahlen gewesen.

Ich versuchte mit meinen schwachen Kräften zu tun, was ich konnte, um dieses Unheil abzuwehren. Dem Herrn Bundeskanzler, der Mitglied des Vereines Herold ist, und anderen hohen Funktionären der ÖVP versuchte ich klarzumachen, daß meiner bescheidenen Meinung nach eine Partei wie die ÖVP nicht ohne Zentralorgan bestehen könne.

Um aber auch einen aktiven Plan zur Rettung des „Volksblattes" vorzubringen, schlug ich die Gründung einer Gesellschaft vor, der außer dem österreichischen Verlag und dem Verlag Herold auch der Sankt Pöltner Preßverein, der Öberösterreichische Landesverlag und der Salzburger Preßverein angehören sollten. Diese Gesellschaft sollte das „Voibsblatt“ in Wien herausgeben, die Zentralredaktion in Wien haben, in den Landeshauptstädten dagegen nur Lokalredaktionen. Durch die derzeitigen Verkehrsverhältnasse wäre es jederzeit möglich, das Blatt in Wien zu drucken und die mutierten Ausgaben rechtzeitig in die Landeshauptstädte und österreichischen Länder bis Salzburg einschließlich zu bringen. Es war eigentlich ein Abglanz des seinerzeitigen „Furche“- Planes, beschränkt auf die österreichischen Länder, und viel Geld wäre jenen Beteiligten erspart geblieben, die unter der Last ihrer Zeitungen seufzten.

Ich erlitt damit ebenso Schiffbruch wie mit dem seinerzeitigen „Furche“- Plan. Einer der ausersehenen Gesellschafter, der ein Eckpfeiler dieser „Volksblatt“-Ges. m. b. H. gewesen wäre, erklärte, sich aus internen Gründen daran nicht beteiligen zu können, und so frl dieser Plan wieder in sich zusammen.

November 1967

Anfang November 1967 tagte das Herausgeberkomitee im Heroldhaus und bat mich zu Ende der Sitzung zu sich. Sichtlich bewegten Herzens erklärten mir die Herren, daß das Komitee angesichts der Lage der kommenden Generalversammlung des Vereines Vorschlägen werde, die „Furche" so lange wie möglich zu halten, aber auch hier radikale Sparmaßnahmen zu ergreifen, die vor allem in der Kündigung des Chefredakteurs sowie zweier weiterer Mitglieder bestünden. Die Zeitschrift solle von einer möglichst kleinen Redaktion geleitet werden (ähnlich hatten ja auch die frühe „Weltwoche“ und das „Heute“ einen minimalen Redaktionsstab).

Mit Herrn Chefredakteur Doktor Skalnik hätten die Herren gesprochen und ihm die Schwere der Situation geschildert. Da er aber lange zum Hause gehört habe, wolle man Sorge für seine Zukunft tragen. Die Herren hätten Dr. Skalnik versichert, alle Bemühungen daranzusetzen, ihm einen entsprechenden

Posten im kulturellen Bereich, der sogar wesentlich höher dotiert sei als sein derzeitiger Posten als Chefredakteur, zu verschaffen. Da dem Verein Herold wie auch dem Herausgeberkomitee der „Furche“ sehr bekannte und einflußreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens angehörten, wären solche Bemühungen sicherlich von Erfolg gekrönt gewesen. Doch habe Dr. Skalnik das Angebot dankend abgelehnt und versichert, sich einen eigenen Wirkungskreis suchen zu wollen.

Die ordentliche Generalversammlung vom 28. November entschied tatsächlich im Sinne dieses Antrages, und ich wurde beauftragt, Dr. Skalnik mitzu teilen, daß sich das Haus Herold aus den angegebenen Gründen leider verpflichtet sehe, das Dienstverhältnis mit ihm unter Wahrung aller Rechte zu lösen. Gemäß meinem Dienstvertrag, der mich verpflichtet, die Aufträge der Generalversammlung durchzuführen, mußte ich den entsprechenden Brief schreiben.

In der letzten Zeit wurden in Österreich die Dienstverträge mit einigen Chefredakteuren gelöst, so mit Dr. Portisch vom „Kurier“, mit Kreuzer von der „Arbeiter-Zeitung“ mit Schramm-Schiessl vom „Volksblatt“. Fast niemals wunde in diesen Fällen von einem „Putsch“, von Verletzung „gesamtösterreichischer Interessen“, von „Niederträchtigkeit“, „gepflegter Charakterlosigkeit“ (Dr. Heer) usw. gesprochen. Im Gegenteil, in einem Artikel vom 2. Dezember 1967 verteidigte DDr. Günther Nenning in der Grazer „Kleinen Zeitung“ das Recht des Verlegers, einen Chefredakteur zu kündigen, ob diese Kündigung nun richtig oder nicht richtig erscheint. Warum nur im Falle der „Furche“ dem Eigentümer dieses Recht nicht zuerkannt wurde, darüber möge sich jeder selbst seine Gedanken machen.

Das große Zeitungssterben, da ich vor mehr als zehn Jahren befürchtet habe, ist inzwischen eingetreten. Es ist eine Welterscheinung. Das arme Wien in der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre besaß noch 15 Tageszeitungen, das heutige Wien hat nur noch acht. In ganz Österreich sollen nur noch sehr wenige Tageszeitungen aktiv sein, die anderen bedürfen der mannigfaltigsten Hilfen.

In den Vortragenden Zeilen wurde versucht darzulegen, wie ein an sich kleines, aber wichtiges Blatt von seinem Verleger und Eigentümer immer wieder zu halten versucht wurde und wird, obwohl ihm hierbei wenig Hilfe von jenen zuteE wurde, die ohne Beweise behaupteten, der Eigentümer wolle es „abwürgen“.

Dies ist die „Inside Story“ der „Furche“ seit 1959 bis 1967. Ohne sie zu kennen, ist ein objektives Beurteilen der ganzen causa ausgeschlossen.

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