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Soziale Grundrechte für uns?

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Immer wieder hört man im sozialpolitischen, aber auch in verfassungsrechtlichen Diskussionen den Ruf nach der Aufnahme „sozialer Grundrechte“ in die österreichische Rechtsordnung. Verschiedene Ausgangspunkte führen zu solchen Erwägungen: Einmal geht es um die Frage der Ratifikation der Europäischen SozialOharta, in der wichtige sozialpolitische Grundsätze niedergelegt sind. So fixiert das Abkommen in seinem ersten Teil Rechte auf Arbeit, auf angemessenes Arbeitsentgelt, auf gerechte Arbeitsbedingungen, auf soziale Sicherheit, auf geeignete Berufsausbildung und umschreibt in einem zweiten Teil durch konkretere Verwaltungsnor-men, wie diese Grundsätze auszuführen sind. Österreich hat die Charta im Juli 1963 unterzeichnet. Diese Unterzeichnung erfolgte allerdings unter dem — berechtigten — Vorbehalt, daß einer Ratifizierung des Abkommens gewisse inneröster-reichdsche lagdstiische Hindernisse entgegenstünden und diese deshalb auf erhebliche Schwierigkeiten stoße.

Ein weiteres internaitioiniales Abkommen, das auch „soziale Grundrechte“ enthält, ist die Konvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, die in der Generalversammlung der UNO im Jänner 19C7 beschlossen wurde. Auch über die Ratifikation dieses Abkommens, die freilich ähnlich schwerwiegende Probleme mit sich bringen würde, wird gesprochen.

Ein weiteres Faktum: In Österreich sind die Vorbereitungen für die Neufassung eines Grundrechtskata-loges im Gange. Das vom Bundeskanzler dazu eingesetzte Grund-rechtskoilegdum wird zweifellos auch über die verschiedenen sogenannten „sozialen Grundrechte“, wie sie der erste Teil der europäischen Sozialcharta zum Inhalt hat, beraten.Bei allen diesen Erörterungen tritt eine Fülle von Fragen auf, für deren Beantwortung es notwendig ist, sich zunächst über das Wesen und den spezifischen Inhalt „sozialer Grundrechte' klar zu werden. Erst darauf aufbauend kann eine vernünftig Lösung für das grundsätzlLiche Problem des Einbaues solcher Rechte in die österreichische Rechtsordnung gefunden werden. Allen „sozialen Grundrechten“ liegt der Gedanke zugrunde, daß jedes Mitglied der Gemeinschaft ein Recht auf eine menschenwürdige Existenz habe, di organisierte Gemeinschaft, der Staat, aber verpflichtet sei, dem einzelnen diese zu garantieren.

Zum Anliegen „Freiheit“ kommt heute das bedeutende Anliegen nach persönlicher Sicherheit. Man erachtet „Sicherheit“ für erforderlich, um den Gebrauch der Freiheit zu gewährleisten. Der Garantie der Sicherheit der Individuen sollen nun die „sozialen Grundrechte“ dienen.

Wenn man von „sozialen Grundrechten“ spricht, hat man nicht jene Freiheitsrechte dm Auge, denen ein gewisser „Sozialbezug“ zukommt, wie etwa die Koalitionsfreiheit oder die Versammlungsfreiheit. Die sozialen Grundrechte“ wollen vielmehr dem Individuum durch Gewährung von Ansprüchen auf Leistungen eine menschenwürdige Existenz sichern. Ihrer Natur nach sind daher diese Rechte etwas anderes als die „klassischen“ Grund- und Freiheitsrechte, wie sie sich seit der Französischen Revolution des Jahres 1789 herauskristallisiert halben und wie sie auch in unserem Grund-rechitskatalog posittviert sind.

Die Freiheätsrechte sind auf ein Unterfassen des Staates gerichtet. Im Gegensatz dazu wollen die sozialen Rechte den Staat zu einem positiven Tätiigwerden veranlassen.

„Soziale Grundrechte“ sind ihrem Wesen nach nur Grundsätze, die der Konkretisierung noch bedürfen, um durchführbar zu sein. Auch hierin liegt ein grundlegender Unterschied zu den Freiheitsrechten, die an sich absolute Rechte sind. Das bedeutet, daß sie einmal normiert, keiner näheren Umschreibung bedürfen, um voll anwendbar zu sein. Eine nähere Regelung ist nur dann erforderlich, wenn und sofern man sie beschränken möchte. Die „sozialen Grundrechte“ hingegen sind überhaupt erst nach einer näheren inhaltlichen Ausführung anwendbar. Dazu ein Beispiel: Wenn der Gesetzgeber etwa die freie Meinungsäußerung garantiert, so bedeutet das ein Recht, das — auch ohne jede weitere Konkretisierung — einen festen Inhalt hat und eine Freiheitssphäre gewährt; nur eine Beschränkung würde einer gesetzlichen Ausfüllung des Grundrechts bedürfen. Anders etwa beim Recht auf Arbeit: Die Normierung eines solchen positiven Rechts allein hat erst programmatischen Charakter — damit es effektiv wird, ist eine Ausfüllung und Konkretisierung erforderlich.

Diese Wesensunterschiede muß man vor Augen haben, wenn man daran geht, sich zu überlegen, in welcher Form derartige positive, soziale Rechte in die österreichische Rechtsordnung Eingang finden können. Der naheliegendste Gedanke, auch soziale Rechte als durchsetzbare subjektive Rechte im Verfassungsrang zu konstruieren, erweist sich bei näherem Hinsehen als nicht gangbar, vor allem, weil es an der Duirchsetabarkeit mangeln muß. In einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Ordnung fehlt nämlich — worauf erst jüngst wieder Theodor Tomandl hinwies —die staaiäiche Verfügungsmacht über das Anspruchsobjekt. Würde man „soziale Grundrechte“ als subjektiv-öffentliche Rechte gestalten, so wäre es notwendig, dem Staat auch die Möglichkeit zu Eingriffen im weitesten Umfang einzuräumen. Das aber würde zwangsläufig zu einer Einengung der Sphäre individueller Freiheit und zur Ausweitung der Staatsallmacht führen. Die soziale Sicherheit würde zu einem Komplex staatlicher Eingriffe, die mit der Gefährdung der freien Persönlichkeit Hand in Hand ginge. Damit aber käme es zu einer Verletzung des grundlegenden Gedankens der Würde des Menschen.

Ein nahezu unüberwindliches Problem ergibt sich überdies aus der Abhängigkeit sozialer Rechte von den Gegebenheiten des wirtschaftlichen und sozialen Lebens. Einerseits bedürfen gerade „soziale Grundrechte“ zur Effektivität der Konkretisierung und näheren Inhaltsbestimmung. Anderseits sind sie in ihrer Verwirklichung von derart vielen Gegebenheiten allgemein volkswirtschaftlicher Natur abhängig, daß sie besonders elastisch formuliert sein müßten, um nicht nur aus Gemeinplätzen und Unwahrhaf-tigkeiten zu bestehen. Auch aus dieser Widersprüchlichkeilt ergibt sich, daß eine Positivierung „sozialer Grundrechte“ als subjektive Forderungsrechte, wenn man es mit den formulierten Ansprüchen ernst meint, undurchführbar ist. Diese Methode der Gestaltung, die für die Freiheitsrechte geschaffen wurde, ist den „sozialen Grundrechten“ einfach inadäquat.

In der Diskussion werden noch verschiedene andere Wege aufgezeigt, um „soziale Grundrechte“ in die österreichische Rechtsordnung einzubauen. Dabei ist zunächst auf die Möglichkeit der Positivierung in der Form von programmatischen Erklärungen hinzuweisen. Die Programmsätze kämen dabei zur bereits bestehenden Rechtsordnung hinzu, ohne diese zu verändern. Solchen Grundsätzen kommt vor allem eine politische Bedeutung zu, könnte doch dadurch die Rechtsentwicklung auf dem Gebiet des Sozialrechits in entscheidender Weise vorherbestimmt werden. Der österreichischen Rechts- und Verfassungsordnung ist diese Art des Einbaues von Grundsätzen bisher allerdings völlig fremd. Auch liegt in dieser Form eine große Gefahr, daß nämlich — sei es gut gemeint, sei es aus demagogischen Erwägungen — bei der Formulierung irreführende Phrasen in die Verfassung Eingang finden. Ginge man so vor, würde man etwa den ersten Teil der Charta unkritisch zu innerösterreichisch geltendem Recht machen, so läuft man Gefahr, das zwar alte, aber durchsetzbare und wirkungsvolle System der Grundrechte in Österreich mit programmatischen Erklärungen zu vermengen und damit unweigerlich zu verwässern.

Weitere Möglichkeiten der Gestaltung wären die Einkleidung „sozialer Grundrechte“ in das Gewand von Einrichtungsgarantien. Dagegen bringt Tomandl vor, daß die Einrich-tungsgaranitie ihrem Wesen nach auf Beharrung angelegt sei, während die expansiven „sozialen Grundrechte“ einen permanenten Entwicklungsprozeß fordern. Weiter könnte man eine Institutionailisierung in der Weise ins Auge fassen, daß eine betreffende Materie zur Besorgung an bestimmte Organe verwiesen wird. Van der Ven erwähnt noch die Möglichkeit des Einbaues in Form einer Formulierung wie etwa: „Es ist Aufgabe der Regierung, für gerechte, sichere und gesunde Arbeitsbedingungen Sorge zu tragen.“ Eine weitere Spielart dieser Möglichkeit ist schließlich die Aufstellung konkreterer Verwaltungsnormen, in denen die Grundsätze der Gesetzgebung und

Jedoch auch bei all diesen Formen bestehen Schwierigkeiten: einerseits könnten infolge knapper Formulierungen unklare Bestimmungen entstehen und anderseits würde auf diese Weise der Rechtsordnung eine bestimmte — einseitige — wirt-schafts- oder sozialpolitische Richtung gegeben. Dazu kommt, daß man damit auf gewissen Gebieten Staatstätigkeiten forcieren würde, die ohne Schwierigkeiten und Bedenken im Sinne des Sufosidiaritätsprinzips auch anderen gesellschaftlichen Gruppierungen, wie den Kammern und Verbänden, anvertraut werden könnten.

Alle dargestellten Möglichkeiten des Einbaues „sozialer Grundrechte“ in eine bestimmte Rechtsordnung würden Konsequenzen mit sich bringen, die zweifellos nicht gewollt sind: Zu den erwähnten unliebsamen Folgen kommen die Bedenken, daß die Normierung „sozialer Grundrechte“ in Verfassungsrang einen entscheidenden Schritt zur völligen Sicherheit und Abkehr von dem Gedanken der persönlichen Freähei(t bedeuten würde. Vor allem aber ist es die Tatsache, daß durch den Einbau solcher Rechte in eine Verfassung, die wie die österreichische wirtschaftspolitisch weitgehend neutral ist, diese Verfassung einen bestimmten wirtschaftspolitisohen Inhalt bekäme. Diese einseitige Ausrichtung könnte nur durch die Erfassung von Normen einer „Wirt-sAaftsverfassung“ verhindert werden, in der grundlegende Bestimmungen über die Wirtschaftsordnung und Grundsätze der Wirtschafts-und Sozialpolitik festzulegen wären. Aber auch die Schaffung einer solchen Wirtschaftsvenfassung würde einen völligen Umbau der österreichischen Bundesverfassung bedeuten.

Mit Recht weist aber Tomandl darauf hin, daß das entscheidende Ziel die gesellschaftliche Anerkennung der „sozialen Grundrechte“ sowie ihre sach- und zeitgemäße Konkretisierung durch einfaches Gesetz sei, nicht aber ihre verfassungsrechtliche Verankerung. Und tatsächlich: Sind uns die „sozialen Grundrechte“ als Verfassungsbestimmungen

eigentlich echtes Anliegen? Bei der in Österreich herrschenden Rechtslage auf dem Gebiet des Soziallrechts hat jeder einzelne die Möglichkeit, seine Ansprüche vor den Behörden geltend zu machen. Die bestehenden Rechtsdnrichtungen sichern dem einzelnen sowohl weitreichende soziale Ansprüche als auch die Durchsetzung dieser Ansprüche. „Soziale Grundrechte“ in welcher Art immer formuliert, würden hier keine Änderung bringen — weder was den materiellen Inhalt noch was die Durch'setzungsmöglttchkeiten betrifft.

Zur Frage der Ratifikation der Europäischen Sozialcharta empfahl Schambeck den Weg der speziellen Transformation in die österreichische Rechtsordnung.

Für die beiden in Diskussion stehenden internationalen Vereinbarungen, die Europäische Sozialcharta und die Konvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der UNO, stellt sich jedoch die grundsätzliche Frage, öb eine Transformation in die österreichische Rechtsordnung überhaupt angebracht ist. Bedenken bestehen hier vor allem, weil auf diese Weise „soziale Grundrechte“ unharmonisch zu einem bereits ausgebauten, gewachsenen System sozialer Rechte hinzutreten würden.

In jenen Ländern, in denen die Verwirklichung der Idee sozialer Rechte schon in weit fortgeschrittenem Stadium ist — und dazu gehört auch Österreich —, hinken „soziale Grundrechte“ den Ereignissen nach. Für den Staatsbürger ist es viel wichtiger, seine sozialen Ansprüche durch konkrete, sinnvolle Gesetze, die sich in die Gesamtrechnung einfügen, verbürgt zu haben, als „soziale Grundrechte“ zugesprochen zu bekommen, die keinen konkret faßbaren Inhalt haben können, aber zu Divergenzen und Unsicherheit in der Rechtsordnung führen würden. Steht es wirklich dafür, um der Optik willen alle diese Schwierigkeiten und Gefahren auf sich zu nehmen? Gerade ein solches „Dazugeben“ brächte aber eminente Gefahren für die Rechtssystematik und die Rechts-klarheit und damit auch für die Rechtssicherheit imflt sich.

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