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Familie — vernachlässigte Gemeinschaft

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Wohl zu allen Zeiten war man sich mehr oder weniger darüber klar, daß der Familie als der Quelle des menschlichen Lebens und der Keimzelle der Gesellschaft eine überragende Bedeutung in der sozialen Ordnung zukommt.

Solange freilich noch die alte feudale Ordnung bestand, die ihrer ganzen Struktur nach familien- haften Charakter trug, verstand sich allerdings der Gedanke des Familienschutzes von selbst und bedurfte keiner besonderen gesetzlichen Beurkundung. Mit dem Entstehen der modernen Gesellschaftsordnung, die in keiner Weise mehr auf der Familie aufgebaut ist, trat jedoch eine wesentliche Aenderung ein, die den Zeitgenossen damals freilich nicht gleich bewußt wurde. Noch stand ja auch — zumindest im privaten Bereich — die Familie als eine Art „ruhender Pol" inmitten der sich allenthalben wandelnden gesellschaftlichen Zustände da, so daß zunächst noch niemand daran dachte, daß die Familie in der neuen Gesellschaftsordnung eines besonderen verfassungsrechtlichen Schutzes bedürfe.

Angesichts dieser Gefahr erkannte man bald in zahlreichen Staaten der Welt, daß zur Erhaltung der Familie neben verschiedenen Maßnahmen wirtschaftlicher Natur auch die Gewährung eines verfassungsrechtlichen Schutzes notwendig sei.

So stellte Deutschland in der Weimarer Verfassung vom Jahre 1919 „die Ehe als Grundlage d?s Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter den besonderen Schutz der Verfassung“ und bezeichnete die Reinerhaltung, Gesundung und soziale Förderung der Familie als Aufgabe des Staates und der Gemeinden Artikel 119.

Auch die vorfalangistische Verfassung Spaniens 1931 sicherte dep Familien den besonderen Schutz des Staates zu. Die Verfassung Portugals 1933 weist dem Staate die Aufgabe zu, die Bildung und den Schutz der Familie nicht nur als „ Quelle ‘der Efliältiing uffd Entwicklung des Volkes", sondern auch als „Hauptgrundlage der Erziehung und der sozialen 1 Harmonie und als eines Fundamentes der politischen und administrativen Ordnung“ zu garantieren Artikel 12. Die aus dem Jahre 1937 stammende Verfassung’ Irlands erkennt die Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“ und „notwendige Grundlage der sozialen Ordnung“ an Artikel 41.

Nach dem zweiten Weltkrieg, der inmitten allgemeiner Verwüstung und Zerstörung den hohen Wert gesunder Familien besonders deutlich erkennen ließ, griff die Erkenntnis von der Notwendigkeit, die Familie verfassungsrechtlich zu schützen, immer mehr um sich. So haben nach einer Zusammenstellung des Demographischen Institutes in Paris im ersten Jahrzehnt nach 1945 nicht weniger als 33 Staaten Familienschutzartikel in ihre Verfassungsurkunden aufgenommen!

Vor allem hat auch die Generalversammlung der Vereinten Nationen in ihrer „Deklaration der Menschenrechte" vom 10. Dezember 1948 folgendes Grundrecht der Familie ausgesprochen:

„Die Familie bildet den natürlichen und fundamentalen Grundstein der menschlichen Gesellschaft und hat Anrecht auf den Schutz durch die Gesellschaft und den Staat.“

Diese allgemeine Deklaration hat durch die „Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ vom 4. November 1950, der zahlreiche europäische Staaten, darunter auch Oesterreich, beigetreten sind, eine gewisse Ergänzung gefunden.

In der österreichischen Bundesverfassung hat — im Gegensatz zu fast allen europäischen Staaten — das Grundrecht der Familie bisher keinen Niederschlag gefunden, so daß heute Oesterreich hierin in der verfassungsrechtlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte weit zurückgeblieben ist.

Dabei würde der Beitritt Oesterreichs zur „Europäischen Konvention“ einen willkommenen Anlaß bieten, eine entsprechende Ergänzung in unserer Bundesverfassung vorzunehmen, um endlich auch den österreichischen Familien jener verfassungsrechtlichen Schutz zu garantieren, dei den Familien anderswo bereits längst zuerkanni worden ist.

Tatsächlich hat die österreichische Bundesregierung auch vor kurzem dem Nationalrat den Entwurf eines Bundesverfassungsgesetzes vorgelegt, mit dem die erforderlichen Bestimmungen zur Erfüllung der von Oesterreich durch die Ratifikation der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zum Zusatzprotokoll übernommenen Verpflichtungen getroffen werden sollen. Nach diesem Gesetzentwurf soll dem Artikel 7 der österreichischen Bundesverfassung ein Absatz 3 folgenden Wortlautes angeschlossen werden:

„Der Bund und die Länder haben in Gesetzgebung und Vollziehung für die Achtung des Privat- und Familienlebens vorzusorgen.“ „Achtung des Privat- und Familienlebens“

— ist das alles, was den österreichischen Familien verfassungsrechtlich zugestanden werden soll? Wo ist das stolze Bekenntnis zur Familie geblieben, wie es die „Weimarer Verfassung“ kannte, oder die feierlichen Zusagen zur staatlichen Förderung der Familie, wie sie die italienische, die portugiesische, die irische und viele andere europäische Verfassungen aussprechen? Was ist aus dem „Anrecht der Familie auf den Schutz durch die Gesellschaft und den Staat“ geworden, das doch im Artikel 16 der UNO- Deklaration der Menschenrechte feierlich erklärt wurde?

„Achtung des Privat- und Familienlebens"

— das ist ja kaum mehr, als den österreichischen Staatsbürgern schon bisher durch das Staatsgrundgesetz vom Jahre 1867 im Schutz des Hausrechtes und des Briefgeheimnisses ohnedies bereits längst verfassungsrechtlich garantiert war!

Wir wollen doch nicht eine mehr oder weniger gelungene Aufwärmung alter Staatsbürgerrechte aus dem alten Freiheitskatalog des 19, Jahrhunderts, sondern eine wirklich moderne Verfassungsbestimmung, die auf die inzwischen überall in der Welt anerkannte Bedeutung der Familie für das öffentliche Leben auch verfassungsrechtlich entsprechend Rücksicht nimmt, wie dies anderswo geschehen ist.

Merkwürdigerweise hat der oberwähnte Regierungsentwurf in seiner ersten Fassung noch eine den Kern der Sache besser kennzeichnende Formulierung aufgewiesen; er hieß nämlich:

„Der Bund und die Länder haben in Gesetzgebung und Vollziehung der Familie besonderen Schutz und besondere Förderung angedeihen zu lassen und für die Achtung des Privatlebens vorzusorgen."

Warum hat man die den Familien gegebene Zusage des Schutzes und der Förderung durch die Bundes- und Landesgesetzgebung in die farb- und wertlose Vorsorge für die „Achtung des Privat- und Familienlebens“ umgefälscht?

Haben die österreichischen Familien nicht mehr verdient?

Man lasse doch nicht diese günstige Gelegenheit vorbeigehen, um auch den österreichischen Familien jene verfassungsrechtlichen Garantien zu gewähren, die ihnen nun schon allzulange vorenthalten wurden. Es könnte dies am besten durch eine Novellierung des Artikels 1 der österreichischen Bundesverfassung geschehen, der dann zu lauten hätte:

„Oesterreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus. Keimzelle des Volkes ist die Familie, die zu schützen und zu fördern vornehmste Aufgabe des Staates und seiner Organe ist."

Nur eine solche oder ähnliche Verfassungsbestimmung würde der überragenden Bedeutung der Familie für Staat und Gesellschaft gerecht werden und der österreichischen Familie auf verfassungsrechtlichem Gebiet das geben, was der Familie ist.

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