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Verfassung und Familie

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In den letzten Jahren hat die österreichische Gesetzgebung für die Familie manches getan. Im Gegensatz zu anderen Staaten fehlt jedoch in unserer Bundesverfassung der grundsätzliche Hinweis auf die Familie, wenn auch durch das Wort Familienlastenausgleich das Wort Familie in die österreichische Bundesverfassung sozusagen hineingeschmuggelt worden ist. Daher brachten wir im Nationalrat einen Antrag ein, dem Artikel 7 der Bundesverfassung einen dritten Absatz mit dem Wortlaut anzufügen: „Der Bund und die Länder haben in Gesetzgebung und Vollziehung der Familie besonderen Schutz und besondere Förderung angedeihen zu lassen.“

Zwischen einzelnen und Gemeinschaft

Drei Interessenbereiche — ich rede bewußt nicht von politischen Parteien — gibt es, die es, gelinde

gesagt, ungern sehen, wenn die Familie in der Bundesverfassung einen eigenen Platz am Tisch bekommt.

Da sind erstens jene, die vom Un-gebundenheitsdrang liberalistischen Denkens nicht loskommen können. Jede Form der Gemeinschaft ist für sie nur ein notwendiges Übel. Jedem einzelnen die größte Ellenbogenfreiheit. Er — sie sagen der „Tüchtigere“ — soll sich ohne Bindungen durchboxen und austoben können. Die größeren Gemeinschaften, die Gemeinden, Länder und der Bund, hätten in ihrer Art nur Nachtwächteraufgaben zu erfüllen. Da das hinsichtlich der' Familie weniger gut geht, wollen sie dieser in der Verfassung keinen Platz einräumen.

Genau von der anderen Seite sieht die zweite Gruppe diese Sache an. Vielleicht mehr unbewußt als bewußt ist bei ihr die Vermassung Trumpf. Auch ein ungezügeltes Streben nach Macht einiger weniger über die

Masse. Festgefügte, gesunde Familien grenzen ab; sie bauen Dämme, die das Zusammenfließen in Masse erschweren, ja geradezu unmöglich machen. Schon Aristoteles schrieb: „Die Einheit des Staates ist nicht schlechter, sondern besser gewahrt, wenn den Familien ein selbständiges Dasein gelassen wird!“ Sie soll also mitentscheidende, eigengesetzliche Ordnungsgröße im Staat sein.

Die dritte Gruppe ist vom Anliegen der zweiten beunruhigt. Sie meinen es in ihrer Art gut mit der Familie. Sie fürchten, durch ein Zuviel an familienfördernden Maßnahmen könne die Bereitschaft zur Selbstverantwortung und zur Selbsthilfe geschwächt und so die feste Burg gegen die freiheitsbedrohende Staatsallmacht niedergerissen werden. Dieses Zuviel ist in Österreich freilich noch lange nicht gegeben. Wir wollen die Familie ja nur als gleichwertiges Element in die Mitte

zwischen dem einzelnen und die größere Gemeinschaft stellen.

Man könnte aber dagegen fragen: Warum ist es erst in diesem Jahrhundert notwendig geworden, in der Verfassung auch die Grundrechte der Familie zu verankern? Noch vor gut 100 Jahren wurden bei uns nicht nur die gewerblichen Klein- und Mittelunternehmen, sondern auch die ausgesprochenen Großunternehmen familienmäßig geführt, nicht zu reden von den bäuerlichen Betrieben, die damals noch weit überwogen. Diese Betriebe waren und sind noch eine volle, erlebte Gemeinschaft; eine Tisch- und Arbeits-, ja sogar eine Bet- und Feierabendgemeinschaft.

Wie stark sich solche Bindungen auswirken, möchte ich nur an einem Beispiel zeigen. In den vom Verkehr abgelegenen Gegenden fragen noch heute die älteren Leute das Kind nicht: „Wie heißt du“, sondern „Wem gehörst du?“ Weist das nicht auf ein positives Eigentumsgefühl zwischen Kind und Familie hin?

Bei dieser Wertung der Familie war es gar nicht notwendig, die Familie in der Verfassung noch besonders zu betonen. Es war Gewohnheitsrecht. Dann kamen die Industrialisierung und mit ihr die beiden Extreme in der zeitlichen Reihenfolge: Einzelmensch und Masse. In Zeiten und in den Staaten, wo dieses Gewohnheitsrecht nicht mehr selbstverständlich, sondern bedroht ist, muß es durch Gesetze geschützt werden, die in der Verfassung ausdrücklich verbrieft sind. Daher ist es kein Zufall, wenn die meisten Staaten, die in der wirtschaftlichen Entwicklung nicht zurückgeblieben sind, diesen Schritt schon getan haben. So hat in Deutschland schon 1919 die Weimarer Verfassung die Reinhaltung, Gesundung und soziale Förderung der Familie als eine Aufgabe des Staates und der Gemeinden erklärt und die Sicherung der Ehe und des Familienlebens unter den besonderen Schutz der Verfassung gestellt. Schon vor dem zweiten Weltkrieg haben mehrere andere Staaten ähnliches in ihre Verfassung eingebaut. Allein im ersten Jahrzehnt nach 1945 haben dann 33 weitere Staaten ihre Verfassungsurkunden durch Familienschutzarti-kel bereichert.

Wenn wir der Familie in der Verfassung höchstens nur jene Grundrechte zubilligen, an deren Übernahme wir durch internationale Verträge jetzt ohnedies nicht mehr herumkommen, könnte man meinen, wir würden unser Österreich zu den noch zurückgebliebenen Staaten rechnen. Zu ihnen zählt es aber nicht, sondern eben zu jenen Staaten, deren Kulturzustand und wirtschaftliche Entwicklung eine eigengesetzliche Verankerung des Schutzes und der Förderung der Familie verlangt. Stellen wir daher die Familie wieder in die Mitte unseres Wollens, in die Mitte der öffentlichen Meinung, in die Mitte der Gesetzgebung und drücken wir dies auch in der Verfassung aus. Der weltberühmte und anerkannte Erzieher Pestalozzi sagt: „Über das kleine Vaterland, das die Familie ist, wendet sich das Herz dem Großen zu.“

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