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Vom Geiste eines Gesetzes

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Die evolutionäre Umgestaltung der Ge-sellsdiaftsordnung hat auf dem Boden des alten Kultureuropa durch die Ereignisse des letzten Jahrzehnts neue, revolutionäre Impulse erfahren. Die Auflösung der europäischen Wirtschaft, tiefgreifende Änderungen der Bevölkerungsstruktur, der Ausfall beträchtlicher Produktionskapazitäten sowie die Entfesselung sozialrevolutionärer Kräfte haben Europa zu einem riesigen Experimentierfeld gemaclit. Neue Ideen sind hier im Werden.

Für alle Länder, über die der Krieg hinweggegangen, ist es eine Lebensfrage, ob und binnen welcher Frist es ihnen gelingt, ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Obwohl die Technisierung der Wirtschaft und die Zunahme der Bevölkerungszahlen schon im Laufe des 19. Jahrhunderts die alten Herrschaftsformen und Gesellschaftsordnungen gesprengt haben, ist doch seither nirgends noch eine neue in sich ausgewogene Entsprechung von Sozial-, Wirtschafts- und politischer Ordnung gefunden worden. Die innere Unruhe der abend-ländisdien Menschheit, das ständige Beben der sozialen Schichtungen haben ihre letzte Ursache in diesem Ungleichgewicht sowie im Auseinanderklaffen von Idee und Idee, von Idee und Wirklichkeit.

Die industriellen Massen haben lange an das Tor der alten Gesellschaftsordnungen gepocht. Es blieb ihnen verschlossen. Da sie aber Mitmenschen waren und sein wollten und nicht bloß Arbeitskraft — erinnern wir uns doch daran, daß der „Kommunistische Arbeiterverein“ noch 1846, ein Jahr vor Erscheinen des Kommunistischen Manifests, den Wahlspruch hatte: „Alle Menschen sind Brüder“ —, rüsteten sie sich zum Sturm und setzten Feuer an das Dach einer Ordnung, die ihnen beharrlich den Einlaß verweigerte. Sie proklamierten die Diktatur des Proletariats, den revolutionären Umbruch aller bisherigen Ordnungen.

Seither sind 100 Jahre vergangen. Generationen haben gekämpft und gerungen. Die Tore sind aufgesprengt, die Menschen haben gelernt. Sie schreiten an den Neubau ihrer gesellschaftlichen Ordnung. Wirtschaft und Staat sind allen Schichten der Bevölkerung erschlossen. Die Vernichtung alles Gewesenen, die Umkehr aller Werte, die Entgeistigung des Lebens, die Auflösung und Vermassung der gewachsenen GÜederangen haben sich als ein schwerer Irrtum erwiesen. Der Kampf um Gleichberechtigung und Freiheit ist durch Entsittlichung und Entpersönlichung des Menschen, durch Auflösung von Verantwortungsbewußtsein und Autorität zu einem Weg in Elend, Zwang und Unfreiheit geworden. Das allmähliche Erwachen der Arbeiterschaft aber zum Bewußtsein des Wertes persönlicher Freiheit sowi* der wechselseitigen Bedingtheit von Recht und Pflicht, von V e r-antwortungund Autorität, ist das Fundament, auf dem der neue Bau errichtet werden kann.

Die Spannungen, in denen sich dieser Neubau vollzieht, konzentrieren sich in drei Fragen von elementarer Bedeutung: in der Verteilung der Verantwortung und Macht in einem demokratischen politischen System, in der Schaffung eines leistungsfähigen, sozial gerechten Wirtschaftskörpers und in der inneren Ordnung der Betriebe als dem Lebensbereich des industriellen Menschen.

Wohin wir blicken, überall in Europa werden Mittel und Wege gesucht, Formen des gesellschaftlichen Lebens zu entwickeln, welche Funktionsfähigkeit des Ganzen mit 'einem Maximum an Wohlstand, Sidierheit und Freiheit für den einzelnen verbinden. Da und dort sind revolutionäre Doktrinen noch störend am Werke. Die erdrückende Mehrzahl hat aber bereits erkannt, daß sie nichts gewinnt, wenn sie jenes komplizierte Gebilde aus Menschen und Technik, das wir Wirtschaft nennen, in seinen Fundamenten stört, daß sie unbedachtes Vorgehen mit absinkendem Lebensstandard bezahlt, daß ein allmählicher, tastender Umbau im Geiste fairer Zusammenarbeit am sichersten und reibungslosesten zum Ziele führt.

Überall bricht sich die Erkenntnis Bahn, daß die sozial-ökonomische Ordnung der Zukunft von einer tiefgehenden Umgestaltung der geltenden Rechtsordnung ausgehen wird. Diese Umgestaltung kann sich nicht im orthodox-liberalen und nicht im koriektiv-etatistischen Sinne vollziehen, die, beide im 19. Jahrhundert wurzelnd, theoretisch und praktisch überholt sind. D i e Ordnung der Zukunft wird vom Menschen als sittlich und sozial verantwortlicher Persönlichkeit ausgehen. Sie wird in ihm weder nur ein ökonomisch denkendes Individuum noch auch ein Teil einer Masse sehen. Sie wird für den Menschen eine Gesellschaft errichten, deren Bauelemente betriebliche Arbeitsgemeinschaft, Selbstverwaltung und höchste Verantwortlichkeit des Staates sind.

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Die innere Ordnung der Betrieb e ist einer jener Brennpunkte, .in denen die durch die veralteten Fronten des Klassenkampfes zerklüftete Gesellschaft in neue Einheiten umgeschmolzen wird; denn der Betrieb ist als Leistungs- und Unterhaltsgemeinschaft eine sozial-ökonomische Einheit, er ist sowohl wirtsdiiftlich als auch soziologisch eine der elementaren Bauzellen der Gesellschaft. Von der Gestaltung und Leistungsfähigkeit der Zellen hängt das Wohlergehen des Ganzen ab. Es ist daher von besonderer Bedeutung, daß in Österreich mit dem am 28. März 1947 im Nationalrat beschlossenen „Gesetz über die Errichtung von Betriebsvertretungen (Betriebsrätegesetz)“ ein entscheidender Schritt in Richtung auf die Ausgestaltung des Verhältnisses der in einem Betrieb zu gemeinsamem Tun zusammengeschlossenen Menschen gemacht wurde.

Der Wortlaut des Gesetzes zeigt die Spuren scharfer Auseinandersetzungen im Rahmen einer parlamentarischen Demokratie. Er zeigt aber auch den Geist der Zusammenarbeit verantwortungsbewußter Männer, die gegensätzliche Standpunkte dem Wohl des Volkes unterzuordnen wußten. Ob dieses Gesetz die Erwartungen erfüllt, die daran geknüpft werden, hängt einzig und allein davon ab, ob dieser Geist verantwortungsbewußter Zusammenarbeit auch in der Belebung der gesetzlichen Norm, in ihrer Duchführung wirksam bleibt.

Ein' verheißungsvoller Anfang ist getan, worauf kommt es nun weiter an? Was ist das Entscheidende, das Wesentliche in der Ausgestaltung der inneren Ordnung der Betriebe? Wir wollen dies. Wesentliche in einigen wenigen. Purfkten zusammenfassen.

Der Betrieb unterliegt im Dienste der ihm übergeordneten Gesamtwirtschaft, dem ökonomischen Prinzip, demzufolge einem möglichst geringen Aufwand eine möglichst hohe Leistung entsprechen soll. Daher der Zwang zu technischer und organisatorischer Rationalisierung, dem sich kein Wirtschaftssystem entziehen kann. Organisatorische Rationalisierung bezweckt möglichst reibungsloses Ineinandergreifen der arbeitsteiligen Zusammenarbeit und wirkungsvollste Kombination der verfügbaren

Kräfte. Es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Leistungsfähigkeit der Betriebe und den Realeinkommen in ihrer Gesamtheit. Jede Maßnahme, die die Leistungsfähigkeit der Betriebe schwächt, senkt den Lebensstandard. Es ist daher im ureigensten Interesse aller Bevölkerungskreise, diese Zusammenhänge klar zu erkennen und die praktischen Konsequenzen daraus zu ziehen.

Ein Betrieb ist nur dann leistungsfähig, wenn in der Leitung des Betriebes sich Entschlußfreiheit mit Verantwortlichkeit und Sachkenntnis verbindet, wenn der Geist herzlicher Zusammenarbeit alle Betriebsangehörigen umschließt und der einzelne das begründete Vertrauen hat, daß jeder andere sein Bestes gibt, im Dienste der gemeinsamen Sache.

Wie in der Wirtschaft überhaupt, so sind auch im Betrieb Machtkämpfe störend. Sie trüben das Vertrauen und hindern eine zweckmäßige rationelle Organisation. Sie sind auch im Wesen sinnlos, sobald erkannt wird, daß optimale Leistungsfähigkeit der Gesamtwirtschaft und des einzelnen Betriebes im allseitigen- Interesse gelegen ist.

Im Betrieb, als dem Wirk- und Lebensbereich der Betriebsangehörigen, sind die menschlichen Beziehungen von vordringlicher Bedeutung. Rein sachlich-ökonomisches* Denken wird nie in den Kern des Wirtschaftsgeschehens treffen; denn es übersieht, daß in der Wirtschaft Menschen Subjekt und Objekt sind. Es ist ganz selbstverständlich, daß der Betrieb nicht nur für den Unterhalt, sondern auch für- die berufliche, geistige und kulturelle Förderung der Betriebsangehörigen sorgt. Er ist eben eine jener natürlichen Gemeinschaften, in die das Leben des einzelnen eingebettet ist und die in ihrer Gesamtheit, in ihrer Über- und Unterordnung, in ihren durch die staatliche und überstaatliche Rechtsordnung festgelegten Beziehungen den lebenden Organismus der menschlichen Ge-. Seilschaft ausmachen.

Vertrauensvolle Zusammenarbeit in den Betrieben ist selbstverständlich nur möglich, wenn alle Betriebsangehörigen, nicht nur die technischen, sondern auch die wirtschaftliehen innerbetrieblichen Zusammenhänge kennen, wenn sie an der Lösung betrieblicher Aufgaben ihren Anteil haben, wenn sie bewußt und verständnisvoll an der Erbringung der gemeinsamen Leistung mitwirken können.

In den Betrieben, wie in der Welt überhaupt, wächst die Arbeiterschaft hinein in die Mitverantwortung für Wirtschaft und Staat. Dies ist das neue Element im Bauplan der Gesellschaftsordnung der Zukunft, einer Gesellschaftsordnung, die auf einem tiefen Verantwortungsgefühl, auf der Befähigung der Berufenen und auf einem herzlichen Gemeinschaftswillen beruht.

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