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Diskussion um Verstaatlichung

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Es gehört zu den grundlegenden Dogmen der marxistischen Lehre, daß die wirtschaftliche Entwicklung mit einer gewissen Zwangsläufigkeit sich von der freien Marktwirtschaft über den Monopolkapitalismus zur totalen Staatswirtschaft hin entwickelt. Der geistreiche Klassiker der sozialistischen Dogmen der Frühzeit schreibt in seiner berühmten theoretischen Analyse vom „Ka.-. pital“, i. Buch, Kap. ,24:

„Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unerträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt.“

Damit hat Marx den Glauben an die Determiniertheit der wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklung begründet, eine Doktrin, die heute auch in sozialistischen Kreisen bekämpft, aber noch lebendig ist. Ihr Wirken kommt unter anderem darin zum Ausdruck, daß das „Ob“ der Verstaatlichung auch in Österreich kaum zur Diskussion gestellt wird, obwohl dies „Ob“ die Frage nach dem „Warum“ und diese wieder da „Was“ und das „Wie“ in sich schlieft. Daß es dennoch oft außer; acht gelassen wird, mag aus jenem Glauben an die Zwangsläufigkeit einer Entwicklung seine Erklärung finden, die durch diesen Glauben zu1 einer Art Massenpsychose wird.

In derselben Richtung wirken gewisse Formulierungen, wie die Gegenüberstellung „Profitwirtschaft — Gemeinwirtschaft“ oder „Bedarfsdeckungswirtschaft“, die fundamentale Unterschiede zwischen freier Marktwirtschaft und Monopolkapitalismus außer acht lassen.

Die gegenwärtige Lage in Österreich hat dazu geführt, daß wir in der Verstaatlichung von Wirtschaftsbetrieben auf einer mittleren Linie halten Dies ist nicht nur Ausdruck einer besonderen* Einsicht, sondern die Resultante aus dem gegenwärtigen politischen Kräfteparallelogramm. Ein Kräftestrom in diesem Parallelogramm strebt der totalen Staatswirtschaft zu.

Die totale Staatswirtschaft oder Planwirtschaft wirkt — in der Theorie — bestechend durch das Prinzip, auf dem sie aufbaut, das Prinzip der bewußten, planmäßigen, das .Wirtschaftsgeschehen bis in alle Einzelheiten erfassenden Lenkung. Befehle, Weisungen, Verbote, straffe Durch-organisierung des ganzen Apparats sind ihre Mittel. Es ist die Übertragung des technischen und militaristischen Prinzips in die Wirtschaft, Die Leistungsfähigkeit dieses Prinzips wird überschätzt; denn nicht alle menschlichen Regungen und Impulse, nicht alle Einzelheiten, Zusammenhänge und Kausalitäten des Wirtschaftsgeschehens können berechnet, geplant und gelenkt werden. Planwirtschaft erfordert Menschen mit überdimensionalem Können und überdurchschnittlichen charakterlichert Eigenschaften. Sie ist auch dann noch ein relativ grobes Miael, das nicht die letzten Energien der .Wirtschaft mobilisieren kann, die aus den spontanen, individuellen Kräften hervorwachsen. '

In der Planwirtschaft sind Leistungsansporn und Leistungskontrolle minder wirksam. Der beamtete Wirtschaftsführer neigt im allgemeinen zu mittelmäßiger Leistung, die nach unten durch die Scheu vor Entlassung bei grobem Verschulden, nach oben durch Scheu vor Verantwortung begrenzt ist. Die Kontrolle der in der Planwirtschaft maßgeblichen volkswirtschaftlichen oder, wie Dobretsbenrer es nennt, . Umwegsrentabilität stößt auf Schwierig-, keiten. Einzig verläßlicher Maßstab ist das Niveau des allgemeinen Lebensstandards, dessen Gleichbleiben oder Sinken jedoch keinen Schluß darüber zuläßt, an welcher Stell in der Wirtschaft sich ein Mißverhältnis von Aufwand und Leistung ergeben hat. Es fehlt die verläßliche Kontrolle und es fehlt der Anreiz, in jedem einzelnen Teil der Gesamtwirtschaft ein optimales Verhältnis von Aufwand und Leistung herzustellen.

Noch“ schwerwiegender ist die politische Problematik des staatswirtschaftlichen Systems. Sowohl die Tatsache, daß — wie Peter Anders * schrieb — „die zentrale Planstelle eine ungeheure Machtbefugnis haben muß“, als auch daß Planwirtschaft eine gewisse politische Stabilität voraussetzt, führt zwangsläufig dazu, daß gewisse wesentliche demokratische Rechte außer Funktion gesetzt werden müssen. Es ist nicht gut denkbar, daß die Reihung der Bedürfnisse, daß der Produktionsplan und das Schema der Verteilung des Volkseinkommens durch demokratisch gewählte Vertreter kollektiv festgestellt' weiden.kann. Andererseits ist nicht zu ersehen, wie ein planw'rt-sc haftliches System funktionieren kann, wenn es dem parteipolitischen Gegeneinander ausgesetzt ist.

Österreich liefert den Beweis dafür. Der Grad der Intensität der Wirtschaftslenkung, der in Österreich beabsichtigt ist oder votfc den Zeitumständen verlangt wird, ist an sich ein sehr hoher. Preise, Löhne, Produktionsprogramme, Rohstoffzuteilung, Kredit, Absatz und vieles andere sollen gelenkt werden. Es zeigt sich jedoch, daß es nicht möglich ist, eine Planung und bis ins einzelne gehende Lenkung durchzuführen, wenn Einheitlichkeit und innere Geschlossenheit der Organisation und des wirtschaftspolitischen Konzepts immer wieder durch parteipolitische Gegensätze gestört werden.

Dies ist der Kernpunkt des Problems. Jedes planwirtschaftliche System beruht auf der Gleichsetzung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft. Es ist „total“ im tiefsten, umfassendsten und härtesten Sinn des Wortes. Hingegen beruht das marktwirtschaftliche Systern auf der Trennung von Wirtschaft und Staat. Es gibt der Wirtschaft ein Eigenleben, das sie in hohem Maße von politischen Einwirkungen isoliert und ihre Leistungsfähigkeit bedeutend verstärkt, und es läßt dem politischen Leben die Beweglichkeit demokratischer Einrichtungen. Die politische Neutralisierung der 'Wirtschaft ist — wie Röpke bemerkt — eine der unschätzbaren immateriellen Leistungen dieses Systems. Ortega y Gasset schreibt: „Die Masse sagt sich, ,der Staat bin ich', was ein vollendeter Irrtum ist.“ Ich würde lieber sagen: Es ist eine gefährliche Illusion. Niemals ist Staat und Volk identisch. Der Staat ist ein Organ der Gesellschaft und im planwirtschaftlichen System sind die Mächte der Bürokratie — der Staat.

Die Illusion, daß wir alle der Staat sind, ist deshalb so gefährlich, weil sie uns wehrlos macht gegenüber der Atomisierung und Mechanisierung der Gesellschaft. Sie schafft keinen Organismus, sondern eine Organisation, die es nicht mit Menschen, sondern mit Produktivkräften zu tun hat. Sie schreitet auf einem Wege fort, den der Monopolkapitalismus beschritten hat. Staat und Wirtschaft sind nicht mehr Diener des Menschen. Der Mensch ist der Organisation unterworfen, die er schuf, die seelenlos fortwirkt über ihn hinaus, sein Menschsein, sein eigenwilliges, eigenwertiges Leben tilgend, die spontanen autonomen, materiellen und immateriellen Kräfte vernichtend, die in ihrer • Gesamtheit Kraft und Leben menschlicher Vergesellschaftung/ ausmachen. ' Wir stehen und mit uns steht die Welt an einem Scheidewege. Ordnung und Freiheit stehen miteinander in Konflikt. Freiheit, die der inneren Disziplin gebrach, führte in ein Chaos. Die Reaktion darauf war der Glaube an die totale, die geplante Ordnung, an den toten Mechanismus. Doch dieser tilgt Freiheit und Leben, So bleibt uns — nachdem These und Antithese sich vollendet haben — nur ein Weg: D i e Synthese von Freiheit und Ordnung.

Wir haben nicht die Wahl zwischen . Planwirtschaft und völlig freier Wirtschaft, deren Gefahren wir ebenso kennen wie die Mängel der ersteren. Wir haben die Aufgabe, einen dritten Weg zu suchen, den Weg der staatlich überwachten und garantierten Marktwirtschaft. Jede hochentwickelte technisierte Wirtschaft verlangt nach einem starken Staat. Es ist undenkbar, daß irgendeiner der Staaten im Osten oder Westen sich wieder den Zufälligkeiten des Konjunkturrhythmus anvertraut oder es auf sich nimmt, den autonomen Wirtschaftsmächten machtlos gegenüberzutreten. Der moderne Staat ist undenkbar ohne intensive, konsequente, räumlich und zeitlich weitblickende Wirtschaftspolitik. Er braucht ein klares Konzept und einen leistungsfähigen Apparat. Wir haben bisher in Österreich weder das eine noch das andere entwickelt. .

Zu den Mitteln der staatlichen Wirtschaftspolitik im weitesten Sinne des Wortes gehört auch der Eingriff in die Eigentums--ordnung, die Verstaatlichung. Der Staat wird sich dieses Mittels bedienen um erstens im Sinne einer unverfälschten Konkurrenz monopolkapitalistische Einflüsse auszuschalten und zweitens, um wirtschaftspolitische Schlüsselpositionen zu besetzen, deren Verbleib in privaten Händen die Wirksamkeit des freien Markte sowie der staatlichen Wirtschaftspolitik gefährden würde.

Das Problem stellt sich als eine Frage der Tendenz dar, möglichst viel oder möglichst wenig zu verstaatlichen Wenn wir aber den objektiven Zweck dieser wirt-sdiaftspolitischen Maßnahme im Auge behalten und darauf verzichten, Verstaatlichung als ein Prinzip zu behandeln, dann wird es uns leicht fallen, eine Linie zu finden, auf der wir nicht mehr verstaatlichen als unbed ingt nötig. Wir werden dann mit Erfolg die Gefahr vermeiden, daß das Überwuchern des staatswirtschaftlichen Sektors die Systemeinheit und Leistungsfähigkeit der Wirtschaft stört und zur Planwirtschaft hinüberleitet.

Es ist offensichtlich, daß die Liste der in Österreich verstaatlichten Betriebe über den vorstehend abgesteckten Rahmen um einiges hinausgeht. Es ist ebenso offensichtlich, daß wir aus dem Dilemma, in das wir uns anscheinend holfriungslos verrannt haben, nur dann herausfinden werden, wenn wir uns zu einer Wirtschaftsordnung entschließen, die auf der Marktwirtschaft aufbaut, um auch die spontanen produktiven Kräfte wieder zur Entfaltung zu bringen, einer Wirtschaftsordnung, die weder politischen Doktrinen noch Privatinteressen dient, sondern der Sicherung der Existenz und der Hebung, des Lebensstandards unseres Volkes.

Per vos, Quirites, et gloriam maiorum, tolerate adversa et consulite re! publicae. Multa cura suramo Smperio inest, multi ingentes labores, quos nequiquam abnuiiis et pacis opulrnfiam guaeritis, cum omnes provinciae regna maria terraeque aspera aut bellis sint.

Mitbürger! Ich beschwöre euch bei eurem Leben und beim Ruhm unserer Vorfahren, ertraget die Widerwärtigkeiten und nehmt euch des Staates an. Viel Sorge bringt das höchste Amt mit sich, viele gewaltige Leiden bürdet es euch aul, aber wenn ihr nach der Segensfüüe des Friedens strebt, könnt ihr euch ihnen nicht entziehen, da alle Provinzen, Königreiche, Meere und Länder voller Gefahren und erschöpft von den. Kriegen sind.

Sallust, Hist., Rede des Konsuls Cotta aus dem Jahre 75 v. Chr.

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