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Digital In Arbeit

Sind wir bald nur Lakaien der EDV ?

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Die Österreicher haben ein „gesundes“ Mißtrauen gegenüber dem Computer, loben die einen. Die EDV schafft endlich geistlose Routinearbeit ab, schwärmen die anderen.

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Die Österreicher haben ein „gesundes“ Mißtrauen gegenüber dem Computer, loben die einen. Die EDV schafft endlich geistlose Routinearbeit ab, schwärmen die anderen.

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„Meine G'schicht ist nicht so lang, aber äußerst tragisch. Erstens ist mir meine Profession z'wider ... und dann hab' ich nichts als unverschuldete Unglücksfälle g'habt.“ Mit diesen Worten läßt Johann Nestroy, jener unvergleichliche Kritiker der österreichischen Seele, in seiner Posse „Der böse Geist Lumpazivagabundus“ Knieriem dessen Lebenslauf und Einstellung zur Arbeit zusammenfassen.

Was hier „volkstümlich“ ausgedrückt wird, findet sich knapp hundert Jahre später in dem 1929/ 30 erschienenen Werk von Sigmund Freud „Das Unbehagen in der Kultur“ wieder: „Die große Mehrzahl der Menschen arbeitet nur notgedrungen, und aus dieser natürlichen Arbeitsscheu der Menschen leiten sich die schwierigsten sozialen Probleme ab.“

Ein sozial anerkanntes Leben ohne Arbeit war schon immer der Wunschtraum zahlreicher Menschen, der sich aber künftig weniger denn je verwirklichen lassen wird, sollte er nicht zum gesellschaftlichen Alptraum werden. Beinhaltet doch ein derartiges „Knieriem-Szenario“, daß der einzelne — ungeachtet grundlegender volkswirtschaftlicher und sozialpolitischer Bedingungen — am technischen und damit auch sozialen Wandel nur passiv partizipiert und die dynamischen und gestaltenden Elemente einigen wenigen überläßt. Die Gefahren der daraus resultierenden Herrschafts- und Machtstrukturen in der Gesellschaft sind Anlaß genug, über einige wesentliche Merkmale und Voraussetzungen der künftigen Arbeitswelt nachzudenken.

Zu jenen neuen Technologien, die von größter Bedeutung für wirtschaftliche, soziale und politische Bereiche sein werden, zählt fraglos die Mikro-Elektronik. Uberall dort, wo Information erzeugt, übermittelt, gespeichert und verarbeitet wird — und dies ist im menschlichen Leben in fast allen Belangen der Fall —, kann und wird sie eingesetzt werden. Es ist daher zutreffend, von ihr als der „Informations-Technologie“ zu sprechen und sie als Auslöser einer „neuen industriellen Revolution“ anzusehen. Allerdings wäre es zu weit gegriffen, sie bereits für die oben dargestellten sozialen Veränderungen voll und ganz verantwortlich zu machen.

Die Mikroelektronik übt daher zur Zeit noch eine mehr oder minder starke Katalysatorfunktion aus, was sich aber bei dem zu erwartenden massiven Einsatz in den neunziger Jahren grundlegend ändern wird. Dementspre-chende Prognosen über die Auswirkungen der Mikroelektronik auf die Beschäftigtenstruktur sowie damit zusammenhängende Lösungsansätze lassen allerdings nicht nur die ideologische Heimat des jeweiligen Experten erkennen, sondern auch das „Einstellungs-Klima“ innerhalb der Bevölkerung gegenüber technologischem Wandel im allgemeinen sowie der Bewältigung der Probleme im besonderen.

Vorurteile trüben jedoch den Blick für die wahren Probleme, die in Zusammenhang mit neuen Technologien weniger in der Bewältigung der quantitativen als vielmehr der qualitativen Fragen des Arbeitsmarktes und der Beschäftigung zu suchen sind. Es wäre ein fataler Fehler, die Mikroelektronik bloß als kontinuierliche Weiterentwicklung von Produktionstechniken anzusehen. Vielmehr stellt sie fundamentale und teilweise vollkommen neue Anforderungen an alle gesellschaftlichen Bereiche.

Zunächst kann festgestellt werden, daß von der Mikroelektronik alle jene Tätigkeiten des Menschen betroffen sind, die in Form von Algorithmen dargestellt, das heißt für die Ablaufschemata erstellt werden können. Derartige Routinetätigkeiten bilden einen nicht unbeträchtlichen Anteil unserer Arbeit; bei ungelernten und angelernten Arbeitskräften sind sie meist gleichbedeutend mit dem gesamten Arbeitsinhalt. Diese Arbeitskräfte werden daher primär freigesetzt. Ihre Kompensation kann demnach nur über Tätigkeiten erfolgen, die einen qualifizierten Ausbildungsabschluß voraussetzen. Dies entspricht der These, daß den künftig steigenden Anforderungen an jeden Arbeitsplatz nur durch eine allgemeine Höherqualifizierung begegnet werden kann, womit nicht bloß solide fachliche Kenntnisse, sondern vielmehr fachübergreifende Fähigkeiten angesprochen werden:

Da die Unmittelbarkeit der Handhabung und Wahrnehmung traditioneller Arbeitsprozesse zunehmend durch Symbolsysteme substituiert wird (Programme als Werkzeuge des Denkens, Symbole als Repräsentanten der Realität), erlangt abstraktes, theoretisches Denkvermögen entscheidende Bedeutung. Die Tatsache, daß entsprechend der Komplexität der neuen Technologie auch die Problemlösungskapazitäten steigen, erfordert planerisches Denken und Kreativität. Die Notwendigkeit des aktuellen Uberblicks über neueste Entwicklungen und Lösungsmöglichkeiten bedingt die laufende Fort- und Weiterbildung.

Entsprechend den veränderten Mensch-Maschine-Beziehungen werden auch neue Organisationsformen, Führungstechniken und Arbeitsweisen notwendig. Die Ebene der menschlichen Kommunikation und Organisation muß als eine der technisch gleichwertigen betrachtet werden, und der entscheidende Punkt ist die Stellung des einzelnen innerhalb des Betriebs und im Arbeitsablauf. Die große1 Flexibilität und Leistungsfähigkeit der Mikroelektronik bietet nicht nur die Chance, die Gestaltungsspielräume und Aufgabenbereiche der Mitarbeiter zu vergrößern, sondern bringt auch die Notwendigkeit der Aufhebung traditioneller Arbeitsteilung mit sich: Die heute übliche „Arbeitsplatz- oder Abteilungsorganisation“ muß von einer „Prozeßorganisation“ abgelöst werden, in der ein Mitarbeiter nicht bloß einzelne Teile eines Vorgangs bearbeitet, sondern diesen soweit wie möglich von Anfang bis Ende abwickelt und sich durch den schnellen Zugriff auf zusätzliche Informationen jederzeit einen Uberblick über den Zustand der Organisation verschaffen kann.

Derartige Veränderungen stellen nicht unwesentliche Beiträge zur Humanisierung der Arbeitswelt dar, setzen aber vor allem bei den Führungskräften entsprechende Aufgeschlossenheit voraus. Durch Verlagerung von f achlicher und Entscheidungs-Kom-pete-nz an „Untergebene“ erleidet die traditionelle Autorität des Vorgesetzten einen Bedeutungsverlust, was zu Konflikten führen kann, soferne nicht die überholte hierarchische Struktur gegen eine moderne Netzwerk-Struktur ausgetauscht wird. Die Aufgaben des Managers müssen sich daher zunehmend auf allgemeine Führungsfunktionen verlagern wie Koordination, Sicherung der Kooperation, Konfliktlösung, Motivation der Mitarbeiter.

Die Stellung des Menschen als Informationsverarbeiter wird durch die Mikroelektronik nachhaltig verändert. Dabei wird immer deutlicher, daß weniger die Substitution von menschlicher Geistesarbeit als vielmehr die Verstärkung und Unterstützung des Menschen bei der Informationsverarbeitung und den Problemlösungen die künftig bedeutenden Schwerpunkte sein werden. Das heißt, es geht um die Wahrnehmung der Komplexität unserer Informationsumwelt. Insbesondere dieser Aspekt wird im Arbeitsbereich weitgehende Veränderungen notwendig machen, da Information als Produktionsressource immer .mehr an Bedeutung gewinnen wird.

Die Informationstechnologie durchbricht die bisherige Raum-und Zeitgebundenheit des Menschen: Durch neue Telekommunikationstechniken (z. B. Digitali-sierungvgl. FURCHE 2/1986) spielen Entfernungen bei der Uber-tragung auch großer Datenmengen praktisch keine Rolle mehr. Neue Speichertechnologien (insbesondere in Verbindung mit der Bio-Technologie) werden den Aufbau umfangreicher Informationszentren und Datenbanken auf kleinstem Raum ermöglichen. Die daraus resultierende räumliche und zeitliche Entkoppelung der Arbeit bietet ein enormes Potential zu ihrer Flexibilisierung. Diese neuen Arbeitsformen reichen von Inhome-Netzen („elektronische Heimarbeit“) und den Satellitenbüros in Wohngebieten über zeitlich entkoppelte Arbeiten (mannlose Schicht) bis hin zur Gruppenarbeit und zu neuen Formen der selbständigen Arbeit. Auch jede Form der Teilzeitarbeit ist subsumierbar.

Spätestens bei diesen Zukunftsaspekten wird deutlich, daß die Auswirkung einer breiten Einführung der Mikroelektronik in der Arbeitswelt keinesfalls auf diese selbst beschränkt bleiben. Vielmehr werden alle Gesell-

Schaftsbereiche — wenn auch in unterschiedlicher Form - miterfaßt, was den herkömmlichen „Arbeits-Begriff“ sprengt. „Arbeit“ kann sich nicht mehr bloß auf die unmittelbare Berufssphäre beziehen, sondern muß als generelle qualitative Auseinandersetzung des Menschen mit der physischen, sozialen und kulturellen Umwelt verstanden werden.

Somit gewinnen grundsätzliche Aspekte der Bildung neben solchen der Ausbildung zunehmend an Bedeutung, um nicht nur die Möglichkeiten neuer Technologien individuell und gesellschaftlich nutzbringend anzuwenden, sondern sich auch ihrer Risken und ihres Mißbrauchs bewußt zu sein. Informationen und Technologien sind zunächst nur potentielle Machtinstrumente. Erst die Regelung und die Art des Umgangs mit ihnen erzeugen Machtstrukturen, die der einzelne innerhalb gewisser Grenzen mitbestimmen kann, da Informationssysteme im allgemeinen aktive Systeme sind, ihre praktische Bedeutung erst durch die Partizipation erhalten.

Die Zukunft der Arbeit - insbesondere unter den Aspekten neuer Technologien - hängt daher zu einem nicht unwesentlichen Teil von jedem einzelnen und seiner Entscheidung ab, ob er sich in diesem Prozeß eher als passiver Adressat oder als aktiv handelnde Person auffaßt. Freilich ist letzteres mit der Übernahme von Verantwortung verbunden. Aber gerade die Personenbezogenheit ist die Voraussetzung für die Würde menschlicher Arbeit, die ihrerseits die Basis für die Humanisierung der Arbeitswelt darstellt.

Der Autor ist Assistent am Institut für Soziologie der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

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