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Digitalisierung? Grundeinkommen!

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GASTKOMMENTAR. Mit der Digitalisierung gewinnt die Diskussion über ein Grundeinkommen an Fahrt. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Auswirkung auf Geschlechterverhältnisse.

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GASTKOMMENTAR. Mit der Digitalisierung gewinnt die Diskussion über ein Grundeinkommen an Fahrt. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Auswirkung auf Geschlechterverhältnisse.

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Die fortschreitende Digitalisierung verstärkt die Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen, weil sie die Arbeitsverhältnisse neu gestaltet. Wenig verwunderlich äußerten sich Silicon-Valley-Unternehmerinnen und Manager in jüngster Zeit positiv zum Grundeinkommen. Die schon seit viel längerer Zeit organisierten Befürworterinnen und Befürworter eines Grundeinkommens formulierten nun ihrerseits ein Manifest.

Darin ist festgehalten, dass Digitalisierung, soweit sie das Leben der Menschen leichter und selbstbestimmter macht, zu begrüßen ist. Zu bekämpfen sei allerdings, dass der Kapitalismus die Digitalisierung so formt, dass noch mehr prekäre Arbeitsformen und Arbeitshetze mit noch weniger sozialer Sicherheit verbunden werden.

In dieser Phase technologiegetriebenen Wandels von Wirtschaft und Gesellschaft brauchen die Machtverhältnisse besondere Aufmerksamkeit. Verstärkt das Digitalisierungsprojekt soziale Ungleichheit, verschiebt oder verringert es sie? Wie schaut das innerhalb einer Gesellschaft wie Österreich aus? Wie zwischen den reichen Volkswirtschaften und den in ihrer Entwicklung behinderten Ländern weltweit? So wie die Digitalisierung globale Dimensionen hat, ist es auch wichtig, das Grundeinkommen sowie Fragen sozialer Sicherheit insgesamt als globale Projekte zu verstärken und weiterzuentwickeln.

Aus der Geschichte wissen wir, dass Phasen technologiegetriebenen Wandels, wie wir sie aktuell erleben, und historisch mit der Mechanisierung, der Industrialisierung und der Computerisierung schon erlebt haben, die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern beeinflussen. Für das Anliegen der Geschlechtergerechtigkeit sind solche ökonomischen und gesellschaftlichen Transformationen riskant. In der allgemeinen Aufgeregtheit über die technologische Dynamik und ihre Auswirkungen auf den Erwerbsarbeitsmarkt verliert die Bekämpfung der geschlechterhierarchischen Arbeitsteilung rasch wieder an Priorität.

Geschlechtsneutraler Algorithmus?

Im Herbst vergangenen Jahres informierten die Medien über das Vorhaben des AMS, das Screening der Potenziale von Arbeitslosen in Zukunft flächendeckend mit einem neuen EDV-Programm abzuwickeln. Der Algorithmus sei effizienter und treffsicherer als bisherige Methoden, um das Ziel der Kategorisierung der „Kunden“ nach hohen, mittleren und niedrigen Chancen am Arbeitsmarkt zu erreichen. Rasch wurde bekannt, dass der Algorithmus die Kategorie „Betreuungspflichten“ bei männlichen Erwerbslosen nicht kannte, bei Frauen schon. Was deutlich zeigt: Digitalisierungs- und Roboterisierungsprozesse werden oft als geschlechtsneutral behauptet, geraten aber sehr leicht zu Prozessen der Verstärkung bestehender und der Schaffung neuer Geschlechterungleichheiten. Das beginnt damit, dass die öffentlichen Debatten vom Thema „Industrie 4.0“ dominiert sind. Wie schon in den Automatisierungs- und Computerisierungsschüben der 50er-, 70er- und 80er-Jahre gilt die erste Besorgnis der Bedrohung männlicher „Normalarbeitsverhältnisse“. Im Pflegebereich, einem Arbeitsmarktsektor mit hoher Frauenquote, besonders belas tenden Arbeitsbedingungen und schlechter Bezahlung, wird die Entwicklung und Implementierung von digitaler Technologie und Robotik (Stichwort Wasch- und Fütterroboter) vor allem von Rationalisierungsinteressen vorangetrieben. Die Mehrzahl der in der Pflege beschäftigten Frauen kann jedoch nicht einbringen, was gute Pflege für die Pflegenehmer und die Pflegegeber im Kern bedeutet, welche physischen Erleichterungen und Auslagerungen von Tätigkeiten in der tiefsten Bedeutung des Wortes Sinn machen würden – und welche keinesfalls. Digitale Technologien entstehen vorrangig nach einem „Nerdsfür-Nerds“-Prinzip: Es wird davon ausgegangen, dass die Nutzerinnen und Nutzer so seien wie die Entwickler beziehungsweise über dieselben Kompetenzen verfügen und ähnliche Interessen und Bedürfnisse haben. Besser geeignete Methoden der Technikentwicklung, die Vielfalt besser abbilden, gibt es – sie werden aber weniger genutzt. Kein Fortschritt hingegen ist es, unterschiedliche Nutzergruppen zu berücksichtigen, aber dabei eine neuerliche Geschlechterstereotypisierung zu produzieren. Auch das kennen wir aus früheren Entwicklungen: So zielten einige Textverarbeitungssysteme Anfang der 80er-Jahre auf die – als technisch inkompetent vorgestellte – weibliche Schreibkraft. Mit dem Effekt, dass diese Arbeitskräfte „in der Position einer ewigen Anfängerin gehalten“ (Corinna Bath) wurden. Für Einkommens- und Karrierechancen von Frauen eine fatale Festschreibung, die auch heute noch lange nicht vom Tisch ist.

Beim Übergang in die digitale Arbeitswelt und Gesellschaft geht es zentral darum, das Verhältnis zwischen Gewinnern und Verlierern im Blick zu behalten.

Liest man sich in frühere Technikdebatten ein, von den „Maschinenstürmern“ bis hin zu den besorgten Auseinandersetzungen in der Phase der ersten Computerisierung, hat man den Eindruck, immer wieder denselben Argumenten zu begegnen. Das ist nicht mühsam oder „retro“, sondern zeigt, dass solche Technik- und Technologiedebatten immer wieder zu führen sind. Egal ob es um die Dampfmaschine ging oder es jetzt um das Internet der Dinge geht: Zentral ist die Aushandlung und Legitimation jener Leitbilder, die für Arbeit, Gesellschaft und Menschsein gelten sollen. Und eben auch für das Verhältnis und die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Technologien werden ebenso durch und in sozialen Prozessen gemacht wie die soziale Dimension von Geschlecht.

Sozial sicher gestalten

In dem Übergang, der jetzt zu gestalten ist, nämlich in die digitale Arbeitswelt, Ökonomie und Gesellschaft, geht es zentral darum, das Verhältnis zwischen Gewinnern und Verlierern im Blick zu behalten. Ganz allgemein sind Gestaltungsmaßnahmen auf den Weg zu bringen, die weitere gesellschaftliche Spaltungen und die Verstärkung bestehender Ungleichheiten verhindern, insbesondere gilt das wieder einmal für das Geschlechterverhältnis. Das Grundeinkommen kann ein Instrument sein, die Verhandlungsmacht von Frauen so zu stärken, dass sie sich weder den Arbeitsmärkten der digitalen Ökonomie um jeden Preis unterwerfen müssen, noch sich auf unbezahlte oder schlecht bezahlte Sorgearbeit festlegen lassen müssen. Das bedingungslose Grundeinkommen ermöglicht die Beteiligung an der Gestaltung des technologischen und gesellschaftlichen Wandels für viele Menschen, gerade auch für Frauen, beziehungsweise sichert diese Beteiligung ab. Wenn es als soziales Recht allen zusteht, individuell, in existenz- und teilhabesichernder Höhe und bedingungslos, dann ist es ein Instrument der gesellschaftlichen Emanzipation und nicht die Stilllegungsprämie, die sich vielleicht manche Silicon-Valley-Akteurinnen und -Akteure erhoffen oder wozu es von verschiedenen Lobbygruppen gerne gemacht wird.

Soziale Sicherheit ist ein Grundrecht. In Zeiten intensiven gesellschaftlichen Wandels wird noch existenzieller spürbar, dass Menschen einen sicheren Grund brauchen, um selbstbestimmt Leben und die Veränderungen gestalten zu können. Ein Grundeinkommen ist ein Einkommen, das einen solchen Grund bietet.

Die Autorin ist Politikwissenschaftlerin und forschte mehr als 20 Jahre an der katholischen Sozialakademie.

Digitalisierung? Grundeinkommen! - © Mandelbaum Verlag
© Mandelbaum Verlag
Buch

Digitalisierung? Grundeinkommen!

Herausgegeben von Werner Rätz, Dagmar Paternoga, Jörg Reiners und Gernot Reipen

Mandelbaum Verlag 2019

200 Seiten, brosch., € 14,–

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