Die Arbeit geht uns nicht aus

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Allenthalben schrecken Studien darüber auf, dass durch fortschreitende Automatisierung und Digitalisierung in näherer und ferner Zukunft immer mehr Tätigkeiten nicht mehr durch Menschen, sondern durch Maschinen und Algorithmen verrichtet werden. Auch wenn einschlägige Untersuchungen je nach gewählter Methode enorme Schwankungsbreiten aufweisen, ist doch unübersehbar, dass die Veränderungen in der Technologie und das erkennbare Anwachsen von künstlicher Intelligenz bereits in den nächsten Jahren - und noch viel mehr in wenigen Jahrzehnten - viele der heute bekannten Arbeitsplätze vernichten werden.

Solche Entwicklungen sind im Prinzip nicht neu, sondern waren bislang Konsequenz jedes technologischen Wandels. Dass es im Gefolge der Mechanisierung sowie der Erfindung von Dampfmaschine und Eisenbahn zu enormen Umwälzungen in der Arbeitswelt kam, darf als bekannt vorausgesetzt werden: Ferdinand von Saars Novelle "Die Steinklopfer" über den Bau der Semmeringbahn und Gerhart Hauptmanns Drama "De Waber /Die Weber" zeigen eindrücklich, welche Auswirkungen solche Entwicklungen hatten: Wenn Arbeitsplätze durch technologischen Wandel verloren gehen und die Gesellschaft nicht adäquat reagiert, sondern den Marktkräften ungesteuert Raum gibt, entstehen soziale Verwerfungen ungeahnten Ausmaßes, die sich kein Verantwortlicher wünschen kann.

Wenn nicht alle Menschen höher qualifiziert werden können, ist es doch deren Würde geschuldet, sie zu beschäftigen, und nicht bloß auf Transfereinkommen zu verweisen.

Wohlstand durch Fortschritt

Und seit jener ersten Industrialisierung haben die zweite (in Konsequenz der Implementierung von Elektrizität) und die dritte Industrialisierung (durch Digitalisierung) vergleichbare Spuren hinterlassen, deren soziale Effekte vor allem in Europa allerdings durch die etablierten Sozialsysteme abgefangen wurden; dass allerdings in anderen Weltregionen und durch die Anhäufung von Staatsschulden intertemporal enorme soziale Spannungen hervorgerufen wurden, wird oft verdrängt!

Faktum ist, dass bislang noch jeder technologische Wandel massenhaft Arbeitsplätze vernichtet hat, dass jedoch in den entwickelten Ländern bislang neue Arbeitsplätze dadurch entstanden sind, dass die wegfallenden Tätigkeiten durch Tätigkeiten, für die eine höhere Qualifikation erforderlich war, substituiert werden konnten. Unter dem Strich hat der technologische Fortschritt gleichzeitig einen Produktivitätsfortschritt, kürzere Arbeitszeiten und steigenden Wohlstand bewirkt.

Selbst wenn man aber darauf vertrauen kann, dass auch der durch "Industrie 4.0" ausgelöste Strukturwandel ebenfalls zum Entstehen neuer Arbeitsplätze führen wird, ist doch plausibel, dass dies alleine nicht ausreichen wird, die entfallenden Arbeitsplätze zu ersetzen. Neu ist vor allem, dass -offensichtlich erstmals in der Geschichte - auch höhere individuelle Qualifikation gegen den Strukturwandel nicht immunisieren dürfte: Glaubt man den eingangs erwähnten Untersuchungen, werden sowohl im niedrigqualifizierten als auch im höchstqualifizierten Tätigkeitsspektrum Arbeitsplätze mit höherer Wahrscheinlichkeit erhalten bleiben, doch wird vor allem das Spektrum von Tätigkeiten mit mittleren und hohen Qualifikationen vom Strukturwandel getroffen werden.

Wie soll die Gesellschaft darauf reagieren, zumal wenn bereits jetzt mehrere hunderttausend arbeitsfähige Personen arbeitslos sind? Wie bereits an anderer Stelle dargelegt (FURCHE Nr. 31/17), kann der längerfristige Strukturwandel durch eine Erweiterung des Arbeitsmarktes und Einbeziehung von Care-work in den volkswirtschaftlichen Bewertungskreislauf gelingen; zunächst allerdings müssen die aktuell drängenden Fragen beantwortet werden!

Dabei ist unübersehbar, dass bereits jetzt massenhafter Bedarf an Arbeitskräften besteht: Wenn die Unterrichtsministerin 5000 zusätzliche Lehrer fordert, wenn mehrere tausend Polizisten fehlen, mehrere hundert Mitarbeiter im Strafvollzug, wenn in absehbarer Zeit mehrere tausend Personen in der ärztlichen Versorgung, in Pflege und Betreuung fehlen werden, wird evident, wie dringend es notwendig ist, Arbeitslose so rasch wie möglich in diese Tätigkeitsfelder zu integrieren!

Mehr Bildung ist zu wenig

Dabei liegt zum einen auf der Hand, dass für die Beschäftigung vielfach auch eine Qualifikationserhöhung erforderlich ist; allerdings zeigen gerade die eingangs erwähnten Studien, dass mit einem Mehr an "Bildung, Bildung, Bildung" alleine nicht das Auslangen gefunden werden kann: Zum einen benötigt der höchstqualifizierte Arbeitsplatz der Zukunft nicht nur Kenntnisse, sondern auch Kreativität, was mit Bildungsmaßnahmen alleine nicht erreicht werden kann; zum anderen wird es notwendig sein, auch die nach wie vor stark nachgefragten Arbeitsplätze mit geringer Qualifikation vorzuhalten und attraktiv zu machen.

Damit zeigt sich, dass zur Bewältigung der Konsequenzen des technologischen Wandels am Arbeitsmarkt nicht nur Arbeitsmarktservice und Bildungssystem gefordert sind, den Unternehmen Mitarbeiter mit jenen Qualifikationen zur Verfügung zu stellen, die diese benötigen, sondern es auch notwendig sein wird, dass die Organisationen sich so verändern, dass sie die Menschen mit ihren gegebenen Qualifikationen in ihre Abläufe integrieren können. Wenn nicht alle Menschen höher qualifiziert werden können, ist es doch der Würde des Einzelnen geschuldet, Menschen zu beschäftigen, und sie nicht bloß auf Transfereinkommen zu verweisen. Wer ein "Recht auf Arbeit" für wichtig hält, sollte sich nicht mit einem "bedingungslosen Grundeinkommen" zufriedengeben!

Geänderter Qualifikationsmix

Ein erster Ansatzpunkt dazu kann die konsequente Vermeidung systemischer Überstunden sein: Wenn nach Statistiken derzeit jährlich gut 200 Millionen Überstunden anfallen, entspricht dies angesichts der Zuschlagspflicht mindestens 300 Millionen Zeitstunden und damit etwa 200.000 Vollzeitarbeitsplätzen! Nun ist klar, dass dieses Beschäftigungspotenzial qualifikationsbedingt nicht kurzfristig 1:1 durch Arbeitslose abgedeckt werden kann, doch ist es zu wenig kreativ, das Fehlen qualifizierter Bewerber zu beklagen. Wo Arbeitskräfte mit den in der heutigen Arbeitsorganisation erforderlichen Qualifikationen in ausreichendem Maß nicht zur Verfügung stehen werden, wird es notwendig sein, die arbeitsteiligen Prozesse mit einem geänderten Qualifikationsmix neu aufzusetzen und so neu zu gestalten, dass am Burnout vorbeischrammende Hochqualifizierte zeitlich entlastet und deren Tätigkeiten kaskadierend zu Menschen mit anderen Qualifikationen neu verteilt werden.

Diese Wahrnehmung von Verantwortung für die Beschäftigung durch Unternehmen ist für mich vor dem Hintergrund der Sinnfrage unternehmerischen Handelns unausweichlich. Immerhin ist nach dem geltenden Aktiengesetz die Verantwortung sogar des Vorstands einer Aktiengesellschaft nicht auf den shareholder value fokussiert, sondern er ist - gleichrangig -auch den Interessen der Arbeitnehmer und der Öffentlichkeit verpflichtet. Dass diese Gemeinwohlorientierung in weniger kapitalorientierten Unternehmensformen als einer Aktiengesellschaft umso mehr maßgeblich ist, ergibt sich zwingend aus einem Größenschluss.

Es ist evident, dass alleine durch die Neuorganisation der Arbeitsprozesse in den Unternehmen die längerfristigen Beschäftigungseffekte von "Industrie 4.0" nicht gelöst werden können, doch sehe ich darin einen ersten Schritt im Prozess einer gesamtgesellschaftlichen neuen Organisation der Arbeit. Wie könnten die langfristig notwendigen großen Herausforderungen bewältigt werden, wenn die aktuell drängenden Probleme nicht gelöst werden?

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