6976572-1985_48_19.jpg
Digital In Arbeit

Übertriebene Ängste — Übertriebene Hoffnungc

19451960198020002020

Die Arbeitszeit sinkt laufend. Das soziale Netz ist im Berufsleben so dicht wie nie. Die Freizeitgesellschaft lockt als Utopie. Trotzdem steht die Arbeit im Mittelpunkt der Ängste der Menschen wie nie zuvor. Warum?

19451960198020002020

Die Arbeitszeit sinkt laufend. Das soziale Netz ist im Berufsleben so dicht wie nie. Die Freizeitgesellschaft lockt als Utopie. Trotzdem steht die Arbeit im Mittelpunkt der Ängste der Menschen wie nie zuvor. Warum?

Werbung
Werbung
Werbung

Der erste und wichtigste Grund der Sorgen dürfte wohl darin zu suchen sein, daß erstmals in der Geschichte der Menschheit die Masse der Staatsbürger und nicht bloß wenige Auserwählte einen gewissen Wohlstand erreicht haben und daß sie damit erstmals auch etwas zu verlieren haben.

Der Wohlstandsbürger betrachtet das irdische Leben nicht mehr bloß als Jammertal, als Durchgangsstation in ein besseres Jenseits, wie noch der mittelalterliche Mensch. Er glaubt, ein Recht auf Glück zu haben. Da aber der moderne Wohlstand nicht mehr auf Vermögen, sondern fast ausschließlich auf Einkommen beruht, ist der Wohlstand identisch mit dem Arbeitsplatz, ist das Recht auf Glück identisch mit dem Recht auf einen Arbeitsplatz und damit auf ein Einkommen.

Parallel mit diesem Wertewandel, der schon lange vorher begann, aber in unserer Zeit einen Abschluß fand, ging ein weiterer, der die Arbeit vom unvermeidlichen Mittel zur notdürftigen Bestreitung des Lebensunterhaltes zum Rangzeichen innerhalb der Gesellschaft und in sehr vielen Fällen sogar zur Hoffnung auf Selbstverwirklichung machte.

Angesichts des hohen Wertes, der dem Arbeitsplatz in unserer Zeit zu Recht oder Unrecht zugemessen wird, überrascht es kaum, daß alles, was den Arbeitsplatz gefährdet, als ungeheure Bedrohung empfunden wird. Und an Bedrohungen des Arbeitsplatzes scheint es ja keineswegs zu mangeln. Daß der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgehen könnte, scheint die beängstigendste Vision zu sein:

Vom Fließband über den Roboter und die Büroautomation scheint ein direkter Weg zur künstlichen Intelligenz zu führen, nach dem Hilfsarbeiter scheinen auch der Facharbeiter, das Büropersonal und in letzter Konsequenz auch der Konstrukteur und der Wissenschaftler wegrationalisiert zu werden. Und nur der Wertewandel macht verständlich, daß wir uns von dieser Vision bedroht fühlen und nicht davon träumen, dann endlich in Poders-dorf oder Acapulco in der Sonne liegen zu dürfen und uns vom Roboter gebratene Tauben und Wein servieren zu lassen.

Die diffuse Vielfalt an einander oft widersprechenden Ängsten erzeugt zwangsläufig eine ebenso diffuse Vielfalt einander widersprechender Vorschläge: Rationalisierungsstopp wie Technikförderung, Verdammung wie Uberschätzung des technischen Fortschritts, Forcierung der Facharbeiterausbildung wie der Akademikerausbildung, längere Schulzeit wie mehr Lernen am Arbeitsplatz, mehr Mitbestimmung am Arbeitsplatz wie mehr Teilzeitarbeit in der Freizeit-freien Zeit.

Zunächst zu der für viele bedrängendsten Frage: Wird der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgehen, wird es in Zukunft wieder genug Arbeitsplätze für alle Arbeitswüligen geben? Mit großer Wahrscheinlichkeit: ja. Zumindest auf absehbare Zeit. Die gegenwärtige Situation darf nicht ohne weiteres in die Zukunft verlängert werden. Die Arbeitslosigkeit unserer Tage ist nur zum geringsten Teil durch die Erdölkrise und die Rationalisierung bedingt.

Zum überwiegenden Teil ist sie Folge des mehr oder weniger zufälligen Zusammentreffens zweier außergewöhnlicher Faktoren: des Endes des europäischen Aufholprozesses nach den schweren Rückschlägen vom Ersten Weltkrieg, Weltwirtschaftskrise und Zweiten Weltkrieg, das die Wachstumsraten in den siebziger Jahren von längerfristig unnatürlich hohen Werten auf ein Normalmaß reduzierte, und ein demografischer Schub, der die Baby-Boom-Generation der sechziger Jahre ins Erwerbsleben treten ließ. Ein solcher demografischer Schub droht uns auf absehbare Zeit nicht mehr.

Wie weit der technische Fortschritt Arbeitsplätze bedroht, ist im vorhinein nie mit Sicherheit zu sagen. In der Vergangenheit hat der technische Fortschritt eher Arbeitsplätze geschaffen als vernichtet, wenn auch nicht direkt, sondern indirekt und damit auf anderen Gebieten.

Natürlich hat die Eisenbahn Kutscher, Sattler, Wagner und Pferdezüchter arbeitslos gemacht. Aber sie hat über die Ver-billigung der Transportkosten aller Güter außerordentlich verbilligt, ganz neue Produktionszweige konnten dadurch entstehen, der ganze Prozeß der Industrialisierung, und mit ihm die Industriearbeitsplätze, begann dadurch.

Das nämlich ist das Problem des technischen Fortschritts: Zur Zeit der Einführung der Eisenbahn konnte man sich sehr wohl vorstellen, wen die Eisenbahn arbeitslos machen wird. Was billiger werden würde und was die Leute mit der dadurch zusätzlich verfügbaren Kaufkraft anfangen würden, davon hatte man keine Ahnung.

In qualitativer Hinsicht gibt es aber Grenzen der Gestaltungsspielräume. Die Träume von der Gestaltung der Arbeit in einer Weise, daß sie jedem Selbstverwirklichung ermöglicht und Leistungsanreize und Leistungsdruck wegfallen können, wird Traum bleiben. Die Arbeit ist heute zwar sicherlich physisch leichter und sauberer als vor 100 Jahren, und die Spielräume in Richtung interessantere und befriedigendere Gestaltung der Arbeit sind sicherlich noch nicht ausgeschöpft. Wir werden sie nutzen müssen. Aber die Arbeit wird stets bloß für eine Minderheit der Lebensinhalt, das Ziel ihres Lebens sein. Die Mehrheit der Menschen wird ihr Ziel anderswo suchen und finden müssen, und da ist wohl auch nicht so unmenschlich, wenn die Arbeit in absehbarer Zukunft bloß noch 30 oder 35 Stunden wöchentlich dauern wird.

Ein weiteres Schlagwort wird sich in der Zukunft bloß in engen Grenzen realisieren lassen: Daß die Arbeit zum Menschen kommen soll, in seine natürliche Umgebung, und nicht der Mensch zur Arbeit in die Fremde ziehen muß.

Sicherlich, die regionalpolitischen Möglichkeiten sind noch nicht ausgeschöpft, doch so wie die Natur hat auch die Wirtschaft ihre eigenen Gesetzlichkeiten. Man kann überall säen, doch leider nicht überall ernten. Und so gedeiht auch die Wirtschaft erfolgreich nur dort, wo ihr die Bedingungen taugen, und das sind im allgemeinen eher die Verdichtungsräume als die Peripherien.

Mensch und Arbeit—die Ängste sind übertrieben, und die Hoffnungen sind übertrieben. Es gibt Gestaltungsspielräume, die es ermöglichen, das Leben auf der Welt nicht nur für einzelne, sondern auch für die Massen erträglich zu machen. Aber wer glaubt, das Paradies auf Erden verwirklichen zu können, wird um Enttäuschungen nicht herumkommen.

Der Autor ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Graz.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung