Arbeitssinn - © Foto: iStock/1971yes

Muss meine Arbeit sinnvoll sein?

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Anders als früher muss der Sinn der eigenen Arbeit heute stärker selbst erschlossen werden. Das fordert heraus – und birgt die Gefahr übersteigerter Erwartungen. Ein Gastkommentar.

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Anders als früher muss der Sinn der eigenen Arbeit heute stärker selbst erschlossen werden. Das fordert heraus – und birgt die Gefahr übersteigerter Erwartungen. Ein Gastkommentar.

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Laut einer großangelegten Befragung von Microsoft unter Beschäftigten weltweit denken aktuell 41 Prozent darüber nach, innerhalb des nächsten Jahres zu kündigen, 46 Prozent wollen sich im Beruf deutlich verändern. Die Monate des Corona-Lockdowns boten vielen Menschen anscheinend die Gelegenheit, ihren aktuellen Job zu hinterfragen und sich zu überlegen, was sie wirklich von ihrer Arbeit wollen. Fragen wie „Kommen meine Fähigkeiten bei diesem Job eigentlich zum Einsatz?“ oder „Passen meine Werte mit denen meines Arbeitgebers zusammen?“. Und vor allem: „Muss meine Arbeit sinnvoll sein?“

Kurz vor seinem Tod 2019 hatte der Anthropologe David Graeber noch einmal Aufsehen erregt mit seiner These von den „Bullshit-Jobs“: In den wohlhabenden westlichen Gesellschaften gehen viele hochqualifizierte Menschen Tätigkeiten nach, die zwar nach außen den Schein bewahren, notwendig zu sein, sich jedoch bei näherer Betrachtung als weitgehend sinnlos erweisen. Eine Sinnlosigkeit, die sich auch den Betroffenen selbst bei einem Mindestmaß an Introspektion offenbart. Diese These war von vielen als deutlich überzeichnet zurückgewiesen worden. Nun, in den 18 Monaten der Corona-Pandemie, haben jedoch viele Menschen genau diese Erfahrung gemacht. Wenn man all die Nebenaspekte des Jobs für eine Weile wegnimmt – die Dienstreisen, das Eckbüro, die schicke Businesskleidung –, bleibt nur die Tätigkeit selbst. Also das, was den Job im Wesenskern ausmacht. Und hier drängte sich so manchem nach einigen Wochen die Erkenntnis auf, dass das Eigentliche des Jobs reichlich banal, bisweilen auch sinnlos ist.

In den USA ist seit dem Lockdown eine große Welle an Kündigungen zu beobachten. Allein im April dieses Jahres haben vier Millionen Amerikaner ihren Job gekündigt, ein historischer Höchstwert. Und zwar nicht nur in den Branchen, die vom Lockdown besonders betroffen waren. Auch in Berufen, in denen sich die wirtschaftliche Situation kaum verändert hat, haben Kündigungen zugenommen. Man hat dort sogar einen eigenen Begriff für diesen Trend gefunden hat: „The Great Resignation“.

Sanitäter statt Fernsehmoderator

Gleichzeitig haben wir in den vergangenen Monaten die Erfahrung gemacht, dass Berufsbilder, die nie ein größeres Maß an Aufmerksamkeit erfahren haben, auf einmal in wohlwollendem Rampenlicht standen, am prominentesten sicherlich die Pflegekräfte auf den Intensivstationen. Vielen Menschen, die nicht in diesen Berufen arbeiten, wurde klar, welchen Wert Berufe haben, die aus sich heraus ein solides Sinnversprechen entwickeln. Die Entscheidung des deutschen Moderators Tobias Schlegl vor einiger Zeit, der seinen gut bezahlten Fernsehjob kündigte, um als Rettungssanitäter zu arbeiten, erschien auf einmal gar nicht mehr so abwegig.

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