Arbeit muss neu gedacht werden

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GASTKOMMENTAR. Es ist jetzt auch schon wieder fast ein Jahr her, dass uns die zuständige Ministerin Beate Hartinger-Klein eine -längst fällige -Arbeitsmarktreform versprochen hat. Soll diese ihren Namen verdienen, müsste freilich an vielen Schrauben gedreht werden.

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GASTKOMMENTAR. Es ist jetzt auch schon wieder fast ein Jahr her, dass uns die zuständige Ministerin Beate Hartinger-Klein eine -längst fällige -Arbeitsmarktreform versprochen hat. Soll diese ihren Namen verdienen, müsste freilich an vielen Schrauben gedreht werden.

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Obschon mehrmals angekündigt, gibt es noch immer keine klare Orientierung, wie nun eine effiziente und effektive Arbeitsmarkt-Strategie aussehen soll, um die offensichtliche Diskrepanz zwischen der Zahl der Arbeitssuchenden einerseits (die nähert sich der halben Million, wenn man die Graubereiche wie Drop-outs, stellensuchende Absolventen, nicht mehr registrierte Ältere berücksichtigt) und den offenen Stellen andererseits (ca. 100.000) aufzulösen. Wenn es auch auf der einen wie auf der anderen Seite viele Gründe und Argumente gibt, weshalb es schwierig ist, eine "Brücke" zu bauen, so gibt es doch Überlegungen und Vorschläge, die zur Lösung dieses Problems beitragen können.

1. Löhne und Gehälter von den Nebenkosten befreien, die es den Unternehmern erschweren, Leute einzustellen und Jobs auch für ältere Wiedereinsteiger attraktiver zu machen (Sicherung der Pensionshöhe). Das hat auch mit dem Punkt 2. Zumutbarkeit zu tun: Für viele Arbeitsuchende erscheint es zumindest problematisch, unter finanziellen Bedingungen zu arbeiten, welche die spezifischen Bedürfnisse des Lebens nicht mehr befriedigen können. Dazu zählen auch die Frage der Mobilität, die damit verbundenen hohen Kosten für Transport und ein überdurchschnittlicher Zeitverlust. Das Problem einer Übersiedlung, die Trennung von der Familie und Kosten der doppelten Haushaltsführung sind nachvollziehbare Argumente für eine Ablehnung.

3. Ein wenig beachteter Umstand ist der Mangel an individueller Betreuung, bei der es nach wie vor um die Bewältigung administrativer Aufgaben geht und allenfalls um Kurse, wie ein attraktiver Lebenslauf auszusehen hat und wie man sich bei einem Bewerbungsgespräch zu verhalten hat. Es ist für die Motivation Jobsuchender auch nicht gerade förderlich, sie mit wenig vorweg überprüften Stellenangeboten zu konfrontieren, denn es dürfte ja auch AMS-Angestellten bekannt sein, dass bei einer Ausschreibung meist nur ein Kandidat von vielen "das Rennen macht". Alle anderen müssen sich als Verlierer fühlen, denen man nicht einmal sagt, warum sie keine Chance hatten und was sie beim nächsten Mal besser machen könnten. Sie werden über weite Strecken (Monate) allein gelassen.

4. Auch seitens der Unternehmen gilt es ein qualitativ hochwertiges Recruiting-Verfahren durchzuführen, das mit einer Einstellung des am besten geeigneten Kandidaten abzuschließen ist und sich nicht über viele Wochen oder gar Monate hinzieht, in denen sich auf beiden Seiten so viel ändern kann, dass es dann eben zu keiner Zusage kommt. So werden laut professioneller Einschätzung 10 bis 15 Prozent der offen ausgeschriebenen Stellen gar nicht besetzt bzw. ändert sich auch das Anforderungsprofil derart, dass dann andere Mitarbeiter gesucht werden. Dieses Phänomen zeigt auch deutlich, wie dynamisch der Arbeitsmarkt ist und wie sehr auf diese Veränderungen einzugehen ist.

Betrachtung der Lebensarbeitszeit

Für eine umfassende und wirksame Reform gehören auch weitere Aspekte behandelt, wie eben die Dauer (bzw. ihre Vorhersehbarkeit) von Arbeitsverhältnissen. Auch diese Medaille hat zwei Seiten. Eine unbefristete Einstellung hat von Seiten der Arbeitgeber nur dann Sinn, wenn es um Aufgaben und Projekte geht, die über längere Zeit anfallen und nicht über befristete Leihkräfte oder externe Dienstleister erledigt werden können. Die steigende Entwicklung dieser Branchen beweist auch die verstärkte Tendenz in den Betrieben nur für produktive Zeiten Leute einzustellen. Andererseits werden gute Leute nur dann solche Aufgaben übernehmen, wenn diese für sie auf Dauer attraktiv und sinnvoll sind sowie dem eigenen Potenzial entsprechen bzw. sie die dafür nötigen Kompetenzen mitbringen. Auch hier bekommt die Frage nach einer individuellen Personalentwicklung (Onboarding-Qualifizierung, Job-Rotation etc.) und deren konkrete Beantwortung einen immer größeren Stellenwert.

Es gibt aber keine wirkliche Arbeitsmarktreform, ohne auch die Betrachtung der Lebensarbeitszeit mit einzubeziehen, die ja volks-wie betriebswirtschaftliche und auch gesellschaftspolitische Auswirkungen zeigt. Daher sollte auch die Pensionsreform so gestaltet werden, dass Ältere länger arbeiten dürfen. Das Pensionsantrittsalter sollte grundsätzlich den Arbeitnehmern freigegeben werden und die Pensionshöhe entsprechend bisher geleisteter Arbeit bzw. einbezahlter Beiträge geregelt werden. Das entspräche nicht nur der demographischen Entwicklung, sondern böte einen nicht unbeträchtlichen Anreiz, einen größeren Beitrag für sich und die Gesellschaft zu leisten. Diese "Mehrleister" dürften allerdings für ihr zusätzliches Engagement nicht finanziell bestraft werden. Auch könnten Abgaben beim Einkommen aus Arbeit wegfallen, was die Arbeit verbilligen würde, und der Pension zugeschrieben werden (etwa aus dem Titel Kranken-und Unfallversicherung).

Die Tatsache, dass es immer öfter kürzer befristete Dienstverhältnisse gibt (die Zugehörigkeitsdauer zu einer Firma beträgt im Durchschnitt 348 Tage) führt zu kürzeren oder längeren Intervallen (Zeiten von Arbeitslosigkeit), die für spezifische Weiterbildungsmaßnahmen genutzt werden könnten (zuweilen überbrücken Firmen selbst diese unproduktiven Zeiten mit einer Bildungskarenz). Diese Bildungstätigkeit trägt nicht bloß zur Aufrechterhaltung der Employability des Jobsuchenden bei, sondern stellt einen volkswirtschaftlichen Beitrag dar, der entsprechend finanziert werden sollte. In diesem Zusammenhang sei auf die Notwendigkeit breitflächig geeigneter Qualifizierungsangebote für Erwachsene hingewiesen -wobei hier eine enge Abstimmung mit den Unternehmen erfolgen sollte (Digitalisierung). Darin zeigt sich auch der kausale Zusammenhang von Bildung und Arbeit, wo es um viele Aspekte geht, die frühzeitig Beachtung finden müssten, so sehr auch die Schwierigkeit zunimmt, über längere Zeit treffsichere Planungen vorzunehmen. Dennoch sind Ausbildungen, schulische Bildung und jede Art von Qualifizierung auf die realistischen Möglichkeiten, diese auch existenzsichernd einzusetzen, zu überprüfen und allenfalls neu zu gestalten. Einerseits können arbeitslose Akademiker (Architekten als Taxifahrer) und Drop-outs vermieden werden, zum anderen kann die Nachfrage der Wirtschaft möglichst anforderungsgenau befriedigt werden. Insbesondere wäre auf die Gefahr bei sogenannten Orchideenfächern hinzuweisen, da mit diesen Studien in der Regel nur schwer ein beruflicher Einstieg gelingt. Diese Überlegungen sollten bei der Entwicklung von praxisfernen Studiengängen Berücksichtigung finden, was aber keinesfalls eine Einschränkung eines umfassenden Bildungsangebotes bedeutet.

Schlüsselthema Bildung

Neben Pensions- (Flexibilisierung) und Bildungsreform (wirtschafts-und lebensnäher) gehören zumindest noch Gesundheits- (Fitness bis ins hohe Alter, Eigenverantwortung), Verwaltungs- (Vereinfachung und Beschleunigung, Vermeidung von Doppelgleisigkeiten, Abschaffung des Kompetenzwirrwarrs) und eine Gesetzesreform (Arbeits-und Sozialrecht) genannt, die sich gleichfalls auf die zu erneuernde Arbeitswelt auswirken würden.

Nicht zuletzt gehört der Arbeitsbegriff selbst neu definiert bzw. erweitert. Bildung hat innerhalb einer sich verändernden Arbeitswelt einen besonders hohen Stellenwert. Dieser neue Arbeitsbegriff soll sämtliche, auch zukünftigen Tätigkeiten beinhalten, die positive gesellschaftliche Relevanz haben können und dem Einzelnen wie der gesamten Gesellschaft eine sinnvolle Berufs-und Lebensperspektive bieten. Derzeit fehlt es an der Umsetzung, an einem offenen Diskurs und dem Mut, auch mit Andersdenkenden wertschätzend ein gemeinsames Ziel zu verwirklichen. 2019 könnte man damit anfangen!

Der Autor ist Personal-, Newplacement-Berater und Führungskräfte-Coach mit langjähriger Erfahrung im Personalbereich nationaler und internationaler Industriebetriebe

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