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Digital In Arbeit

Wirtschaftlich denken

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Diejenigen Angehörigen der Wirtschaftsgesellschaft, die angemessene ökonomische Substanz haben, werden von einer Änderung der Kaufkraft des Geldes zumindest nicht unmittelbar berührt, wenn ihnen auch eine Geldwertverschlechterung keineswegs gleichgültig sein wird. Dagegen werden jene Personen, die Schulden ohne Kaufkraftsicherung eingegangen sind, an einer Geldverdünnung ihre helle Freude haben, wenn auch nur, soweit sie eben Schuldner sind.

Keine Freude mit der Verschlechterung der Kaufkraft haben dagegen die Arbeitnehmer. Für säe bedeutet, falls die Kaufkraft (angezeigt in einem Ansteigen der Preise der Güter des Massenkonsums) absinkt, daß sich ihre Konsumchancen verringern, was auch durch Teuerungszulagen keineswegs wirksam geändert werden kann. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn gerade die Arbeitnehmer und eine verantwortungsbewußte Gewerkschaftsführung, der nicht so sehr an spektakulären, sondern an realen Erfolgen gelegen ist, ganz nachdrücklich an einer Stabilisierung des Geldwertes, das heißt an einem Gleichbleiben der Preise und Güter des Massenkonsums, interessiert sind.

Wenn nun angesichts einer befürchteten Verringerung der Kaufkraft des Geldes gefragt wird, wie die Arbeitnehmer sich der Bedrohung der Stabilität gegenüber verhalten werden, heißt das eigentlich: Wae werden sich die für die Lohnverhandlungen in den Gewerkschaften Verantwortlichen überall da verhalten, wo sie in der Lage sind, durch die von ihnen gesetzten Daten (erzielte Lohnerhöhungen und ähnlichem) den Geldwert zu beeinflussen?

Die Störung der Stabilität kann viele Ursachen haben, exogene und endogene. Exogene: Eine Mißernte wie jene des Jahres 1965 kann keineswegs durch ein Marktverhalten der Gewerkschaften — und wäre es auch noch so „diszipliniert“ — in ihrer Preiswirkung kompensiert werden.

Die dem Schreiber dieser Arbeit gestellte Frage soll daher heißen: Wie können die Gewerkschaften, denen es gleichsam ex offo aufgegeben ist, Lohnforderungen zu stellen, ihre Forderungen so formulieren, daß sie nicht die gleichzeitig geforderte Stabilität des Geldes gefährden?

1. Jede Lohnforderung soll (im allgemeinen) als ein Verlangen nach mehr Lohn in der Lohnperiode oder je Einheit der Erzeugung verstanden werden.

2. Wenn eine Lohnforderung erfüllt wird, führt dies unvermeidbar im Moment der Lohnzahlung zu einem Anstieg der Kosten der Einheit der Produktion oder der Arbeitnehmerstunde.

3. Eine Steigerung der Kosten als Folge einer Lohnerhöhung muß nicht unbedingt auf die Preise fortgewälzt werden,

a) wenn ein ausreichender „Gewinnpolster“ vorhanden ist, oder

b) wenn der Lohnerhöhung eine vorangegangene Produktivitätssteigerung entspricht, wodurch bereits vorher die Stückkosten gesunken sind oder ein Mehrerlös als Folge einer relativen Mehrproduktion erzielt worden ist.

c) Wenn jedoch eine Lohnforderung im Sinne einer dynamischen Lohnpolitik gestellt und erfüllt worden ist, heißt dies: dem Mehrlohn steht noch keine konforme Mehrerzeugung gegenüber. Im Übergang ist daher eine Kostensteigerung nicht zu kompensieren. Anderseits wird der Arbeitgeber nun gezwungen (sogenannte „Foltertheorie“), die Lohnerhöhungen, die er vorläufig behalten muß, durch Rationalisierung zu kompensieren. Freilich kann dies zur Freisetzung von Arbeitnehmern führen (technologische Arbeitslosigkeit).

Eine verantwortungsbewußte Gewerkschaftsführung — wie wir sie in Österreich haben — wird sich bemühen, Löhnerhöhungen nur in Abstimmung mit dem Produktivitätsfortschritt durchzusetzen.

4. Ein offenes und im Sinn unseres Themas kaum lösbares Problem bleibt jene Form der Lohnerhöhung, die den Charakter einer „Teuerungs“-Zulage hat. Wir wollen nicht auf den Tatbestand eingehen, daß das Wort „Teuerung“ eine sehr fragwürdige Angelegenheit ist, mehr ein Argument als ein Sachverhalt, und nur feststellen, daß bei einer Zulage, welche die Folgen einer Teuerung aufwiegen soll, keine kompensatorischen Gegenkräfte vorhanden sind. Daher ist es leider so, daß die Teuerungszulagen, so sehr sie im Einzelfall sozial berechtigt sind, eine Teuerung lediglich beschleunigen und die nächste Forderung nach Teuerungszulage provozieren.

5. Ebenso ist zu beachten, daß auch eine Lohnerhöhung, die durch einen Produktivitätsanstieg abgedeckt ist, auch bei solchen Gruppen von Arbeitnehmern Anlaß zu Lohnforderungen sind, die aus der Natur der von ihnen geführten Produktion keinen oder nur einen geringen Produktivitätsanstieg herbeiführen können. Stets gibt es neben Wachs-tuimsibrancben Wirtschaftszweige, die schrumpfen. In der Gegenwart ist es unter anderem die Kohle, bei der eine Verteuerung der Kosten der Förderung gegengleich (von der billigen Importkohle ganz abgesehen) eine strukturelle Verringerung der Nachfrage gegenübersteht. Wenn nun alle Löhne nach oben, das heißt an die Löhne jener Gruppen, die sich ihren Mehrlohn „verdienen“, angepaßt werden, wird es unvermeidbar zu allgemeinen Preissteigerungen kommen. Die Versuche, so etwas wie eine volkswirtschaftliche Produktivität zu ermitteln und die Löhne generell an die Entwicklung dieser Mittel-wertproduktivität anzupassen, sind bisher ohne Erfolg geblieben. Selbst an theoretischen Schlüssen fehlt es.

Anderseits kann man es den Arbeitnehmern in Wirtschaftszweigen, die keinen Produktivitätsanstieg zu verzeichnen haben, nicht verargen, wenn auch sie Lohnforderungen stellen. Sie verhalten sich schließlich zumindest so rational wie jene Arbeitgeber, die ihre Preise an die Preise der jeweiligen Grenzbetriebe (Erlöse-Selbstfkosten) anpassen, wodurch sie eine Kostenrente (im Prefcskartell: Kartellrente) beziehen.

Ein leider aktuell gewordenes Problem ist das Verhalten der Gewerkschaften in der Situation einer Rezession, in der bereits viele jener Elemente angelegt sind, die schließlich das Absinken in die Depression herbeiführen. Die deutschen Gewerkschaften haben bisher — sicher auch eine Folge der bei uns derzeit übel beleumundeten Koalition — ein hohes Maß von Verantwortungsbewußtsein bewiesen und von sich aus kaum Ursachen gesetzt, welche die Wirtschaftslage verschlechtern helfen. Nur ein Beispiel: Die Tarif partner in der westfälischen Bekleidungsindustrie, welche seinerzeit die Tarifverträge zum 31. Dezember 1966 gekündigt hatten, haben sich nun entschlössen, die Verträge auf unbestimmte Zeit zu prolongieren. Manche Arbeitgeber sind sich jedoch der Lage nicht bewußt, in der sich Gewerkschaftsführer befinden, die ihren Leuten nichts anzubieten haben als Argumente für einen Lohnverziicht, und dies trotz einer unverkennbaren Radikalisierung der deutschen Arbeiterschaft, die bisher von einer „Lohnerhöhung in Permanenz“ ausgegangen ist und nun viele ihrer Wünsche unerfüllt sieht. Die Radikalen in den Gewerkschaften, auf die nun ein Gewerkschaftsführer auch Bedacht nehmen muß, wollen oder dürfen auf Grund der ihnen erteilten Aufträge nicht sehen, daß ein zeitweiliger Lohnverzicht in vielen Situationen der Arbeiterschaft eines Betriebes nützlicher ist als eine Lohnerhöhung, die zur Liquidation ganzer Betriebe führen kann. Leider ist auch die von Arbeitgebern finanzierte Presse nicht immer bereit, den verantwortungsbewußten Gewerkschaftsführern Hilfestellung zu geben, sondern stimmt groteskerweise in den Chor jener ein, die davon sprechen, daß „alles teurer“ wird. Dadurch Wird die Verhandlungsmacht gerade jener Partner auf dem Arbeitsmarkt geschwächt, von denen man bei einem Lohnkompromiß erwartet, daß sie diesen Kompromiß ihren Mitgliedern verständlich und akzeptabel machen. Nun sind einmal die Gewerkschaften dazu da, ihren Mitgliedern Vorteile zu verschaffen. Wenn sie dies scheinbar nicht tun, erscheinen sie vielen, wenn nicht der Masse der Arbeitnehmer, funktionslos. Schließlich ist eine Unternehmungskonzentration auch keine fromme Bruderschaft, sondern ein Gebilde, dessen Sinn es ist, etwa über eine Beschränkung des Wettbewerbes, die Mitglieder zu begünstigen. Bei den Gewerkschaften aber setzt man Forderungsaskese voraus.

Im Rahmen einer „moral persuason“, das heißt von Maßhalteappellen, versuchen die Partner auf den Arbeitsmärkten einander zur Mäßigung zu bewegen. Eine Mäßigung setzt aber Geigenmäßigung voraus. Wie können die Gewerkschaften die Radikalen in den Betrieben unterstützen, wenn Preise da und dort dauernd erhöht werden. Man sehe sich an, was sich auf dem Getränkesektor tut oder bei manchen Gütern des Massenkonsums!

Man soll nicht übersehen, daß manche Forderungen auf Arbeitnehmerseite wenig oder nichts mit wirtschaftlicher Vernunft zu tun haben. Das gilt ganz besonders dann, wenn offenkundig ist, daß man in der nächsten Zeit kaum mit einem Wachstum der Wirtschaft zu rechnen hat, weshalb so gut wie jede Lohnforderung, weil oder wenn sachlich ungedeckt zu einer Preiserhöhung führen muß. Ebensowenig soll geleugnet werden, daß die Lohnforderungen, soweit sie an den Fiskus gerichtet sind, geeignet sind, die Investitionsfonds unangemessen zu kürzen und dadurch auch das Wachsen jener Fonds zu gefährden, aus denen die Lohnerhöhungen der öffentlich Bediensteten finanziert werden müssen. Das alles soll anerkannt und auf einen Mangel an Verantwortungsbewußtsein oder zumindest auf die Absenz von wirtschaftlichen Denken und Wissen zurückgeführt werden.

Anderseits hat man allen Grund, die Toleranz zu beklagen, mit der die Verantwortlichen unbegründeten Preisanstiegen gegenüberstehen. Man ist leicht geneigt, einen kleinen Postler zu entlassen, weil er Waren im Wert von wenigen Schilling entwendet hat, zeigt aber nicht die gleiche Härte, wenn durch Preiserhöhungen die Stabilität des Schillings ernstlich gefährdet wird. Vor allem gilt das für die Preise von Waren, deren Produzenten ihre Zentralen im Ausland haben. Die Sklavenseligkeit so mancher Politiker läßt sie bei Ausländern jene Milde zeigen, die sie eigenen Leuten gegenüber sehr vermissen lassen.

Die Vertreter der Arbeitnehmer können nur dann einen angemessenen Beitrag zur Stabilisierung leisten, wenn sie die Masse ihrer fordernden Mitglieder auf erkennbare Beiträge der Gegenseite hinweisen können.

Davon ausgehen, daß die Arbeitnehmer kein Interesse an einer Sicherung der Stabilität haben, wäre jedoch gleichbedeutend mit der Annahme, daß die Arbeitnehmer unseres Landes unwirtschaftlich denken.

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