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Wird die Konjunktur andauern?

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Seit Wirtschaftsweisen bestehen, die man als „kapitalistisch“ klassifiziert, zeigen die Konjuk-turen einen zyklischen Ablauf von Blüte und Krise. Die letzten 150 Jahre wiesen nicht weniger als dreizehn größere Krisen aus, die zum Teil in Depressionen und in Massenelend endeten. An der Erhaltung eines krisenlosen Zustan-des sind nun nicht allein die „Wirtschaft“, sondern im gleichen Maße auch die Gewerkschaften interessiert. In der Krise wird die Arbeitskraft der Dienstnehmer zu einer freien Ware, die wohl an sich nützlich, aber nicht knapp ist: Die Gewerkschaften werden in Krisenzeiten mit dem Preisverfall der „Ware“ Arbeitskraft in ihrer Stellung gefährdet. Daher besitzen gerade die Gewerkschaftsführer ein hohes Krisenbewußtsein.

In einer Broschüre*, die wegen der Stellung von Autor und Herausgeber einen gewerkschaftsoffiziösen Charakter hat, wird nun versucht, eine Stellungnahme der Gewerkschaften zur Frage der Krisenverhütung zu formulieren.

Die Ursache„der Krise sieht der Autor wie so manche Theoretiker auch aus dem nichtmarxistischen Lager vor allem im Auseinanderfallen von wachsender Gütererzeugung und Masseneinkommen. Wahrend der Marxismus alle Krisen aus dem Unterkonsum, aus dem Mißverhältnis insbesondere zwischen individueller Aneignung und gesellschaftlicher Produktion entstehen läßt, gibt es nach der modernen Konjunkturtheorie einen ganzen Katalog von Ursachen. Das Kaufkraftmanko der Massen wächst jedoch in seiner krisenbestimmenden Gewichtigkeit. Schließlich verleiht die effektive Nachfrage allein einem Produktionszuwachs, der in der ersten Phase doch nur ein Mengenzuwachs ist, wirtschaftliche Gültigkeit. Wozu steigende Produktivität, wenn nicht angemessene Kaufkraft da ist, die den Güterzuwachs, besser: das vermehrte Anbot, zu binden vermag?

Der große Börsenkrach von 1929. mit einen unheilvollen politischen Folgen war nicht der Beginn der Weltwirtschaftskrise, sondern nur der letzte Anstoß. Er zeigte nach Winkler eine Überproduktion an, eine Ansammlung von Warentauschresten, die nicht abgebaut werden konnten, da es an Kaufkraft fehlte. Das heißt also: man muß Güter und die ihnen entsprechende Nachfrage gleichzeitig „produzieren“. Die Krise nach 1929 erwies jedenfalls den Tatbestand, daß Not nicht allein aus Gütermangel,sondern auch aus Überfluß, aus einer falschen Verteilung, entstehen kann.

Für die Gewerkschaften und auch für viele Vertreter des wirtschaftlichen Liberalismus scheint nun die Krise keineswegs eine Erscheinung im Ablauf des wirtschaftlichen Geschehens zu sein, die unvermeidbar ist und auf eine Prosperität folgen muß.

In der Krise entsteht die „industrielle Reservearmee“. Ein hoher Prozentsatz der Arbeiterschaft bietet seine Arbeitskraft vergebens an.Die Löhne der noch im Arbeitsprozeß stehenden Dienstnehmer sind zwar kollektivvertraglich abgesichert, nicht aber die Effektivlöhne, das sind jene Löhne, die oft spontan von den Unternehmungen über die normierten Löhne hinaus gezahlt werden. Die Verringerung der volkswirtschaftlichen Lohnsumme reduziert aber wieder die Massennachfrage — der „Circulus“ ist geschlossen.

Gegen die Annahme, daß die Krise in einem naturgesetzlichen Verlauf des wirtschaftlichen Prozesses kommen müsse und ihr Entstehen nur verzögert, nicht aber verhindert werden könne, steht die These der Gewerkschaften: Die Krise — als Absatzkrise — kann behoben'werden, wenn man das Güteranbot an eine entsprechend hohe Kaufkraft bindet. Versuchen die Gewerkschaften, die Löhne an die Produktivitätsentwicklung anzupassen, so bemühen sie sich auf diese Weise gleichzeitg um Massennachfrage und führen indirekt eine Absatzkampagne. Der Produktionsförderung muß daher eine Politik des dauernden Lohnauftriebes entsprechen. Daß die Ergebnisse der relativen Mehrproduktion zum Teil auf die Preise (durch Preiskürzung) weitergegeben und auch zur Finanzierung von Investitionen verwendet werden müssen, ist auch den Gewerkschaften selbstverständlich. Niemand denkt daran, eine Mehrproduktivität nur durch einen Mehrlohn absorbieren zu lassen.

Je mehr wir uns der Automation nähern, um so mehr Gewicht erhalten alle Maßnahmen zur Stärkung der Massenkaufkraft, ob nun über den Löbri oder über eine zweite Einkommensverteilung (Pensionen, Kinderbeihilfen). Die neuen Maschinenaggregate müssen meist, um sich rasch zu amortisieren, bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit genützt werden. Automatisierung bedeutet nun einmal Einsparung menschlicher Arbeitskraft. Die Folge ist die „technologische Arbeitslosigkeit“. Trotz allen beruhigenden Mitteilungen hat sich die Zahl der

Arbeitslosen in den USA auf einer beachtlichen Höhe stabilisiert. Anderseits aber entstehen bei verringertem Bedarf an menschlicher Arbeitskraft, ja gerade deshalb, große, in ihrer Höhe kaum regulierbare Ausstoßmengen. Wie können aber die Massenanbote an Gütern ihren Absatz finden, wenn nicht durch Vollbeschäftigung bei reduzierter Soll-Arbeitszeit und einer entsprechend hohen Massenkaufkraft?

Der Autor der Broschüre und — so dürfen wir annehmen — die Führung der österreichischen Gewerkschaften sind daher für eine Manipulierung der wirtschaftlichen Verfahrensweisen. Man kann zwar annehmen, daß die modernen Wer-bungs- und Verkaufsmethoden ausreichen, die Nachfrage auf die vorhandenen und angebotenen neuen Güter zu ziehen. Das beste „Marketing“, gerichtet auf die Zähmung der kaufwilligen Konsumenten, muß aber auch bei Überwindung des letzten psychologischen Käuferwiderstandes wirkungslos bleiben, wenn dem noch so kaufwilligen Konsumenten die Kaufkraft fehlt. Die Steigerung der Konsumentennachfrage ist daher ein unerläßliches Glied im Prozeß der Expansion der Wirtschaft (Haberler).

Es scheint, als ob die Lohnpolitik in unserem Land nicht mit der allgemeinen technischen Perfektion abgestimmt sei. An dieser Taktik wurde auch auf dem Bundesparteitag der ÖVP, scheinbar ohne Widerspruch, festgehalten. Gerade da, wo sich die Technik in höchster Produktivität und dementsprechend hohen Ausstoßmengen aktiviert, bei der Herstellung der Güter des Massenkonsums, fehlt das Einkommen im Maß des Anbotes. Die Mindestlöhne der unteren Einkommensstufen, aber auch die Einkünfte der kleinen Gewerbetreibenden und der Kleinbauern sind auf einem Niveau festgefroren, das den „Komfort“-Chancen des vergangenen Jahrhunderts entspricht. Daher auch die hohe Quote an mitverdienenden Ehefrauen, die Abwanderung von Nachwuchskräften in das Ausland und die Unmöglichkeit, bei bestimmten Gütern größere Serien aufzulegen.

Kirche und Gewerkschaften haben einmütig eine Berichtigung unserer Lohnpolitik gefordert: der Oberhirte von Tirol in Wien und der Präsident des ÖGB in Tirol. Selbstverständlich heißt Korrektur der Lohnpolitik eine*Lohnberichtigung, die dem Produktivitätsstand angemessen ist, nicht aber die Praktizierung von Lohnvorgriffen.

Die Krisenangst der Gewerkschaften — insbesondere in Österreich — führt zu einer steten Abwehrbereitschaft. Gleichzeitig aber bricht in der Frage, „ob die Konjunktur andauern“ werde, die Sorge durch: Ist es — “wie der Natiönal-ökonom Barone sagte — unvermeidbar, daß Krisen kommen? Oder ist die Krise nur eine „kapitalistische Entartung“? Kann man die Konjunktur manipulieren und wachsende Wirtschaft mit wachsender Massenkaufkraft koordinieren? Das bedeutet aber, daß mit den wirtschaftlichen Großräumen auf ihre Produktionskraft abgestimmte soziale Großräume entstehen müssenl

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