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Der Produktivittskonflikt

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„Die Oesterreichische Furche'* stellt hier einen Aufsatz zur Debatte, der in seiner scharfen Formulierung geeignet sein sollt?, eine breitere Oeffentlichkeit zur Erörterung der uns alle beunruhigenden Tatsache einzuladen: was stimmt bei uns nicht? Warum ist Oesterreichs Produktivität heute so verhältnismäßig gering?

Auf diese Frage dürften sehr verschiedene Antworten gegeben werden, entsprechend der Vielfalt der Faktoren, die hier zusammen und gegeneinander wirken. Einige der heikelsten von ihnen spricht dieser Artikel offen an.

Es grenzt an das Tragisch-Komische, wenn sich in Oesterreich, mit seinem Rückstand im industriellen Leistungsgrad, zwischen Unternehmern und Gewerkschaften ein Streit um die Steigerung der industriellen Produktivität entzündet. Mit dieser steht es in Oesterreich nicht am besten, hält sich doch April dieses Jahres die Produktivität nur auf 101,7% jener des Jahres 1937, während sie in England und den in USA mit 20%, in Schweden sogar um 30% über dem Vorkriegsstand liegt. In Oesterreich mit seiner vorbildlichen Sozialgesetzgebung ist in der Zeit von 1938 bis 1950 die Zahl der Urlaubs-, Krankheits-vmd Feiertage im Durchschnitt von 20 auf 43 angestiegen, so daß die Zahl der Arbeitstage, auf das Jahr geredinet, um 8% zurückgegangen ist. Leider finden diese erhöhten Sozialleistungen bis heute bei uns keinen entsprechenden Ausgleich in einer erhöhten Ergiebigkeit der Arbeitsstunden; das Resultat ist, daß trotz einer weitgehenden technischen Rationalisierung der österreichischen Industrie mit Hilfe der Marshall-Plan-Gelder sich ihre Produktivität gegenüber der Vorkriegszeit fast nicht erhöhte.

Um die im österreichischen Wirtschaftspotential vorhandenen Produktivitätsreserven fruchtbringend zu gestalten, wurde bekanntlich vor mehr als zwei Jahren auf Vorschlag und mit finanzieller Unterstützung der ECA das österreichische Produktivitätszentrum gegründet, wobei zunächst das Unternehmertum in der Funktion prävalierte. Aber weit entfernt davon, sich die Rolle des alleinigen Herrn im Hause anzumaßen, hat die Führung der Privatindustrie Mai 1952 einer Reorganisation des Produktivitätszentrums zugestimmt, wobei unter der Parole „durch Produktivität und Humanität zur Prosperität“ in Fragen der Produktivitätssteigerung eine weitgehende Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vorgesehen war. Schon damals ließen die Vertreterstimmen von Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbund gewisse Bedenken dagegen laut werden, daß ein gleichbleibendes Produktionsergebnis mit weniger Arbeitskräften erreicht werden könne; daß weiter die Folge einer Produktivitätssteigerung eine erhöhte Ausnützung der Arbeitskräfte sein könnte. Im Gegensatz dazu erklärte damals der Leiter der amerikanischen Wirtschaftskommission für Oesterreich, daß der amerikanische Arbeiter in den letzten 50 Jahren seine Produktivität verdoppelt habe und damit auch seinen Lebensstandard. Der Arbeit des österreichischen Produktivitätszentrums stand als gemeinsames Ziel vor Augen, daß die Ergebnisse der Produktivitätssteigerung dem Unternehmen, den Arbeitern und dem Verbraucher zugute kommen sollen; über die Wege zur Erreichung dieses Zieles konnten sich die beiden Sozialpartner allerdings nicht einigen.

Bei der Beurteilung des österreichischen Produktivitätskonfliktes wird man die sachliche und die politische Seite auseinanderhalten müssen. Soziales Gewissen verbietet die Duldung von Massenarbeitslosigkeit; für Oesterreich treten hier noch außenpolitische Erwägungen hinzu. Der Sicherung der Vollbeschäftigung aber mit Maßnahmen zu entsprechen, die an die Maschinenstürmern vergangener Jahrhunderte gemahnen, heißt sich einseitig für Unterversorgung und für den Kasernenstil im Leben entscheiden. Vollbeschäftigung setzt in erster Linie finanzielle Stabilisierung voraus und Unterbindung des Inflationsdruckes; weiter eine größere Flexibilität des Arbeitseinsatzes, Umschulungen und auch Verlagerungen, von Arbeitskräften. Auch ist ja nicht zu übersehen, daß die Rationalisierung die Preise senkt, billigere Waren aber Mehrkonsum, Mehrbeschäftigung und damit Erhöhung der Arbeitsplatzzahl nach sich ziehen. Es wäre verfehlt, die Produktion auf den Bedarf nach Arbeitsplätzen statt nach Gütern abzustellen und darnach Produktivitätspolitik, Rationalisierungstaktik und Mitbestimmungsrecht auszurichten; nicht künstliche Aufrechterhaltung bestehender Arbeitsplätze kann das Ziel sein, sondern freiwerdende Arbeitskräfte sollen in neuen Erzeugungsstätten produktiv eingesetzt werden. Die wirtschaftstechnischen Hemmungen zur Lösung des Produktivitätskonfliktes ließen sich also leicht beseitigen.

Weniger hoffnungsfreudig stimmt das Hereinspielen politischer Tendenzen. Während die Unternehmer bereit sind, das Produktivitätsproblem betriebsweise zu lösen, verlangt bei uns der Gewerkschaftsbund den Abschluß eines meritorischen Plenarabkom-mens zwischen sich und dem Industriellenbund; dieser hingegen verweist gegenüber dem Einschau- und Mitbestimmungsrecht des Gewerkschaftsbundes auf die Gefährdung des Betriebserfolges durch die mögliche Verletzung der Betriebsgeheimnisse und durch die Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Unternehmers; man sagt, daß derjenige Betrieb, der am rationellsten und geschick-, testen geführt ist, auch in der Lage sei, den Arbeitern höhere Löhne zu zahlen und zugleich die Preise zu senken; rasche Erfolge aber würden sich nur durch Uebertragung der Rationalisierungsarbeiten an private Organisationen erzielen lassen, sicherlich such unter Mitwirkung des Betriebsrates des jeweiligen Unternehmens. Charakteristischerweise zeigt ein Blick auf die sozialisierten Betriebe in England oder auf die verstaatlichte Industrie in Oesterreich — vom Osten gar nicht zu reden —, daß hier weder Gewerkschaften noch Belegschaften Unternehmerfunktionen haben, daß kein Betriebsausschuß die Unternehmungsleitung darin stören könnte, wenn es sich darum handelt, den Betrieb zu rationalisieren, die Kosten zu kontrollieren und aufeinander abzustimmen und im konjunkturellen Auf und Ab, im Wechsel der Marktlagen die Existenz des Unternehmens zu sichern. Unter Mitspracherecht verstehen ja audi die Arbeiter ihre eigene Heranziehung zur Lösung von Betriebsfragen und nicht eine Fernsteuerung durch die Gewerkschaftszentrale. Tatsadie ist, daß neben dem Unternehmer eher noch der Betriebsrat die wirtsdiaftlidie Situation seines Betriebes am besten kennt, während beim Gewerkschaftsfunktionär schon mangels spezialisierter Fachkenntnisse die politischen Aspekte überwiegen. Wenn zur Begründung der Gewerkschaftseinschaltung darauf verwiesen wird, daß dadurch den Arbeitnehmern das gesamtwirtschaftliche Verständnis erleichtert wird, so dürfte sich demgegenüber der Arbeitnehmer eher für höhere Löhne entscheiden. Wird die Autonomie der geschäftlichen Betriebsplanung durch Mitbestimmung zu sehr beschränkt, so wird das Funktionieren der Wettbewerbsordnung gestört und letzten Endes damit das Interesse aller Arbeitnehmer gefährdet. Besonders gefährlich ist es, eine Planungsverlagerung aus den einzelnen Betrieben heraus auf überbetriebliche Instanzen vorzunehmen, die die Funktionen der Betriebsführung zu übernehmen keineswegs befähigt sind Diese Art von planwirtschaftlichem üemokratismus aber führt zur Entpersönlichung und zur Ver-

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