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Warum keine „geschlossenen Betriebe“?

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Zu einem vielbemerkten Aufsatz in der Weihnachts-Festausgabe der „Furche", in dem sich Nationalrat Dr. Kummer gegen eine liebertragung des amerikanischen Prinzips des „Geschlossenen Betriebes" nach Oesterreich aussprach, sendet uns der Stellvertretende Generalsekretär des Oesterreichischen Gewerkschaftsbündes den untenstehenden Diskussionsbeitrag, dem wir loyalerweise Raum geben. Fritz Klenner betont in seinem Begleitbrief ausdrücklich, daß es sich dabei um eine persönliche Meinung und nicht um eine offizielle Stellungnahme des Gewerkschaftsbundes handle. Nationalrat Dr. Kummer hat auf unsere Einladung freund- lichst zugesagt, in der nächsten „Furche" das Schlußwort zu sprechen. Die „Furche“

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Zu einem vielbemerkten Aufsatz in der Weihnachts-Festausgabe der „Furche", in dem sich Nationalrat Dr. Kummer gegen eine liebertragung des amerikanischen Prinzips des „Geschlossenen Betriebes" nach Oesterreich aussprach, sendet uns der Stellvertretende Generalsekretär des Oesterreichischen Gewerkschaftsbündes den untenstehenden Diskussionsbeitrag, dem wir loyalerweise Raum geben. Fritz Klenner betont in seinem Begleitbrief ausdrücklich, daß es sich dabei um eine persönliche Meinung und nicht um eine offizielle Stellungnahme des Gewerkschaftsbundes handle. Nationalrat Dr. Kummer hat auf unsere Einladung freund- lichst zugesagt, in der nächsten „Furche" das Schlußwort zu sprechen. Die „Furche“

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Nationalrat Dr. Karl Kummer hat in der „Furche" vom 22. Dezember 1956 die Frage der „geschlossenen Betriebe“ behandelt und ist bei der Untersuchung der Gründe, die gegen closed shop und union shop sprechen, zu dem Schluß gekommen, daß die Freiheit ein viel zu hohes Gut ist, als daß eine Ausnahme, wie sie der „geschlossene Betrieb“ darstellt, zugelassen werden könnte. „Die Gewerkschaften können nicht mit Zwang agieren, sondern nur mit der Ueberzeugungskraft ihrer Erfolge“, stellte Nationalrat Dr. Kummer abschließend fest.

Das klingt überzeugend, aber so einfach liegt die Problemstellung bei der Frage, ob closed shop ja oder nein, nicht.

Sicherlich ist die Freiheit der ideellen Güter höchstes! Aber ist die Freiheit durch closed shop wirklich bedroht? Kann man behaupten, daß die persönliche Freiheit und die staatsbürgerlichen Rechte in den Vereinigten Staaten geringer sind als in anderen demokratischen Ländern, nur weil dort closed shop und union shop bestehen?

Es wäre dem so, wenn politisch ausgerichtete Gewerkschaften einen Gesinnungszwang ausüben und Andersgesinnte in ihre Reihen pressen würden. Aber weder die amerikanischen noch die österreichischen Gewerkschaften sind heute, politisch einseitig orientiert. In den Reihen des Oesterreichischen Gewerkschaftsbundes haben Mitglieder aller politischen Parteien und auch verschiedener Weltanschauungen Platz. Die Gewerkschaften sitijd eine Interessengemeinschaft aller Arbeitnehmer.

Der Mensch wird durch seine Geburt und Abstammung Staatsbürger. Ob er will oder nicht — er muß sich einfügen. Der Staat gewährt ihm Schutz, und der Staatsbürger hat seine Pflichten gegenüber der Volksgemeinschaft zu erfüllen.

Der Mensch gehört durch Geburt oder durch freien Willen einer Religionsgemeinschaft an, die ihm in seinem irdischen Dasein den Trost des Glaubens und die Hoffnung auf ein besseres Jenseits gibt. Auch gegenüber dieser Religionsgemeinschaft hat der Mensch Pflichten zu erfüllen, und mit Recht wird eine Kirchensteuer als Beitrag zur Erhaltung der Religionsgemeinschaft verlangt.

Den Arbeiter und Angestellten zwingt seine materielle Lage oder freie Berufswahl, die Kraft und Geschicklichkeit seiner Hände, das Denkvermögen seines Geistes zu verdingen. Auf sich allein gestellt, ist er als der' wirtschaftlich Schwächere bei der Vereinbarung der Arbeitsbedingungen mit dem Unternehmer benachteiligt. Die Konzentration in Gewerkschaften macht die vielen wirtschaftlich schwachen einzelnen zu gleichberechtigten Partnern im Arbeitsprozeß. Durch die Gewerkschaften genießt der einzelne Schutz und Hilfe der Gesamtheit. Man kann daher ohne weiteres folgern, daß es nicht Freiheit, sondern Mißbrauch der Freiheit ist, wenn ein Arbeitnehmer all die Vorteile, die die Gewerkschaft ihm durch ideelle und materielle Opfer anderer Arbeitnehmer bringt, für sich in Anspruch nimmt, ohne selbst nur die geringste Verpflichtung auf sich zu nehmen. Es gibt keine triftigen Gründe, außer solche asozialer Natur, die eine Berechtigung für die Ablehnung des Beitritts zu überparteilichen Gewerkschaften bieten könnten. Wenn jemandem dieser oder jener Gewerkschaftsfunktionär oder mancher Punkt im Aktionsprogramm der Gewerkschaften nicht paßt oder wenn er mit gewerkschaftlicher Tätigkeit nicht zufrieden ist, so sind das alles keine stichhältigen Argumente. Ja, als Außenstehendem kommt ihm nicht einmal das Recht der Kritik zu, aber als Mitglied sowohl das Recht der Kritik wie auch der Mitarbeit, um Abhilfe wirklicher oder angeblicher Uebelstände zu schaffen. Alle die Gründe, die

Gewerkschaftsgegner anführen, sind nur Vorwände zur Verschleierung des eigentlichen Beweggrundes : sich den Gewerkschaftsbeitrag zu ersparen. Begehen wir doch nicht den Fehler, die Wahrung der Freiheitsrechte mit der Verteidigung krassen Egoismus gleichzusetzen!

Man kann antworten, daß in Oesterreich und in vielen demokratischen Ländern der Beitritt zur Gewerkschaft bisher auch freiwillig war, die Gewerkschaften eines statuierten Zwanges nicht bedurften und doch eine anerkannte Macht wurden, ja daß ihre Stärke gerade in der Freiwilligkeit der Gewerkschaftszugehörigkeit liegt. Dieses Argument hat sicherlich vieles für sich, doch es hält näherer Betrachtung nicht stand.

Erstens : Die Gewerkschaftszugehörigkeit war und ist bei uns und in anderen Ländern wohl freiwillig, aber man verkenne doch nicht, daß in jedem größeren Betrieb, der gewerkschaftlich organisiert ist, ein moralischer Zwang ausgeübt wird, dem sich ein Arbeitnehmer nur schwer entziehen kann. Wäre es nicht vernünftiger, dieses zumindest für Großbetriebe bestehende ungeschriebene Gesetz anzuerkennen? Mancher „unnötige Konflikt würde dadurch vermieden. Es sei grundsätzlich festgestellt, daß dies keine Angelegenheit der Gewerkschaften, sondern eine der Belegschaften ist. Die Entscheidung, ob „geschlossener Betrieb“ oder nicht, hat die Belegschaft eines Betriebes zu treffen. In den Großbetrieben steht meist die Mehrheit der Arbeiter und Angestellten auf dem Standpunkt, daß sie sich durch die Gewerkschaft und den Betriebsrat günstige Arbeitsbedingungen und gute betriebliche Sozialeinrichtungen geschaffen hat, die jeder Arbeitnehmer in Anspruch nehmen kann. Er hat aber dafür Pflichten gegenüber jener Gemeinschaft zu erfüllen, die ihm das erkämpft und sichert.

Was ist moralischer, die Weigerung einer Belegschaft von vielen Hunderten von Arbeitern und Angestellten, mit einem Außenseiter, der nichts zur Erhaltung und Festigung der Errungenschaften beitragen will, zusammenzuarbeiten, oder die Weigerung einzelner, sich der Gemeinschaft, die ihre Interessen sichert, einzureihen? Sollen die Gewerkschaften gegen ihre Mitglieder und für die Außenseiter Partei ergreifen? Eine solche Forderung an die Gewerkschaft ist nicht nur unlogisch, sie ist gefährlich, denn ihre Verwirklichung würde der Freiheit weder nützen noch schaden, aber sie würde die Solidarität, die Grundlage der freien Gewerkschaftsbewegung, zerschlagen.

Die ehrlichen Verfechter der Freiheit im Lager der christlichen Gewerkschafter mögen diese Gefahr nicht übersehen, denn gerade diese Zerschlagung der Solidarität wollen die Feinde der Gewerkschaften erreichen, wenn sie ständig in die Flämmchen an sich belangloser Konflikte blasen.

Die Auffassung vieler Gewerkschaftsmitglieder, den de facto in Großbetrieben bestehenden Zustand in irgendeiner geeigneten Form zu legalisieren ist verständlich und entspringt keineswegs Terrorgelüsten — noch dazu, wo das Vorbild der Vereinigten Staaten besteht, die doch in der Oeffentlichk.eit immer als das Musterland demokratischer Freiheiten und Grundrechte hingestellt werden.

Zweitens: Es muß bedacht werden, daß das, was durch Jahrzehnte hindurch gültig war, heute nur noch halbrichtig ist und in Zukunft immer weniger den Tatsachen entsprechen wird, nämlich, daß — wie Dr. Kummer meint — die Gewerkschaften durch die Ueberzeugungskraft ihrer Erfolge wirken können Je mächtiger und einflußreicher die Gewerkschaften werden, desto weniger treten für das Gewerkschaftsmitglied die Erfolge in Erscheinung. Diese Erfolge werden in vielen Fällen nicht durch Kämpfe, an denen die Arbeiter und Angestellten Anteil nehmen, sondern durch Gutachten, Stellungnahmen, Vorschläge und schließlich durch Verhandlungen am grünen Tisch erreicht. Längst beschränkt sich die Tätigkeit der Gewerkschaften nicht mehr auf die Führung von Lohnbewegungen und den Abschluß von Kollektivverträgen, sondern sie nehmen auf vielen Wegen Einfluß auf das wirtschaftliche, politische, soziale und kulturelle Geschehen und beeinflussen so das gesamte Leben der arbeitenden Menschen. Nur in kritischen Situationen wird das Gewerkschaftsmitglied selbst zum „Kampf" gerufen. Liegt es im Interesse der Wirtschaft und des Staates, die Gewerkschaften zu zwingen, möglichst oft optisch mit ihren Kämpfen und Erfolgen in Erscheinung zu treten, nur um sich eine genügend starke freiwillige Mitgliedschaft zu sichern? Gerade aus Verantwortungsbewußtsein nehmen die Gewerkschaften heute eine andere Haltung ein als vielfach in der Vergangenheit. Diesen freiwillig übernommenen Verpflichtungen muß man aber auch entsprechende Rechte gegenüberstellen, wenn man das Fundament der gewerkschaftlichen Organisationen, ihre Basis in den Betrieben, nicht untergraben will.

Wenn wir in die Zukunft blicken, so ward das Tätigkeitsfeld der Gewerkschaften noch umfassender, die Sichtbarkeit für den Arbeitnehmer aber, noch kleiner. Die Automation ;\vįrd Betriebe entvölkern und Serienprodukte in enormen Mengen auf den Markt werfen. Die Gewerkschaften haben die Aufgabe, Massenarbeitslosigkeit zu verhindern. Sie müssen mithelfen, die vielen neuen entstehenden Probleme zu lösen und durch ihre Mitarbeit eine möglichst reibungslose Umstellung der Wirtschaft zu gewährleisten. D'“ furchtbaren Opfer der ersten industriellen Revolution können der Arbeiterschaft gegenwärtig und zukünftig weder zugemutetwerden, noch wäre sie willens, sie zu tragen. In einer automatischen Fabrik können Löhne, Preiskalkulationen und Gewinne nicht allein auf die Ertragsfähigkeit und Leistung in diesen Betrieben abgestimmt werden, sondern sie müssen eine gesamtwirtschaftliche Ausrichtung erfahren, wenn nicht einseitig ungeheurer Nutzen aus der Automation gezogen werden soll. Wer soll nun die gesamtwirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer, die vielfach auch Interessen der Gesamtheit des Volkes sein werden, in erster Linie wahrnehmen, wenn nicht die Gewerk-, ichaften? Aber diese Tätigkeit und die hier erhielten Erfolge können für den einzelnen Arbeiter und Angestellten nicht mehr unmittelbar optisch in Erscheinung treten. Damit sei nur eine» der entstehenden Probleme angedeutet. Es »teht hier nicht der Raum zur Verfügung, die vielen anderen Probleme zu erörtern, die aber fast sämtlich eine Verlagerung des gewerkschaftlichen Wirkens von der betrieblichen auf eine allgemeine Ebene bedeuten werden.

Die Gewerkschaften werden in der kommenden Wirtschaft einer technisierten Welt eine immer größere Rolle als Vermittler nicht nur zwischen den Sozialpartnern, sondern auch zum Staat, der selbst immer mehr direkt oder indirekt Wirtschaftsfunktionen innehaben wird, übernehmen müssen, wenn der wirtschaftliche und soziale Fortschritt nicht gefährdet werden »oll. Die Gewerkschaften werden in dieser zukünftigen Welt der Technik aber auch die große Aufgabe haben, Geist und Seele der Arbeitnehmer betreuen zu helfen, ihnen ein ethisch höheres Lebensethos zu geben, wenn die arbeitenden Menschen nicht zu Robotern und Handlangern der Maschinen herabsinken sollen.

Die Zukunft wird nur festgefügte Machtblöcke kennen, und die Freiheit muß durch wirkliche Demokratie innerhalb dieser Kollektive und im Staatswesen selbst garantiert sein.

Abschließend soll an die christlichen

Gewerkschafter und andere Gegner des „geschlossenen Betriebes“ die Mahnung gerichtet werden, nicht persönlichem Eigennutz und asozialer Eigenbrötelei die Mauer zu machen. Der Wert der Freiheit liegt in weiser Beschränkung, nicht aber in egoistischer Ausnützung. Es ist an der Zeit, Voreingenommenheiten und aus der Vergangenheit resultierende Vorurteile fallenzulassen und das Problem der Gewerkschaftszugehörigkeit von neuer Warte zu betrachten. Die Welt ändert sich, und damit auch der gesellschaftliche Organismus und die Funktionen der Interessengemeinschaften. Begehen wir nicht den Fehler, durch überholte Ansichten statt vermeintlichen Nutzen Schaden zu stiften!

Die Gewerkschaften stehen in einem demokratischen Staatswesen unter der Kontrolle des Staates und der Oeffentlichkeit und werden nicht über die Grenzen ihres Machtbereiches hinausgreifen, aber man lasse ihnen die Freiheit, innerhalb ihres Tätigkeitsbereiches selbst die moralischen Grundsätze gemäß dem Solidaritätsgefühl der Arbeiter und Angestellten zu statuieren. Dazu brauchen die Gewerkschaften keinen gesetzlichen Zwang, denn sie wollen sich nicl\t in Abhängigkeit vom Staat begeben. Der Grundsatz, daß Inanspruchnahme einer Leistung eine Verpflichtung ergibt, ist für Wirtschaft und Rechtsauffassung selbstverständlich. Warum verwehrt man gerade den Gewerkschaftsmitgliedern die Anwendung dieses Grundsatzes?

Die österreichischen Gewerkschaften haben sich in der Frage des geschlossenen Betriebes noch nicht entschieden, und das Statut des Gewerkschaftsbundes sieht nach wie vor freiwilligen Beitritt vor. Eine unvoreingenommene Prüfung der keineswegs erschöpfend angeführten Gründe, die für closed shop sprechen, ergibt jedoch, daß die Frage „Geschlossener Betrieb ja oder nein?" nicht glattweg mit „Nein" beantwortet werden kann.

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