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Gotterdammerung des Klassenkampfes

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Der Klassenkampf ist tot — es lebe der Klassenkampf! — Zu diesem betrüblichen Eindruck kann man gelangen, wenn man nur durch einige Zeit die Äußerungen mancher Politiker sammelt und studiert. Die Klassenkampfideologie ist also keineswegs bereits überwunden und auch die nichtmarxistischen Arbeitnehmervertreter sind politisch sehr oft noch nicht stark genug, den Klassenkampfthesen der anderen Seite mit stichhaltigen Argumenten entgegenzutreten.

Es kann daher nicht oft genug klargestellt werden, daß die marxistische Klassenkampflehre politisch und ökonomisch überholt ist und daß der Beweis hierfür ohne große Schwierigkeiten geführt werden kann.

DAS WESEN DES KLASSENKAMPFES Analysieren wir den Begriff des Klassenkampfes. Marx und Engels lehrten, daß die Gesellschaft prinzipiell in zwei Klassen aufgespalten sei, in die Bourgeoisie, die sich die Produktionsmittel angeeignet hat, und in das Proletariat, das seine Arbeitskraft verkaufen muß und ausgebeutet wird, weil es mit seiner Arbeitskraft Mehzwen er^eug6^ldervsick dterv Besitzer der Produktionsmittel entschädigungslos aneignen. Neben diesen beiden Klassen .gibt es noch andere gesellschaftliche Gruppen wie Bauer und Intellektuelle, die aber bei dieser Betrachtung außer acht gelassen werden können.

Der Gegensatz zwischen Unternehmer und Arbeiter ist weiter nach Marx und Lenin kein individueller, sondern ein gesellschaftlicher, das heißt klassenmäßiger, so daß der Ausgleich individuell, also auf der Basis der Unternehmen, nicht möglich ist. Bürgertum und Arbeiterklasse stehen sich als unversöhnliche Feinde gegenüber, und auch noch so starke Gewerkschaften, auch wenn sie in der Lage sind, die Interessen der Arbeiterschaft voll zu vertreten und hohe Löhne zu erkämpfen, können diese Situation nicht verändern. Die Lösung ist nur revolutionär durch die Beseitigung des Privateigentums an den Produktionsmitteln möglich. Nach dieser Revolution gibt es keinen Mehrwert mehr, der Gegensatz zwischen gesellschaftlicher Produktion und individueller Aneignung verschwindet, da dann das Proletariat selbst Eigentümer der Produktionsmittel wird und sich selbst natürlich nicht ausbeuten kann. Soweit, kurz zusammengefaßt, die marxistische Theorie.

Die kommunistische Praxis führt diese klassische Theorie etwas ad absurdum. Selbstverständlich erhalten auch in der Sowjetunion, in der offiziell der Sozialismus als erreicht gilt, die Arbeiter nicht den vollen Arbeitsertrag und die Parteitheoretiker brauchten geraume Zeit, bis sie mit der Theorie der „erweiterten sozialistischen Akkumulation“ den bösen kapitalistischen „Mehrwert“ in den guten sozialistischen „Mehrertrag“ umtaufen konnten.

Tatsächlich entspricht dieser Mehrertrag in der UdSSR größenmäßig einer normalen Kapitalverzinsung und Amortisation und ermöglicht darüber hinaus auch „sozialistische Gewinne“, zu deren Erzielung die Betriebe im Zuge zahlreicher Kampagnen zur Steigerung der Rentabilität verpflichtet worden sind.

Der private Kapitalismus wurde also durch einen staatlichen Kapitalismus ersetzt, wobei die Interessengegensätze zwischen Arbeitern und Betriebsleitungen — Wunsch nach höheren Entgelten bei gleicher Leistung bei den Arbeitern, und Wunsch nach höherer Leistung bei gleichen Kosten bei den Betriebsleitungen — unverändert bestehen. Diese Tatsache ist auch die Begründung für den Weiterbestand der Gewerkschaften im Sozialismus, also nach der Beendigung der kapitalistischen Klassengesellschaft. Dieser Interessengegensatz ist also auch nach der marxistischen Theorie und Praxis kein Phänomen des Klassenkampfes, weil der Klassenkampf keine betriebliche, sondern eine gesellschaftliche Erscheinung ist und laut These zumindest in der UdSSR nicht mehr besteht.

IDENTITÄT DER HAUPTINTERESSEN Analysieren wir nun die Situation in einer entwickelten Marktwirtschaft und untersuchen wir hier die Hauptinteressen der Gesellschaft. Hier steht nun zweifelsfrei fest, daß das Hauptinteresse aller auf materiellem Gebiet die Sicherung der Vollbeschäftigung und damit des materiellen Wohlstandes und weiter die ständige Verbesserung der Lebenshaltung darstellt.

Klassenmäßig — nach der marxistischen Definition — drückt sich dieses Primärinteresse auf der Unternehmerseite in folgenden Interessenbereichen aus:

• Interesse der Sicherung des Absatzes, das heißt der nötigen Kaufkraft zur Absorption der erzeugten Gütermengen,

• Interesse deiuErhöhung^der Gewinne Das Interesse zur Sicherung der Kaufkraft muß*ich weites primär auf die Sicheiung der inländischen Kaufkraft beziehen, da ja Exporte auf längere Sicht keinen Ausweg bilden, weil die exportierten Werte früher oder später wieder rückfließen müssen, was nur möglich ist, wenn eine entsprechende Kaufkraft vorhanden ist.

Auf der Arbeitnehmerseite drückt sich dieses Primärinteresse in folgenden Interessen aus:

• Die Arbeitnehmer müssen daran interessiert sein, daß ihre Arbeitsplätze gesichert sind, daß also ihre Betriebe rentabel arbeiten können und den Unternehmern die Amortisation und Verzinsung des Kapitals ermöglichen und einen normalen Gewinn (die „Durchschnittsprofitrate“) abwerfen, weil eben sonst diese Betriebe stillgelegt und die Arbeitsplätze verloren gehen würden,

• weiter sind sie selbstverständlich daran interessiert,, daß ihr Einkommen verbessert und ihre Kaufkraft erhöht wird.

Bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern ergibt sich also nicht nur eine Ähnlichkeit, sondern sogar eine völlige Identität der Primärinteressen. In der marxistischen Terminologie heißt dies, daß sich Bourgeoisie und Proletariat nicht im Klassenkampf unversöhnlich gegenüberstehen, sondern auf gesellschaftlicher Ebene deichartjge Interessen haben., ...., T/,

Unabhängig davon bestehen aber selbstver-rStä|dlich die Konflikte der;Sekundärinteressen auf der Ebene der Betriebe, die aber, wie wir sahen, nichts mit dem Klassenkampf selbst zu tun haben, sondern klassische Interessenkonflikte sind, wie sie sich in jeder Gesellschaftsordnung und jeder Wirtschaft ergeben, wie zum Beispiel die Interessenkonflikte zwischen Landwirtschaft und Industrie, Grundstoff- und Verarbeitungsbetrieben usw.

Auf das Verhältnis Arbeitgeber—Arbeitnehmer bezogen bedeutet dies, daß die Gewerkschaften tatsächlich keine Klassenkampffunktion besitzen, sondern echte Interessenvertretungen sein müssen, wie sie auch für andere soziale Gruppen bestehen, deren Aufgabe es ist, für die einzelnen Interessenkonflikte eine Synthese zu finden und die Gegensätze auszugleichen, nicht aber einen unversöhnlichen Kampf zu fuhren.

Auf der anderen Seite müssen aber auch die Arbeitsvertretungen die Arbeitnehmerorganisationen als gleichberechtigte und gleichartige Interessenvertretungen ansehen und nicht a priori als suspekte Klassenkampforganisationen beargwöhnen.

Aus den oben dargelegten theoretischen Überlegungen ergibt sich aber weiter, daß die Konflikte der Sekundärinteressen individuelle und nicht gesellschaftliche Konflikte sind, daß sie also individuell gelöst werden müssen und können. Das heißt, daß die Arbeitnehmer im Allgemeinen von linearen Lohnforderungen und Lohnkämpfen abgehen und- individuelle Lösungen in den einzelnen Betrieben suchen müssen, weil nur auf dieser Ebene Lösungen gefunden werden können, die das gemeinsame Primärinteresse nicht verletzen.

SCHAFFUNG ECHTER PARTNERSCHAFTSVERHÄLTNISSE Am Zweckmäßigsten kann diese Lösung durch die Schaffung echter Partnerschaftsverhältnisse erfolgen, bei denen die Arbeitnehmer am Ertrag des Unternehmens in einem bestimmten Verhältnis beteiligt sind. Auch eine Beteiligung am Besitz kann unter bestimmten Umständen vertretbar sein, doch wird sie in der Regel weniger wirksam und zweckmäßig sein, als eine reine Ertragsbeteiligung.

Mit diesen Beteiligungssystemen, an deren Ausarbeitung Arbeitgeber und Arbeitnehmer, womöglich unter Zuziehung von betriebsfremden Fachleuten mitwirken, können die Sekundär-interessenkonflikte weitestgehend überwunden und weiter vermieden werden, daß die normalen Interessengegensätze zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern die gemeinsamen Primärinteressen überschatten. Die Arbeitnehmerorganisationen sollten in verstärktem Ausmaß für solche Part-^nprschaffrssysteme^ eintreten. Sie könnten' damit-die Reste der Klassenkampfmentalität erfolgreich bekämpfen — und zwar bei beiden Sozialpartnern S !'n — und so erheblich zur Entgiftung der politischen Lage und zur Festigung der freien Welt beitragen.

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