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Eigentum für alle

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Einer der Arbeitskreise, die vor dem Kölner Katholikentag zusammentraten, hatte das Thema

„Eigentumsbildung“.

Die erste Frage lautete: Warum Eigentum? Wenn die christliche Soziallehre „Eigentum für alle“ fordert, geht sie da nicht von Voraussetzungen aus, die heute, da das Eigentum weitgehend „entfunktionalisiert“ ist, ab überholt angesehen verden müssen? Die Antwort auf diese Frage mußte unterscheiden zwischen Eigentum, das der Vitalsphäre angehört und die „Vitalsituation' des Menschen (A. Rüstow) bestimmt, wofür das eigene Heim mit dem Grund und Boden, auf dem es steht, und einer wünschenswerten Landzulage (Haus- oder Nutzgarten und dergleichen) immer noch das klassische Beispiel ist; und solchem Eigentum oder richtiger Vermögen, das der Eigentümer (Vermögensinhaber) nicht selbst nutzen kann. Die heutige Wirtschaft läßt sich ja nicht in Einzelbetriebe oder Familien-unternehmungen auflösen; der Eigentümer muß daher heute Verwaltung und Nutzung seines über das „vitale“ Eigentum hinausgehenden Vermögens durch andere an seiner Stelle ausüben lassen, mag es sich um wirtschaftliche Unternehmen handeln, an denen er in Gestalt von Aktien, \irxen, GmbH.- oder Genossenschaftsanteilen usw. beteiligt ist oder deren Gläubiger er auf dem Wege über Sparguthaben, Hypotheken, Obligationen oder wie immer geworden ist. An ersterer Art von Eigentum oder Vermögen „erlebt“ der Mensch Eigentum, denn daran übt er die Eigentümerfunktion ständig aus, letztere Art dagegen bietet ihm keine Gelegenheit, Eigentum zu „erleben“: an der Verwaltung ist er nicht beteiligt; meist hat er überhaupt keinen Einfloß auf die Verwaltung und fehlen ihm auch die dazu nötigen Kenntnisse und Erfahrungen. Nichtsdestoweniger ist auch diese letztere Art von Eigentum oder Vermögen unter vielfacher Rücksicht für ihn von Nutzen, nicht so sehr als Quelle zusätzlichen Einkommens als vielmehr als Rückhalt, auf .den er zurückgreifen kann, der ihn — wenigstens bis zu einem gewissen Grad — unabhängig macht, da er nicht mehr schlechthin darauf angewiesen ist, entweder Gelegenheit zur Verwendung seiner Arbeitskraft in fremden Diensten zu finden oder öffentliche Einrichtungen oder Maßnahmen (Versorgung, Sozialversicherung, Fürsorge) in Anspruch zu nehmen.

Eigentumsbildung in breitesten Kreisen, mit anderen Worten eine breite Eigentums- oder Vermögensstreuung — eingeschlossen das Eigentum am sachlichen Produktionsmittelapparat der Wirtschaft — ist aber um einer gesunden Sozialstruktur willen erforderlich. Wenn wir durch ständig neue Investitionen die Wirtschaft immer reichlicher und besser mit Produktionsmitteln ausstatten, so stehen drei Möglichkeiten zur Wahl. Wir können diesen neugeschaffenen Reichtum, wie in der Vergangenheit so auch heute wieder, denjenigen zufallen lassen, die bisher schon Produktionsmittelbesitzer waren, d. i. der gesellschaftlichen Minderheitsgruppe, die man in marxistischer Terminologie als „Kapitalisten“, in bürgerlicher Terminologie als „Unternehmer“ zu bezeichnen pflegt. Wollen wir das nicht, dann bietet sich die zweite Möglichkeit an, die Produktionsmittel — sowohl alte wie neue — zu verstaatlichen („Sozialisierung“). Wollen wir auch das nicht, und nach den Erfahrungen mit dem bolschewistischen Kommunismus weisen auch die weitaus meisten Sozialisten das weit von sich, so bleibt als letzte Möglichkeit, als einzig und allein vernünftige und gerechte Lösung, alle diejenigen, die daran beteiligt sind, diese neuen Werte zu schaffen, auch als Eigentümer daran teilhaben zu lassen, sozusagen alle zu „Kapitalisten“ zu machen; sind nämlich alle Kapitalisten, dann ist keiner mehr Kapitalist und keiner mehr Proletarier; dann hat die kapitalistische Klassengesellschaft zu bestehen aufgehört.

Soll die Institution des Eigentums die Krise, in der sie sich derzeit befindet, überstehen, dann darf Eigentum nicht ein Vorrecht oder Sondergut weniger sein; dann müssen möglichst viele Eigentümer und damit an der Erhaltung der Institution des Eigentums interessiert sein.

Die Entfunktionalisierung oder — vorsichtiger ausgedrückt — der Funktionswandel des großen und insbesondere des großen Produktionsmitteleigentums raubt den Gründen, aus denen die christliche Soziallehre seit jeher für die Eigentumsbildung in breitesten Kreisen, für möglichst breite Streuung des Eigentums, auch an den Produktionsmitteln, eintritt, nichts von ihrem Gewicht

Aber wie dieses Ziel verwirklichen? Diese Frage .unterteilt sich in die folgenden beiden Fragen:

, a) Woher nehmen? b) Welche Gestalt soll dieses Eigentum haben?

Zn a): Eine moderne dynamische Volkswirtschaft expandiert, d. h. nicht nur das jährliche Sozialprodukt, sondern auch das Stammvermögen wächst; bei geschickter Wirtschaftspolitik ist dieses Wachstum zwar nicht immer gleich schnell, aber doch beständig. Diesen Zuwachs an Volksvermögen oder doch einen ansehnlichen Teil davon gilt es in die Hände derer zu leiten, die bislang über kein nennenswertes Vermögen verfügen. Die volkswirtschaftliche Gesamtrech-fiung zeigt nicht nur die Größenordnung, sondern auch den Weg; Erhöhung der nominellen Löhne anter gleichzeitiger Erhöhung der Sparrate der Haushalte (der .Jichtunternehmer“). Lohnerhöhungen bleiben nomineü, d. h. sie verpuffen inflatorisch, wenn die erhöhte Lohnsumme, ohne daß die Produktion von Konsumgütern entsprechend gestiegen wäre, in Konsum umgesetzt wird. Es kommt daher alles darauf an, daß der erhöhte Lohn — wenigstens zu einem namhaften Teil — gespart und der Investition zugeführt wird. Darum hängt alles ab von der Verhaltensweise einmal der Lohn- und Gehaltsempfänger# sind sie bereit, einen Teil ihres (erhöhten!) Einkommens zu sparen?, zum andern Mal der Unternehmer: sind sie bereit, trotz der geschmälerten Gewinnmarge weiter ausreichend zu investieren? Was kann geschehen, um die SparwilJigkeit der Haushalte einerseits, die Investitionsfreudigkeit der Unternehmer anderseits, anzureizen und zu fördern? Erstere Aufgabe ist vorzugsweise wlrtschafts- bzw. sozial-pädagogischer Art und an ihrer Lösung fällt den Gewerkschaften ein entscheidender Anteil und damit eine außerordentlich schwere Verantwortung zu; letztere Aufgabe ist an erster (nicht einziger!) Stelle mit wirtschafts p o I i-tischen Mitteln anzugehen. Zwang soll weder auf der einen noch auf der andern Seite Anwendung finden.

Diese Feststellung leitet über zu einer anderen Sicht der Aufgabe und ihrer Lösung, die sich so ausdrücken läßt: die heute bestehenden Zwangssparprozesse auflösen und an ihre Stelle das echte freie Sparen setzen. Es sind derzeit vor allem drei Zwangssparprozesse: über die Preise (zugunsten der

Unternehmer), über die Steuern (zugunsten des Staates), über die Sozialversicherungsbeiträge (zugunsten der eigenen, jedoch kollektiven Sicherung). Ersteres ist zu beseitigen durch Erhöhung des Sparens der Haushalte zu Lasten der Unternehmergewinne; das zweite ist abzubauen, indem der Staat die Bildung öffentlichen Vermögens auf das wirklich notwendige Maß beschränkt, vielleicht sogar einen Teil des heutigen öffentlichen Vermögens „reprivatisiert“; das dritte ist als sinnlos und überflüssig-abzustellen, nachdem erkannt ist, daß die Leistungen der Sozialversicherung, insbesondere auch die Versorgung der Alten und Invaliden, nicht aus angesammelter Kapitaldeckung, sondern immer nur aus dem laufenden Sozialprodukt erfolgen kann; darum Verzicht auf die Ansammlung riesiger Kapitalien bei den Trägem der Sozialversicherung; machen wir diese Beträge frei für die Vermögensbildung in den F a-m i 1 i e n !

Z u b): Soweit es sich um Egentum an Produktionsmitteln handelt, kommt Einzeleigenfum nur für die begrenzte Zahl derer in Frage, die sich als kleine Gewerbetreibende u. dgl. v e r-selbständigen. Für die große Mehrzahl besteht nur die Wahl zwischen Beteiligungsrechten oder Gläubigerrechten. ,,Mit“-Eigentum an dem Unternehmen, bei dem man selbst tätig ist, hat einige Vorzüge, aber auch sehr ernst zu nehmende Nachteile, läßt sich überdies in sehr vielen Fällen gar nicht verwirklichen. In erheblichem Umfang wird die abstrakteste aller Beteiligungsformen über Investmenttrusts zur Anwendung kommen müssen, wobei sehr wichtig sein wird, in wessen Händen die Verwaltung dieser Investmenttrusts liegt. — Den breiten Massen derer, die seit Generationen des Eigentums entwöhnt sind und daher weder in Vermögensanlage noch in Vermögensverwaltung Erfahrung besitzen, müssen zunächst leichtverständliche Anlageformen — beginnend mit dem altehrwürdigen und doch immer noch höchst aktuellen Sparkassenbuch — geboten werden; an das Wertpapier (Obligation, Aktie, Investment-Zertifikat) können diese Kreise nur behutsam herangeführt werden; andernfalls wären Enttäuschungen und damit Rückschläge unvermeidlich.

Eigentum bedeutet Sicherung; es bedeutet aber auch Verantwortung und Wagnis. Wer einseitig Sicherheit will, wer vom Sicherheitskomplex besessen ist, muß Eigentumsbildung ablehnen und ausschließlich auf „soziale Sicherheit“ abstellen, alle seine Hoffnung auf sie setzen — auch um den Preis seiner Freiheit. Wer an erster Stelle Freiheit und Selbstverantwortung schätzt, ohne darum die gebotene Sicherung zu unterschätzen und zu vernachlässigen, der muß sich mit der christlichen Soziallehre entscheiden für den Vorrang des Eigentums — weil „Eigentum für alle“ —, folgerecht für Eigentumsbildung.

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