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Die Reprivatisierung der USIA-Betriebe

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Die Institution des Privateigentums an den Produktionsmitteln hat einen mehrfachen Sinn; unter anderem soll der Arbeitsprozeß verper-sönlicht und das Interesse der Arbeitenden am Arbeitsergebnis in einer besonderen Weise angesprochen werden. Die geschichtliche Erfahrung lehrt, daß die Arbeitsintensität steigt, wenn der Arbeitende die Gewißheit hat, daß ihm das Arbeitsergebnis, soweit es einen Netto-' gewinn abwirft, auch übereignet wird. Außerdem erhöht sich dadurch das Sozialprodukt.

Die Einrichtung ies privaten Eigentums an den Produktionsmitteln hat aber ihren Sinn und ihre gesellschaftliche Funktion verloren, wenn das Eigentum als Güterkomplex derartige Ausmaße angenommen hat, daß es schließlich zu einer vollendeten Distanzierung von Kapital (Produktionsmittel) und Arbeiter kommt. Die Einführung der Gesellschaftsform der Aktiengesellschaft (abgesehen von vielen Familien-aktiengesellscliaften) und von bestimmten Konzentrationsgebilden hat, auch wenn nach außen das Dekorum privaten Eigentums gewahrt wird, die Entpersönlichung des Arbeitsprozesses fortgesetzt und beschleunigt. Formell privatwirtschaftlich geführte Betriebe der oben geschilderten Art sind faktisch Kollektiveigentum. Welche Beziehungen hat etwa ein Aktionär, der zufällig durch eine Börsentransaktion eine Eigentumsquote an einem Unternehmen erwirbt, zu diesem „seinem“ konkreten Eigentum? Wer darf noch behaupten, das Unternehmen A, welches einer verstaatlichten Bank gehört, gehöre zum Sektor des privaten Eigentums. Wer das behauptet, der wird gebeten, doch den (persönlichen) Eigentümer zu zeigen. Nur dessen Vorhandensein kann noch (wenn überhaupt) die Behauptung rechtfertigen, ein Unternehmen gehöre der privaten Sphäre der Wirtschaft an. Ein Großteil der vor aller Welt als „privat“ firmierenden Unternehmungen ist heute in unserem Land in einem derartigen Umfang soziali-sierungsreif, daß die tatsächliche Sozialisierung zum gegebenen Zeitpunkt unbemerkt vor sich gehen kann, oft ohne Auswechslung der Manager, die bisher schon dem Herrn „Jedermann“ dienstbar gewesen sind.

Diese Dinge sind zu überlegen, wenn man jetzt an die Schaffung von Durchführungsgesetzen (etwa eines Vermögensübtrtragungs-gesetzes) zum Staatsvertrag geht und wenn im gleichen Zusammenhang ganz massiv die Forderung nach einer Reprivatisierung jenes ehemals Deutschen Eigentums gestellt wird, welches die Republik Oesterreich übereignet bekommt.

Reprivatisierung muß doch, dem einfachen Wortlaut nach, verstanden werden als Rückführung bisher kollektivwirtschaftlich genutzten Eigentums in die Verfügungsgewalt von physischen Personen, von solchen, die noch wenig habeny und von solchen, die zu dem, „was sie von ihren Vätern ererbt haben“, noch einiges dazubekommen. Aber scheinbar ist man geneigt, den Begriff der „Reprivatisierung“ so auszulegen, daß auch anonyme Unternehmungen ihrem Eigentumskomplex neues Eigentum eingliedern, etwa Banken. Das aber heißt, die Aufsichtsmacht jener Gruppe von Menschen, die neben der Staatsbourgeoisie die Macht in der österreichischen Wirtschaft in Händen hat, helfen, diese Macht noch erheblich zu erweitern und die tatsächlich private Wirtschaft in Oesterreich zu einer ausnahmsweisen Erscheinung zu machen. Man darf sich dann freilich nicht wundern, wenn ausländische „Kapitalisten“, wie jüngst bei einem St.-Pöltner Unternehmen, wenig Lust zeigen, Kapital zur Verfügung zu stellen. Das soziale Ergebnis (das sich beileibe nicht immer im Lohn allein niederschlägt) dieser Form von „Reprivatisierung“ wird kaum besser sein als bei einer offenen und ehrlichen Sozialisierung. Nun meinen wir aber, daß gerade jetzt die Möglichkeit bestünde, mittels des USIA-Eigentums soziale und ökonomische Reformen durchzuführen.

Freilich darf man nicht, in Wirklichkeitsfremdheit, versuchen, auf jeden. Fall Lösungen anzustreben, die jenseits von Kollektivismus und klassischem Kapitalismus liegen. Die Mehrheit der Unternehmungen, über die das Finanzministerium schließlich wird verfügen können, wird an sogenannte und an wirkliche Privateigentümer verkauft werden müssen. Die Unternehmungen werden also nach den Grundsätzen einer klassischen Erwerbswirtschaft geführt werden. Experimente, die “einen derartigen Umfang annehmen, daß sie zu einer Reduktion des Sozialproduktes führen, .müssen, auch wenn sie nach allen Regeln der Sözialreform durchgeführt werden, abgelehnt werden. Zuvorderst aus sozialen Gründen: Sozialreform und Sozial-romantizismus sind zweierlei.

Es gibt jedoch eine Reihe von Betrieben des ehemals Deutschen Eigentums, die sich für eine (wir müssen einschränkend sagen) experimentelle Anwendung des Prinzips des Kleineigentums eignen würden. Nach diesem Prinzip werden derzeit in Oesterreich Arbeitsgenossenschaften geführt. Man mag nun sagen, daß diese Genossenschaften schwer zu kämpfen haben. Das ist so. Aber nicht weil sie ungeeignet wären, den ihnen aufgegebenen ökonomischen Zweck zu erfüllen, sondern weil man ihnen vor allem von der Kreditseite her Schwierigkeiten macht, während doch sonst jene, welche die Gelder der „kleinen Leute“ verwalten, wenn es um Kredite geht, keineswegs von verschämter Zurückhaltung sind.

Wir haben also jetzt in Oesterreich nochmals und wahrscheinlich zum letzten Male die Chance, betriebliches Eigentum zum Eigentum des mit ihm befaßten Menschen zu machen, also da und dort Miteigentum zu schaffen, und wenn auch seine Gewichtigkeit im Komplex der österreichischen Wirtschaft kaum mehr als eine symbolische ist. So wäre es uns möglich, in Teilbereichen der ansonsten konzertierten und kollektivisierten Wirtschaft das Produktionsmitteleigentum auf seinen Ursprung zurückzuführen und die in der eisten industriellen Revolution geschaffene Distanz zwischen Unternehmung und Arbeiterschaft auf ein Minimum zu reduzieren, ja sogar in einzelnen Fällen völlig zu beseitigen.

Von den im Rahmen der Aktivierung des Staatsvertrages zurückerworbenen (Ostösterreich) oder verfallenen (Westösterreich) Betrieben werden 17 unter das Verstaatlichungsgesetz fallen. Der Rest muß entweder zurückgestellt werden (je nach Unternehmung zum Teil oder zur Gänze) oder • steht zur freien Disposition des Finanzministeriums, welches sich mit Staatssekretär Dr. Bock einen sachkundigen Verwalter bestellt hat. Für die Unternehmungen werden öffentliche Verwalter ernannt, die aber nur in einer Uebergangszeit ihre Funktion als Treuhänder auszuüben haben.

Gerade für den Restkomplex des vom Bundesministerium für Finanzen verwalteten deutschen Eigentums bestünde nun (wenn auch nur für einen Teil der Unternehmungen) die Möglichkeit, „ unter selbstverständlicher Bedachtnahme auf die Sicherung des optimalen ökonomischen Erfolges, zu experimentieren, um alte sozial-reformatorische Ideen zu Realitäten Zu machen. Die erwägbaren Möglichkeiten sind unter anderem:

1. Formelle Uebereignung von ganzen Unternehmungen an die Belegschaft. Dabei müßte es sich um lebensfähige Unternehmungen handeln.

2. Uebereignung von Teilen des unternehmerischen Eigentums an die Belegschaft. Den Rest erwirbt ein „Reprivatiseur“. Dadurch entsteht Partnerschaft.

3. Verpachtung der Unternehmungen ganz oder teilweise an die Belegschaft. Diese gründet zu diesem Zweck eine Betriebs- bzw. Pachtgesellschaft. Im Pachtvertrag wird ein Optionsrecht eingebaut, der Belegschaft also die Möglichkeit gegeben, falls sie sich dazu entschließt, das Unternehmen später zu erwerben. Selbstverständlich müßten die Arbeiter-Unternehmer zumindest im gleichen Maße wie andere Unternehmungen, die, wenn sie Kapitalgesellschaften sind, auch nur ein begrenztes Haftungskapital besitzen, Kredite eingeräumt bekommen (unter Bürgschaft des Bundes). Bis zum eventuellen Erwerb haben die Belegschaftsmitglieder Gelegenheit, Betriebskapital anzusammeln. Daß dies auch bei Abwesenheit von „Kapitalisten“ möglich ist, haben ja gewisse Genossenschaften bewiesen, die heute teilweise einen Kapitalstock haben, der erheblich höher ist, als jenes Kapital, welches den „armen Webern“ von Rochdale zur Verfügung gestanden hatte (nämlich ganze 28 Pfund).

Man wird mit Recht sagen, daß Experimente risikoreich sind. Dazu wäre zu sagen:

1. Die Anlauf kosten fast aller Neugründungen werden schließlich steuermindernd abgesetzt und müssen auf diese Weise von allen mitgetragen werden.

2. Bei der Vergebung der Marshall-Plari-Hilfe wurden ebenfalls Risiken eingegangen und sogar Geschenke in Form von verbilligten Krediten an Unternehmungen gewährt, die keineswegs „schutzwürdig“ waren.

3. Die Verstaatlichungsexperimente und die Dotationen der politischen Direktoren verschlingen Unsummen. Man lese die Rechnungshofberichte.

Im Arbeiter ist die Sehnsucht nach Eigentum an Produktionsmitteln nun keine sehr große. An Eigentum wohl, aber in Form von Konsumgütern. Trotzdem ist der bisweilen so demonstrativ zur Schau getragene Antikapitalismus der Arbeiter ein abgeleiteter Eigentumswille. Der Aufstand gegen das Kapital ist im Wesen ein Aufstand gegen die Enteigner und ein verdecktes Bekenntnis zur Idee des Privateigentums auch an den Produktionsmitteln.

Es ist nun interessant, zu beobachten, daß die gleichen Menschen, die nicht genug des Lobes über die Vorzüge der privatwirtschaftlichen Unternehmungsführung sind, da, wo die Möglichkeit bestünde, diese, ihre Idealordnung, von unten her zu verfestigen, meist eifrig Widerspruch leisten. Auch die professionellen Befreier der Arbeiterschaft sind dagegen. Für sie hat die Idee des Miteigentums, die man ja ohnedies nur partiell anwenden kann, den Charakter einer „Ersatzlehre“ (DGB). Man will nicht, daß der Arbeiter die „kümmerliche Rolle des Kleinaktionärs“ spielt, als ob einzelne der Arbeiter (freilich nicht die Direktoren) in einem verstaatlichten Unternehmen eine dominierende Rolle spielen würden.

In den Jahren 1945 und 1946 hatte man im Rahmen der Aktivierung der österreichischen Wirtschaft nicht den Mut zur raumgreifenden Sozialreform gehabt. Auch da nicht, wo es betriebswirtschaftlich wahrscheinlich vertretbar gewesen wäre. Und nun ist wieder eine Chance gegeben. Sollte es tatsächlich nur eine Form der Lösung in der Uebereignung des Deutschen Eigentums geben? Nämlich die, privaten Finanziergruppen und verstaatlichten Banken helfen, ihr „kümmerliches“ Eigentum billig etwas abzurunden oder die Macht der großen Staatsmanager sowie die Herrschaft der „zweihundert Familien“ zu erweitern? Wer das und nur das will, ist reaktionär und übersieht, daß es die Aufgabe dieser Generation ist, mit den bloßen Reden von der Partnerschaft und von der Befreiung der Arbeiterschaft Schluß zu machen und auch auf einer' noch so schmalen Basis die Herrschaft des Menschen über den Menschen zu beseitigen.

Dabei soll es (vorläufig) gleichgültig sein, ob man den Durchbruch in der Form unternimmt, daß man formales Miteigentum in einzelnen Unternehmungen schafft oder ob man sich mit einer anderen Form der Einflußnahme der Arbeiter auf „ihren“ Betrieb begnügt. Wesentlich ist, daß man einmal anfängt und nicht jede Gelegenheit zur Sozialreform benützt, um sie vorübergehen zu lassen, um dann in antiker Trauer über den bösen Sozialismus und Kapitalismus herzuziehen, die beide nur so weit böse sind, als man sie böse werden läßt.

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