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Vorsicht bei Experimenten!

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Die Betriebsverfassung, das ist die innere Ordnung der Betriebe im allgemeinen und das Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zueinander im besonderen; ist eines jener gesellschaftspolitischen Themen, das seit Beginn der Industrialisierung wohl am heftigsten von Leidenschaften umwittert ist. Nur allzu leicht schleichen sich in die Diskussion hier jene ge-lühlsgeladenen Vorstellungen ein, die den realen Sachverhalt vernebeln und eine sachliche Prüfung desselben unmöglich machen. Wir sind nicht ganz sicher, daß es uns gelingt, uns dieser Gefahr zu entziehen. Wir wollen es aber in der Weise versuchen, daß wir die strukturellen und funktionellen Zusammenhänge in den Vordergrund unserer Betrachtungen stellen.

Anton Burghardt hat in der Nummer 20 dieser Zeitschrift den Vorschlag gemacht, jene „Betriebe des ehemals Deutschen Eigentums, die sich für eine experimentelle Anwendung des Prinzipes des Kleineigentums eignen würden“, ganz oder teilweise in das Eigentum der Belegschaften überzuführen öder an die Belegschaften zu verpachten. Es ist dies die aus einem aktuellen Anlaß wiedergeborene Idee der Werksgenossenschaften, d. i. einer unternehmerischen Betriebsverfassung, in welcher die Belegschaftsmitglieder als Werksgenossen Eigentümer des Betriebes sind. B. bedauert, daß schon bisher solche Werksgenossenschatten Schwierigkeiten hatten, sich Fremdmittel zu verschaffen und empfiehlt 'die Einräumung bundesgarantierter Kredite. Diese Empfehlung führt uns an den Kern des Problems.

Warum scheuten sich die Kreditinstitute bisher, an Werksgenossenschaften Kredite zu erteilen, und warum müssen solche Kredite durch den Bund garantiert sein? Indem wir eine Antwort auf diese Frage suchen, haben wir Werksgenossenschaften im Auge, die in den Gesamtzusammenhang einer marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaft gestellt sind. Der Einwand, daß die Einführung neuer Betriebsformen eben eine weitere Verstärkung des planwirtschaftlichen Elementes in unserer Wirtschaft notwendig machen würde, müßte auf der Ebene der Vor-und Nachteile von Marktwirtschaft einerseits, Plan- oder Zentralverwaltungswirtschaft anderseits diskutiert werden. Bleiben wir also beim Bilde einer im großen und ganzen durch den Markt gesteuerten Wirtschaft.

Bei der Erteilung kommerzieller Kredite tritt ganz automatisch die Frage auf, wer denn eigentlich für den kreditsuchenden Betrieb, genauer: für die Wirtschaftlichkeit dieses Betriebes verantwortlich ist und ob diese Verantwortlichkeit nur formell oder so zwingend ist, daß eine wirtschaftliche Führung des Betriebes garantiert erscheint. Die Antwort, dies seien die Organe oder das Organ der Gewerkschaft, löst die weitere Frage aus, ob denn diese Organe von den Werksgenossen, die sie bestellt haben, genügend unabhängig seien, um auch diesen ihren Werksgenossen gegenüber die“ Interessen des Betriebes wirkungsvoll vertreten zu können. Und eine zweite Frage: Ist das Interesse der Genossenschaftsorgane an einer wirtschaftlich richtigen Betriebsführung stark genug, daß angenommen werden kann, diese Organe würden auch ernste Konflikte mit ihren Werksgenossen durchstehen?

Jeder Betrieb, der sich im Wettbewerb behaupten will, braucht ein Leitungsorgan, das unabhängig und stark genug ist, das gemeinsame Interesse an einem gesunden Betrieb nach außen, aber auch nach innen, das ist der Belegschaft gegenüber, wirkungsvoll zu vertreten. Es wäre utopisch, zu meinen, diese Vertretung des Betriebsinteresses der Belegschaft gegenüber sei nicht nötig. Nur ein Beispiel: Dem einzelnen Belegschaftsmitglied liegt in der Regel die Höhe seines Einkommens näher als die Möglichkeit des Betriebes, Gewinne zu machen und zu investieren oder Kredite zurückzuzahlen. Es mag hier eingewendet werden, daß dem wohl im unternehmereigenen Betrieb so sei, nicht aber, wenn der Betrieb der Belegschaft selbst gehört. Abgesehen davon, daß dieser Einwand auf einer unbewiesenen Annahme beruht, ist er auch so nicht stichhaltig. Das Belegschaftsmitglied kann die gewinnbildenden Faktoren kaum richtig einschätzen. Es kann auch das Risiko nicht ermessen, das beinahe jede Disposition der Betriebsleitung in sich schließt. Die einfache Tatsache der Arbeits- und Funktionsteilung im Betrieb macht es der Masse der Belegschaftsmitglieder unmöglich, jene Einsicht \tnd jenen dauernden Ueberblick zu gewinnen, die sie befähigen würde, primär .unternehmerisch“ als Produzent und erst sekundär als Lohn- oder Gehaltsempfänger, als Konsument, zu denken und zu handeln. Die strukturell unvermeidlicherweise arbeits- und funktionsteilige Betriebsorganisation lokalisiert ganz bestimmte Funktionen und Verantwortungen in der Betriebsleitung. Die Masse der Belegschaft kann bestenfalls bis zu einem bestimmten Grade mitdenken, aber nicht mittragen. Hier liegt die Ursache der ebenfalls unvermeidlichen Spannung zwischen dem vom Standpunkt des einzelnen Belegschaftsmitgliedes aus gesehenen fernerliegenden Betriebsinteresse und dem handgreiflicheren, ihm näherliegenden persönlichen Interesse an einem höheren Einkommen, an geringerer Arbeitszeit und ähnlichem.

Ueberdies erfordert die Leitung eines Betriebes oder Unternehmens in unserer dynamischen marktgesteuerten Wirtschaft, deren ungeheure Leistungskraft selbst Marx anerkannte, abgesehen von Fachkönnen und Lieberblick noch besondere Eigenschaften, die leider nicht sehr dicht gesät sind. Es sind dies neben besonderen menschlichen Führungseigenschaften insbesondere Freude am Wagnis, Freude am Gestalten, am technischen Fortschritt und an der wirtschaftlichen Expansion.

Aus all dem folgt, daß das Leitungsorgan einer Werksgenossenschaft entweder durch diese in seiner Bewegungsfreiheit in einem bedenklichen Ausmaß behindert wäre, oder aber, daß ihm erst recht wieder jene Selbständigkeit, Unabhängigkeit und Eisenverantwortlichkeit übertragen werden müßte, die der freie Linter-nehmer hat. Eine unternehmerfreie Betriebsverfassung ist und bleibt eine LItopie. Sie mag in vereinzelten, besonders gelagerten Fällen, die Burghardt scheinbar im Auge hat, anwendbar sein. Hier geht es aber, wohl auch in den Augen Burghardts, um Grundsätzliches und nicht um Sozialexperimente am Rande.

Ganz nebenbei sei noch bemerkt, daß jenes Mindestmaß an Herrschaftsmacht und Verfügungsgewalt, das der verantwortliche Leiter eines Betriebes im Rahmen einer modernen Marktwirtschaft in Anspruch nehmen muß und darf, wenn er seine Aufgabe erfüllen will, weit hinter dem zurückbleibt, was Betriebsleitern in einer Planwirtschaft zugemessen zu werden pflegt und in einem solchen System zugemessen werden muß.

Die Verfügungsmacht über die Produktionsmittel kann also den oder dem für einen Betrieb oder ein Unternehmen Verantwortlichen ohne Schaden für die Gesamtheit nicht entzogen werden. Das gilt sowohl für alle Bemühungen, den Aufgaben- und Verantwortungsbereich des LInternehmers von innen her durch Sozialisierung, „Demokratisierung“. Vergenossenschaf-tung und ähnliches aufzulösen. Es gilt dies aber auch bezüglich aller jener Maßnahmen, welche die Autonomie der Betriebe aufheben, indem sie die Verantwortung und Verfügungsgewalt des Unternehmers diesem entziehen, um sie in staatliche Büros zu verlegen. Die Zusammenballung der wirtschaftlichen Macht in der Hand der Behörden mindert die Leistungskraft der Wirtschaft und öffnet den Weg in die-Diktatur. Wir haben uns auch in Oesterreich schon viel zu weit auf diesem gefährlichen Weg vorgewagt.

Der Verfasser sieht deshalb die einzige Möglichkeit einer gesunden gesellschaftspolitischen Neuordnung in der Verbesserung der innerbetrieblichen Zusammenarbeit im Rahmen einer unternehmerischen Wirtschaft — in. der Lieberwindung der Entfremdung zwischen Mensch und Mensch im Betrieb.

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