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Der unsterbliche Unternehmer

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Jeder Versuch, den Unternehmer auf Dauer als Funktionär zu beseitigen, muß scheitern. Diese Erkenntnis verdanken wir vier Jahrzehnten sozialistischer Wirtschaftspraxis.

Ehedem, zu Beginn der sozialen Diskussion, war der Unternehmer der „Kapitalist“ schlechtweg, die Personifikation der Bourgeoisie, der Repräsentant der kapitalistischen Despotie und der Gegenklasse. Aber dann wurde die Wirklichkeit der Wirtschaft um das alle sozialistische Leichtgläubigkeit erschütternde Phänomen des „Genossen Direktor“ bereichert.

Der Eigentümer-Unternehmer verschwand weitgehend. In den Oststaaten zur Gänze. Aber auch in der „kapitalistischen Welt“ zu einem guten Teil. In Oesterreich sind bereits 5 7,8 Prozent des Eigentums an den Aktiengesellschaften (und wenn man die drei Großbanken dazunimmt: zwei Drittel) in öffentlicher Hand. Aber an die Stelle des alten, des klassischen Unternehmers ist der Verwalter-Unternehmer getreten, der Manager. Der Unternehmersessel blieb keine 24 Stunden unbesetzt. Und dieser neue Unternehmer unterschied sich in nichts von seinem Vorgänger. Nicht in der Praxis der Führung des Betriebes, nicht im Lebensstil und nicht in seinem menschlichen Verhalten gegenüber dem Arbeiter. Keinesfalls bewies er das Aufkommen einer neuen Wirtschaftsgesinnung, oder gar einer neuen Zeit, mußten doch auch die sozialistisch geführten Unternehmungen nach „den üblichen kaufmännischen Grundsätzen“ geführt werden. Das heißt, nach kapitalistischen Grundsätzen. (Vgl. P. Alexander in „Die Zukunft“ vom Mai 1954.) Die Selbstentfremdung des Menschen durch die „Produktionsverhältnisse“ blieb, steht doch auch hinter dem öffentliches Eigentum verwaltendem Manager ein begehrlicher Eigentümer (und sei es nur der Rechnungshof).

Die „Herrschaft des Menschen über den M e n s c h e n“, die zu beseitigen der Marxismus ausgezogen war, blieb bestehen. Die Stellung des neuen Unternehmers aber ist nun ungleich gefestigter als die des Eigentüroer-Unternehmers etwa in der Periode der gebundenen Wirtschaft. Steht doch hinter der unternehmerischen („managerialen“) ' Anordnungsmacht jetzt teilweise die Staatsgewalt. Der neue Unternehmer ist oft eine Art Behördenvertreter geworden. Seine Macht wird nicht von „oben“ her begrenzt, weil er dieses „Oben“ jetzt mitrepräsentiert, soweit er staatskapitalistisches Eigentum verwaltet.

Es war also ein tragischer Irrtum der meisten Sozialismen, anzunehmen, man könnte den Unternehmer als Führer der betrieblichen Produktion beseitigen und an seine Stelle so etwas wie eine kollektive Führung setzen und Unternehmungen ohne Unternehmer errichten. Zu diesem Zweck hätte man den Posten des Unternehmers abschaffen und an seine Stelle ein syndikalistisches, besser anarchistisches Kollektiv setzen müssen, dessen „Wirtschaftsführung“ unweigerlich im Chaos geendet hätte. Das hieße: Neuverteilung des Sozialproduktes, aber eines gerade durch die Neuverteilung kleiner gewordenen Sozi-'pfuduktes. Die Einsicht in den Sachverhalt des Wirtschaftsprozesses hat aber verhindert, daß es dazu gekommen ist, so. daß auch in der sozialistischen Wirtschaft die Füh rungsmacht des Unternehmers gesichert ist, obwohl dadurch wesentliche Bestandteile der marxistischen Ideologie aufgegeben werden mußten und bestenfalls die (damals kühnen) Gedanken der „konstitutionellen Fabrik“ der Frankfurter Nationalversammlung verwirklicht werden konnten.

Der Unternehmer ist zuvorderst nicht Personifikation einer bestimmten asozialen Wirtschaftsgesinnung. Ob er Eigentümer der Produktionsmittel ist oder „nur“ ein Manager, er ist ein wesentlicher und unersetzbarer Bestandteil der betrieblichen Leistungserstellung. Er muß auf seinem Posten sein, um die Faktoren „Kapital“ und „Arbeit“ bestens zum Zweck der Leistungserstellung zu verbinden. Zudem muß der Unternehmer als Funktionär da sein, weil sonst niemand vorhanden wäre, der die Interessen des „Kapitals“ wahrnimmt. Und Kapital wird in der Wirtschaft eingesetzt werden müssen, so lange es eine betriebliche und arbeitsteilige Leistungserstellung geben wird. Durch die Sozialisierung wurde nur der Eigentumstitel gewechselt, nicht aber dat „Kapital“ beseitigt. Der Kapitalist blieb, wenn er auch jetzt körperschaftlichen Charakter erhielt und nicht mehr von einer einzelnen Person vorgestellt wird. In der Sozialreform geht es also nicht um die Beseitigung des Unternehmers. Worum es geht, ist die Ablösung des unsozialen durch den sozialen Unternehmer. Ob dieser Wechsel im Eigentumsrecht einhergehen muß, ist dagegen eine zweite Frage. Genauer müßte man sagen: Was not tut ist ein Wirtschaftssystem (eine Wirtschaftspolitik), welches Sicherheit dafür bietet, daß die an sich unvermeidbare unternehmerische Macht nicht asozial ausgeübt werden kann. Ob der Betrieb im Eigentum von physischen Personen oder von Körperschaften ist: In beiden Fällen ist es möglich, ihn zu vermenschlichen und in der Frage der innerbetrieblichen Menschenführung darauf Bedacht zu nehmen, daß jeder Betrieb zuvorderst ein soziales Gebilde ist.

Als man vor Jahren die Forderung nach Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Betrieben erhob, war man sich nicht allerorten darüber im klaren, daß zwischen Betrieb und Unternehmen ein sehr erheblicher Unterschied besteht. Im Betrieb, als einer technisch-sachlichen Einheit, ist der Arbeiter weitgehend sachverständig und muß, wohl auch im Interesse des Betriebes, mitbestimmen, was doch irgendwie mitentscheiden heißt. Eine Mitbestimmung (Cooperation) auf dem Boden des Unternehmens aber bedeutet, daß der Arbeiter in Fragen mitentscheiden soll, in denen ihm die erforderlichen Sachkenntnisse fehlen. Dessen ist man sich im Sektor der Kollektivwirtschaft wohl bewußt. Daher gibt es auch dort so etwas wie Mitbestimmung kaum in der Theorie, geschweige denn in der Praxis. In Westdeutschland sprangen, als die Mitbestimmung in Teilen der Wirtschaft Gesetz geworden waren, die Gewerkschaften „in die Bresche“ und übten stellvertretend für die Arbeiter das Mitbestimmungsrecht in den Führungsgremien aus. Die Stellung der Arbeiter aber war die gleiche wie früher. LInternehmermacht muß eben sein. Um des Betriebes, um des Arbeiters und um der Volkswirtschaft willen. Macht ist, wie der deutsche Nationalökonom Franz Böhm einmal sagte, unteilbar. Mitmacht ist ein Widersinn, da, wo „einsame“, einzelpersönliche Entscheidungen gefällt werden müssen, wie an der Spitze des Unternehmens.

Der Unternehmer als Despot ist eine geschichtliche Erscheinung. Er kann und muß abgelöst werden. Aber die Funktion des Unternehmers muß stets besetzt sein. Daher wird auch die innerbetriebliche Hierarchie bleiben, das Verhältnis und das Spannungsverhältnis von „Führung und Gefolgschaft“. Man lese in diesem Zusammenhang nach, was der Sozialist F. Klenner in seiner ausgezeichneten, wenn auch einseitigen Geschichte der Gewerkschaften über diesen Punkt sagt (2. Band, S. 1781). Der Unternehmer muß die Unternehmersubstanz (und damit den Arbeitsplatz) erh?lten. Der Arbeiter will zuvorderst Einkommen und mehr Einkommen. Wer kann ihm das verargen! Der Unternehmer, er sei Eigentümer oder Manager, wird daher stets, weil er das Ganze des Unternehmens vertreten muß, auf der anderen Seite stehen. Man nennt nun diesen Sachverhalt (innerbetrieblichen) „Klassenkampf“ oder gebe ihm einen schöneren Namen. Daher ist auch die Entfremdung zwischen dem Unternehmer (dem „Direktor“) und der Arbeiterschaft unvermeidbar, wozu noch kommt, daß eben der Unternehmer ein relativ erheblich größeres Einkommen beziehen wird als die Arbeitnehmer und sich ein Leben leisten kann, das man früher als „bürgerlich“ bezeichnet hat. Ernst Abbe, sicherlich einer der kühnsten Sozialreformer unserer Z;it (Gründer der Zeiß-Stiftung), hielt es beispielsweise für notwendig, dem geradezu natürlichen Interessenkonflikt zwischen Arbeiterschaft und 'Unternehmensführung dadurch Rechnung zu tragen, daß er für die Errichtung einer sogenannten „Firma“ intrat, einer Institution innerhalb des Unternehmens, welche die Interessen aller Arbeitnehmer (die doch bei Zeiß Miteigentümer waren) gegen die Interessen der einzelnen Arbeitnehmer zu vertreten hatte. (Gleiches fordert der Sozialist P. Alexander in seinem eingangs zitierten, ausgezeichneten Aufsatz in der „Zukunft“).

Die Erkenntnis, daß der Unternehmer als Funktionär unabhängig vom jeweils herrschenden System, bleiben wird, hat nun viel dazu beigetragen, die soziale Diskussion in der sogenannten „freien Welt“ zu „entfanatisieren“. Etwa bei vielen Gewerkschaftern. Bekannt ist die Reaktion der englischen Gewerkschaften auf die Verstaatlichung, die erkennen ließ, daß sich unter den neuen Herren faktisch nicht viel geändert hatte. Ebenso hat sich nun als Folge von Fehlschlägen beim Versuch, tlen Unternehmer überhaupt (auch als Funktionär) zu beseitigen, gezeigt, daß es in der Sozialreform nicht allein darum geht, das Bestehende zu ändern. Eine Aenderung etwa nur der Eigentumsverhältnisse muß noch nicht Sozialreform bedeuten. Eine sicher anfänglich als sozial gedachte Maßnahme, wie die Beseitigung des Unternehmers, kann schließlich zu einer unwirtschaftlichen Maßnahme werden. Was aber unwirtschaftlich ist, also das Sozialprodukt und den Lebensstandard kürzt, ist schließlich auch wieder unsozial.

Nicht um die Beseitigung des Unternehmers geht es in der Sozialreform, sondern um die Abschaffung von Zuständen, die es möglich machen, daß z. B. (japanische) Unternehmer ihre Arbeiterinnen kasernieren und ihnen das Heiraten verbieten. Es geht um die Beseitigung unternehmerischer Despotie (insbesondere in den Kleinbetrieben). Diese patriarchalische Despotie ist sozialer Anachronismus. Er gehört abgescharrt. Nicht aber der Unternehmer, dessen Funktion dem Wirtschaftsprozeß eingeboren ist Er muß bleiben. Man muß das sagen. Auch auf die Gefahr hin, daß die soziale Diskussion um manches wirkungsvolle Argument ärmer wird.

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