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Digital In Arbeit

Nicht mehr Tauschobjekt

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Kaum mit einem anderen sozialpolitischen Begriff werden derart viele verschiedenartige Vorstellungen verbunden wie mit dem der Mitbestimmung. Fast alle weltanschaulichen und politischen Gruppierungen der Arbeitnehmer haben sich ein mehr oder weniger konkretes Mitbestimmungskonzept zu eigen gemacht, wobei ihnen nur die Notwendigkeit der Teilnahme der Arbeitnehmer an den Entscheidungen des modernen Wirtschaftsprozesses gemeinsam ist. Die Unterschiede existieren sowohl in den Zielen als auch in den Methoden. Von einem gemeinsamen Ziel, der Mitbestimmung, zu sprechen wäre daher verfehlt. Es gibt nur einen gemeinsamen Namen für verschiedene gesellschaftspolitische Vorstellungen. Diese Feststellung gilt nicht nur für Österreich, sondern für ganz Europa, den Osten nicht ausgenommen. Aus der klaren Erkenntnis, daß die Mitbestimmung der Angelpunkt moderner Gesellschaftspolitik sein wird, ist diese Frage zu einem Reservat der Ideologien in der sozialpolitischen Auseinandersetzung geworden. Im Westen stehen einander vor allem die sozialdemokratischen und christlich-sozialen Vorstellungen von mehr Mitbestimmung einerseits und der mitbestimmungsfeindliche wirtschaftliche Liberalismus anderseits gegenüber; im Osten, soweit das für uns erkennbar ist, sind die Gegenparts Bürokratismus und wirtschaftlicher Pragmatismus, vielleicht auch hie und da eine Form eines idealistischen Kommunismus, der neue Wege sucht.

Uberwindung der Fremdbestimmung

Die sozialdemokratischen Vorstellungen von Mitbestimmung sind eindeutig geprägt vom eigenen Erstaunen über Erfolge und Macht der Arbeiterbewegung. Organisation ist alles. Mächtige Gewerkschaften und Arbeiterparteien haben die Integration der Arbeitnehmer in den Staat vorangetrieben. Die Verwendung ihres Einflusses auch zur Überwindung der Fremdbestimmung der Arbeitnehmer im Wirtschaftsprozeß nach der Uberwindung der Fremdbestimmung in Staat und Gesellschaft ist das Allheilmittel der demokratischen Sozialisten. Das lenkt aber ihre Mitbestimmungsvorstellungen unweigerlich in die Richtung der überbetrieblichen Mitbestimmung. Der Betrieb stellt in diesem Konzept wohl ein Fundament gewerkschaftlicher und politischer Macht dar, aber gerade zur Konzentration der Kräfte auf die Erhaltung und Erweiterung dieser Macht ist es notwendig, den Betrieb aus dem Mitbestimmungskonzept auszuklammern. In überbetrieblichen Einrichtungen kann der Einfluß weit besser zur Geltung kommen, von hier aus kann schließlich auch das betriebliche Geschehen „mitbestimmt“ werden.

Den (westlichen) Kommunisten sind solche Vorstellungen fremd, denn für sie kann die Fremdbestimmung der Arbeitnehmer seit Marx nur in der Diktatur des Proletariats überwunden werden. Interessanterweise forcieren sie, besonders in Österreich, die betriebliche Mitbestimmung. Es geht ihnen um den Zugang zu den wirtschaftlichen Schalthebeln, um sie dem Klassenkampf nutzbar zu machen. Mitbestimmung im Betrieb ist für die Kommunisten ein Instrument des Klassenkampfes. Dabei haben sie, vielleicht mit mehr Verständnis für die Funktion der westlichen Wirtschaftsordnung, die großen Möglichkeiten erkannt, den Gesamtwirt-schaftsprozeß gezielt vom Einzelbetrieb her zu beeinflussen. Eine gewisse Rolle spielen dabei sicher auch die Möglichkeiten, im Mitbestimmungsprozeß mitzuwirken, die für die Kommunisten auf betrieblicher Ebene ohne Zweifel größer sind als auf der überbetrieblichen.

Bei den christlichen Vorstellungen steht wieder die Uberwindung der Fremdbestimmung im Vordergrund. Und zwar sind es eine wirtschaftliche und eine soziale Gegebenheit, die die Forderung nach aktiver Beteiligung der Arbeitnehmer am wirtschaftlichen Geschehen entstehen lassen.

Entscheidungsbefugnis des Kapitals — historischer Zufall

Die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital gehen in jeder Unternehmung in einer innigen Kombination auf und können nur gemein-

sam am modernen Produktionsprozeß teilnehmen. Daß von diesen beiden Produktionsfaktoren ausgerechnet allein das Kapital bestimmen soll, in welcher Form die Kombination zustande kommt und wie sie eingesetzt wird, ist mehr oder weniger nur eine historische Zufälligkeit, wie sich ein Referent auf der Mitbestimmungsenquete der Fraktion „Christlicher Gewerkschafter“ im Oktober des Vorjahres ausdrückte. Der Referent, Dr. Manfred Drennig, stellte auch die provozierende Frage, was etwa im vorigen Jahrhundert geschehen wäre, wenn nicht die Kapitalgeber, sondern die Arbeitnehmer die höhere Bildung und das entsprechende Fachwissen gehabt hätten. Die Entwicklung des moder-

nen Managements gibt der hinter dieser Frage steckenden These recht. Mit dem Bildungsvorsprung wird auch die Entscheidungsgewalt kleiner; sie ist zu einem gar nicht kleinem Teil von den Kapitalgebern auf eine Spitzengruppe von hochqualifizierten, gutbezahlten Angestellten, eben die Manager, übergegangen, die rechtlich gesehen auch nur Arbeitnehmer sind. Da man die Manager soziologisch aber kaum der Masse der Arbeitnehmer zurechnen kann, ist damit keine Mitentscheidungsbefugnis des Produktionsfaktors Arbeit geschaffen worden, beide Produktionsfaktoren wurden entmachtet.

Vielleicht mehr als diese wirtschaftlichen Gegebenheiten steht aber eine soziale Tatsache bei den Überlegungen christlicher Gesellschaftspolitiker im Vordergrund. Trotz des enormen sozialen Fortschritts, trotz der Gleichberechtigung, wenigstens der formalen, der Arbeitnehmer im Staat hat sich an der Rechtsnatur des Arbeitsvertrages seit den Anfängen der industriellen Revolution nichts geändert. Nach wie vor wird Arbeitskraft gegen Lohn „getauscht“. Der soziale Fortschritt hat den Tauschwert der Arbeit in die Höhe getrieben, damit Existenz und einen gewissen Wohlstand gesichert, er erreichte aber nicht eine Umwertung des Arbeitnehmers vom Tauschobjekt zum Menschen am Arbeits-

platz! Die Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils spricht deshalb von der Notwendigkeit der tätigen Teilnahme aller an der Mitverwaltung der Unternehmen und ihrem Ertrag, da in den Wirtschaftsunternehmungen freie und selbstverantwortliche, nach dem Bilde Gottes geschaffene Menschen miteinander vereinigt sind. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, dessen Vorstellungen von Mitbestimmung schwer in das von mir eingangs aufgestellte Schema der Ziele und Methoden einzuordnen sind, stellt bei seiner Initiative „Mitbestimmung — eine Forderung unserer Zeit“ die menschliche Seite des Problems in den Vordergrund.

Deutschland: mehr Mitbestimmung

In der Bundesrepublik Deutschland beherrscht die Mitbestimmungsdebatte seit Jahren die Bühne des sozialpolitischen Geschehens. Allerdings gibt es in Deutschland seit fast zwei Jahrzehnten einen Bereich der Wirtschaft, nämlich die Kohle-und Stahlindustrie, der echt mitbestimmt ist. Hier gibt es von Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch besetzte Aufsichtsräte (mit einem „neutralen“ Mann zusätzlich), hier gibt es die, zugegebenermaßen umstrittenen und auch pro-

blematischen Arbeitsdirektoren. Der DGB und mit derselben Vehemenz auch die Sozialausschüsse der CDU fordern die Ausdehnung der sogenannten Montanmitbestimmung auch auf die übrigen deutschen Großbetriebe. Für diese gilt derzeit nur das Betriebsverfassungsgesetz, das für den Aufsichtsrat ein Drittel Belegschaftsvertreter, keinen Arbeitsdirektor, und daneben zur Beratung wirtschaftlicher Angelegenheiten des Betriebes einen „Wirtschaftsausschuß“ mit paritätischer Besetzung vorsieht. Zum Vergleich sei angeführt, daß das österreichische Betriebsrätegesetz lediglich zwei Betriebsratsvertreter im Aufsichtsrat kennt, daß zwar eine Reihe von Mitentscheidungsrechten im personellen und sozialen Bereich etabliert ist; im wirtschaftlichen Bereich sind die Ansätze zur Mitbestimmung in In-formations-, Beratungs- und schwachen Interventionsrechten steckengeblieben. Ein interessantes Detail ist das Recht des Betriebsrates in Betrieben mit mehr als 500 Beschäftigten, zur Wahrung „gesamtwirtschaftlicher Interessen“ gegen die Betriebsführung Einspruch bei einer staatlichen Wirtschaftskommission zu erheben. Diese Befugnis, fast nie effektiv geworden (derzeit bestehen die beiden staatlichen Kommissionen nur auf dem Papier), scheint ein anachronistisches Relikt des von Anarchisten und Syndikalisten auch bei den österreichischen Sozialdemokraten eingeschleusten Rätegedankens zu sein; den Mitbestimmungsbestrebungen der Betriebsräte nützt sie in dieser Form nichts.

Aber immerhin bietet auch das österreichische Betriebsrätegesetz Ausgangspunkte für eine Mitbestimmungsinitiative, vor allem bietet sich die meist gut funktionierende Betriebsverfassung an, in sie auch echte wirtschaftliche Mitbestimmungsbefugnisse einzubauen. Naive Kritiker auf liberaler Seite fürchten, hören sie nur die Worte Betriebsverfassung und Mitbestimmung, ein System innerbetrieblicher Volksabstimmungen über Produktions-, Absatz- und Investitionsprobleme. So wird die betriebliche Mitbestimmung sicher nicht aussehen, aber bisher konnte man mit solchen Behauptungen, untermalt mit besonders überspannten Beispielen, das Anliegen lächerlich machen. Es gab, wie auch bei anderen sozialpolitischen Anliegen grundsätzlicher Natur, bisher kaum reale Vorstellungen, wie die Mitbestimmung aussehen könnte.

Initiative in Österreich

Das ist anders geworden. Die Bundesfraktion „Christlicher Gewerkschafter“ im ÖGB setzte nach ihrer Mitbestimmungsenquete einen permanenten Ausschuß ein, der dem Bundestag der Fraktion, der vor dem letzten ÖGB-Kongreß tagte, zwei Gesetzesentwürfe vorlegte, ein erstes Mitbestimmungsgesetz zur Novellierung des Betriebsrätegesetzes und ein zweites zur Novellierung des Aktiengesetzes. Eine ganze Reihe von Zeitungsmeldungen in der Zeit vor dem ÖGB-Kongreß beschäftigte sich mit dieser Initiative, und der uninformderte Leser mußte glauben, die radikalen „schwarzen Genossen“ im ÖGB bereiten die völlige Enteignung und totale Entmachtung der österreichischen Unternehmer vor. Dabei sind die Kernpunkte der beiden Entwürfe die Schaffung betrieblicher Wirtschaftsausschüsse zur Beratung der Lebensfragen der Unternehmen durch die Vertreter beider Produktionsfaktoren. Auf ihnen lastet, wenn auch in verschiedener Ausgestaltung, zu gleichen Teilen das Risiko und damit die Verantwortung, so wie die Möglichkeit, bei Nichteinigung im Wirtschaftsausschuß ein Gutachten (und nicht mehr) einer neuen, überbetrieblichen Wirtschaftskommission der Interessenvertretungen einzuholen. Ein weiterer Kernpunkt ist die Vertretung des Betriebsrates im Aufsichtsrat von Kapitalgesellschaften und ähnlichen Institutionen mit einem Drittel, wie es auch das deutsche Betriebsverfassungsgesetz kennt (und von den deutschen Unternehmern widerstandslos akzeptiert wird). Es sind also keine revolutionären, weltbewegenden Dinge, die Entwürfe der beiden Mitbestimmungsgesetze stellen nur den Versuch dar, den Menschen im Betrieb in den Vordergrund zu stellen, indem er mehr mit dem betrieblichen Geschehen befaßt wird.

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