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Keine Lehren für Österreich

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Als der Obmann der Fraktion Christlicher Gewerkschafter, Johann Gassner, bei der letzten ÖAAB-Bundeskonferenz die paritätische Mitbestimmung in Österreich forderte, waren Freund und Feind geschockt. Daß dem Wirtschaftsbund die Luft ausging, verwundert kaum; aber auch ÖAAB-Chef Mock beeilte sich, zu erklären, daß „die paritätische Mitbestimmung für den ÖAAB derzeit nicht zur Diskussion stehe“. Aus dem SP-Lager versicherten Benya und Kreisky, daß sie nach wie vor für die Einführung der 2 : 1 Mitbestimmung eintreten.

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Als der Obmann der Fraktion Christlicher Gewerkschafter, Johann Gassner, bei der letzten ÖAAB-Bundeskonferenz die paritätische Mitbestimmung in Österreich forderte, waren Freund und Feind geschockt. Daß dem Wirtschaftsbund die Luft ausging, verwundert kaum; aber auch ÖAAB-Chef Mock beeilte sich, zu erklären, daß „die paritätische Mitbestimmung für den ÖAAB derzeit nicht zur Diskussion stehe“. Aus dem SP-Lager versicherten Benya und Kreisky, daß sie nach wie vor für die Einführung der 2 : 1 Mitbestimmung eintreten.

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Wenn auch Gassners Soloritt für die österreichische innenpolitische Szene zweifellos derzeit nur eine kurze und gründlich dementierte Eskapade darstellt, ist seine Wortmeldung nioht so abwegig. Offensichtlich war für ihn der 18. März 1976 das bestimmende Datum; an diesem Tage beschloß der deutsche Bundestag in dritter Lesung das neue Mitbestimmungsgesetz, das am 1. Juli dieses Jahres in Kraft treten .soll.

Dieses Gesetz, das für Unternehmungen mit eigener Rechtspersönlichkeit (im wesentlichen also Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Genossenschaften), die in der Regel mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigen, Geltung hat, sieht für die Zusammensetzung des Aufsichts-rates jeweils eine gleiche Anzahl von Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer vor. Das Verhältnis kann, je nach Höhe der beschäftigten Arbeitnehmer, 6 ; 6, 8:8 oder 10 :10 lauten.

Eine ganz andere, aber vielleicht gerade deswegen ungleich interessantere und aufschlußreiche Entscheidung fiel in Sachen Mitbestimmung im März dieses Jahres in der Schweiz. Interessant und aufschlußreich deshalb, weil die traditionell besonnenen .Schweizer mittels ihrer plebiszitären Demokratie wieder einmal eine Hurra-Entscheidung abgelehnt haben.. Die Schweizer haben in einem Referendum nämlich sowohl die Mitbestirnmungsinitiative der Gewerkschaften wie auch den Gegenvorschlag der Bundesversammlung abgelehnt.

Die Gewerkschaftsinitiative hätte, so die „Neue Zürcher Zeitung“, faktisch ein öffnen der „Schleusen auf Verfassungsebene“ bedeutet, denn der Antrag sah einen „Blankoscheck“ an den Bund vor.

Einer der Hauptgründe für die Entscheidung dürfte der Umstand sein, daß die Schweizer Arbeitnehmer in der Mitbestimmung kein vordringliches Ziel sehen und daß — auf betrieblicher Ebene — in den meisten mittleren und größeren Firmen bereits BetrSebskommissdonen mit Informations-, Mitsprache- und Mit-bestinanungsreebten existieren.

Was die Situation in Frankreich betrifft, so ist den Initiativen betreffend die Arbeiitsverfassung ein ähnliches Schicksal beschieden wie zahlreichen anderen Projekten Gis-cand d'EstJairags: Obwohl der Abbau der traditionellen sozialpolitischen Gegensätze einer der wesentlichen Punkte auf der Wunschliste des Präsidenten war, so dürfte auch aus dieser Reform nur ein „Reformerl“ werden.

Derzeit hält man in Frankreich bei einer empfohlenen — also nicht zwingend vorgeschriebenen — „Mit-aufsicht“. Die Gründe dafür liegen — neben dem Widerstand der Unternehmerschaft — vor allem im Desinteresse der Gewerkschaften. Dies mutet vordergründig unverständlich an, hat jedoch Methode: die französischen Gewerkschaften haben sich nämlich die Reform der gesamten Wirtsohaftsverfassung zum Ziel gesetzt. Die innerbetriebliche Mitbestimmung könnte einer derartigen Politik jedoch eher abträglich als förderlich sein.

Dieses Phänomen ist jedoch keine auf Frankreich beschränkte Erscheinung, denn auch in Großbritannien zeigen sich ganz ähnliche Tendenzen. Obwohl in der Gangart unter den einzelnen Fachgewerkschaften unterschiedliche Auffassungen bestehen, kann doch gesagt werden, daß ihre Ablehnung der Arbeitsdirektoren vor allem auf die Tatsache gegründet ist, daß damit ihren Interessen nach Ausdehnung ihrer kollektiven Verhandlungsmaeht nicht gedient wäre. Der Kampf gegen den Kapitalismus, so linke Gewerkschafter, und das Ziel einer neuen , gesellschaftlichen Ordnung würden durch eine innerbetriebliche Mitbestimmung gefährdet Obwohl die Dachorganisation der britischen Gewerkschaften (TUC) seit Jahren versucht, ihre Mitgliederverbände auf ein Programm der paritätischen Mitbestimmung einzuschwören, zeichnet sich hier infolge der divergierenden Haltungen einiger Groß-gewerksehaften keine Lösung ab.

In Schweden hat man vorerst „nur“ die 2 :1-Mitbestimmung, was jedoch angesichts der engen Verschränkung zwischen der sozialistischen Regierungspartei und der ebenfalls sozialistisch dominierten Monstergewerkschaft eher belanglos ist, da die überbetriebliche Mitbestimmung („Gewerkschaftsmitbestimmung“) bereits weitgehend hergestellt ist.

An der Frage der (paritätischen) Mitbestimmung wird auch Österreich, hier hat Gassner recht, langfristig gesehen, nicht vorbeikommen; die Frage ist nur, ob sie auf innerbetrieblichen Grundsätzen aufgebaut sein wird, die dem mündigen Mitarbeiter ein Mitspracherecht in seinem Unternehmen gewährleistet, oder ob es sich um eine weitgehend anonyme, überbetriebliche Mitbestimmung handeln wird, die dem ÖGB ein Mitregierungsrecht in der Wirtschaft sichern soll.

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