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„Revolution” mit Nebensätzen

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Die Frage der Mitbestimmung schlägt heute in den meisten westlichen Ländern hohe Wellen, nicht zuletzt in Deutschland: die sozialdemokratische Regierungsmehrheit hat bereits den Entwurf eines Betriebsverfassungsgesetzes im Blatt und wurde bisher nur vom freidemokratischen Juniorpartner am Ausspielen gehindert. Aber auch in den Sozialausschüssen der CDU gärt es, der linke Parteiiflügel unter Katzer und Kohl kämpft hartnäckig um eine Verankerung der Mitbestimmung im neuen Parteiprogramm in einer Form, die weit über die im Biedenkopf-Gutachten entworfene hinausgeht.

Österreich hat solche Richtungskämpfe in den großen Parteien nicht notwendig. Bei uns werden so grundsätzliche Reformen „unter der Hand” durchgeführt, als scheinbar un beabsichtigte Nebenwirkung von Gesetzen mit vordergründig ganz anderer Zielsetzung.

Die Regierung Kreisky entwickelt ein bemerkenswertes Geschick, systemändernde Maßnahmen harmlos und populär verpackt auf den Ladentisch des Parlaments zu legen und die unschlüssige, verwirrte Opposition unter psychologischen Kaufzwang zu stellen. Hinter dem Rauchvorhang kleiner Novellierungen wird Gesellschaftsumbau mit Nebensätzen betrieben.

Ein Musterbeispiel hiefür ist die Novelle zum Betriebsrätegesetz, die kürzlich zur Begutachtung ausgesandt wurde. Scheinbar geht es nur um einen besseren Schutz der Betriebsräte, um eine Stärkung ihrer Stellung im Unternehmen, um die bessere Vertretung der Dienstnehmerrechte; alles Forderungen, die auch der nichtsozialistische Sozialreformer bejaht.

Die Zwiespältigkeit des Entwurfes ist freilich bereits im bestehenden Gesetze angelegt: es enthält viele Bestimmungen, die anderswo Gegenstand eines Betriebsverfassungsgesetzes wären. Allerdings ist der

Geist des derzeitigen Gesetzes ein völlig anderer als jener der Novelle. Das Mitspracherecht der Betriebsräte in vielen Fragen ist in Österreich schon seit Schaffung des einschlägigen Gesetzes im Jahre 1947 größer als in den meisten anderen Ländern; diesem liegt aber noch die durchaus auch der christlichen Sozialreform entsprechende Zielvorstellung einer echten Partnerschaft zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer zugrunde: gemäß dem Subsidiaritätsprinzip soll der soziale Ausgleich möglichst auf staatsferner, personaler Ebene unmittelbar vollzogen werden. Gerade dem wirkt die nunmehr vorliegende Novelle entgegen, indem sie die Selbständigkeit des Betriebsrates zugunsten außerbetrieblicher, zentral gesteuerter Instanzen, nämlich der Interessenvertretungen und des Staates, beschneidet, die schon heute mehr als bloß subsidiäre Stellung der umgreifenden großen Kollektive weiter ausbaut und sie noch stärker in den Betrieb hineinwirken läßt.

Wirtschaftskommission

Bisher konnte etwa die Gültigkeit einer Betriebsratswahl nur von den Wahlberechtigten und den Wahlwerbern angefochten werden; nunmehr soll dieses Recht auch der .gesetzlichen Interessenvertretung der Dienstnehmer” (also der Arbeiterkammer) und der zuständigen Gewerkschaft eingeräumt werden (Paragraph 9 [8] des Entwurfes).

Ferner soll der Betriebsinhaber verpflichtet werden, jeden Monat mit dem Betriebsrat über sämtliche Fragen der Betriebsführung zu beraten (Paragraph 14 [1]). Aber auch dieser scheinbar partnerschaftliche Gedanke (der sich in der Praxis freilich als zu perfektionistisch erweisen mag) wird durch einen Nebensatz „umfunktioniert”: die „kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Dienstnehmer und Dienstgeber” (lies: die Gewerkschaften und die Fachverbände) dürfen zu den Beratungen je einen Vertreter entsenden; auch hier der Versuch, die großen Kollektive auf dem Umwege über den Betriebsrat (der immer mehr zur Staffage zu werden droht) in das betriebliche Geschehen einzuschalten.

Die erweiterten Eingriffsrechte im neuen Gesetzentwurf sind sehr ausgeklügelt: jedes für sich genommen ist unbedeutend, im Zusammenspiel sind sie aber imstande, den unternehmerischen Entscheidungsspielraum stark einzuengen; das nicht zugunsten der Belegschaft, son-

dem außerbetrieblicher Instanzen. Das zeigt sich vor allem bei Paragraph 14 (3) 4 des Entwurfes, der den Ausbau und die Aufwertung der staatlichen Wirtschaftskommission vorsieht. Entscheidend ist dabei nicht die an die Spitze des Paragraph 14 (3) 4 gestellte Neuerung,-daß die Kommission künftig schon für Betriebe ab 200 Beschäftigten (bisher 500) zuständig sein soll; als viel folgenschwerer mag sich der unauffällige Zusatz erweisen, daß „die Entscheidung der staatlichen Wirtschaftskommission Maßnahmen beinhalten kann, die eine den gesamtwirtschaftlichen Interessen entsprechende Wirtschaftsführung des Betriebes sicherstellen”.

Wir haben es hier mit einer jener Kautschukbestimmungen zu tun, die in der Praxis schier unbeschränkt ausweitbar sind. Voll wirksam wird sie aber erst dadurch, daß der Betriebsinhaber den Betriebsrat von geplanten Betriebsänderungen zum ehestmöglichen Zeitpunkt in Kenntnis zu setzen hat. Der Betriebsrat kann Vorschläge zur Verhinderung bzw. Beseitigung nachteiliger Folgen für den Dienstnehmer erstatten; werden diese nicht berücksichtigt, so kann er, selbstverständlich nicht ohne Einschaltung der zuständigen Gewerkschaft, die Staatliche Wirtschaftskommission anrufen, die dann der Untemehmensführung die Handlungsweise vorschreiben kann.

Als Betriebsänderung, über die künftig der Wirtschaftskommission die letzte Entscheidung zustehen soll, gelten „insbesondere” die Einschränkung, Stillegung oder Verlegung des ganzen Betriebes oder von Betriebs- teilen, der Zusammenschluß mit anderen Betrieben, die Änderung der Rechtsform und der Eigentumsverhältnisse, des Betriebszweckes, der Betriebsanlage, der Arbeits- und Betriebsorganisation und die Einführung neuer Arbeitsmethoden. Alles das kann laut Entwurf aus „gesamtwirtschaftlichen Interessen” (und diese finden sich rasch, wenn man will) unterbunden werden.

Gewiß hängt viel davon ab, ob man Gebrauch (und welchen) von solchen Bestimmungen macht. Die klugen Taktiker in der heutigen SPÖ-Füh- rung, die sicherlich noch weitere Schlingen unbemerkt auslegen wollen, werden sich bestimmt hüten, diese sofort zuzuziehen und die neuen gesetzlichen Möglichkeiten gleich voll auszuschöpfen; eher ist eine allmähliche „Aufschaukelung” zu erwarten. Zweifellos aber bieten die hier verankerten unauffälligen Bestimmungen ungeahnte Möglichkeiten, die bis zur faktischen Einführung der Zentralverwaltungswirtschaft unter der Decke einer nominell weiter bestehenden Marktwirtschaft reichen.

Bedenklich ist auf alle Fälle die Art und Weise, wie hier der politische Gegner „überfahren” werden soll. Systemändemde Maßnahmen müssen bei vollem Bewußtsein ihrer Tragweite vollzogen und dürfen nicht unter falscher Flagge in das Gesetzeswerk eingeschmuggelt werden. Die Revolution mit Hilfe von Nebensätzen sieht zwar harmlos aus, kann aber genauso folgenschwer sein wie der gewaltsame Umsturz.

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