6556195-1948_23_03.jpg
Digital In Arbeit

Das neue österreichische Landarbeitsrecht

Werbung
Werbung
Werbung

Die verfassungsrechtliche I-age in Österreich bedingt eine gesonderte Behandlung des gesamten Arbeitsrechtes, getrennt nach dem gewerblichen und landwirtschaftlichen Sektor. Während die Regelung des Arbeitsrechtes für die gewerbliche Arbeiterschaft in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache ist, unterliegt die Behandlung der gleichen Materie für die Land- und Forstwirtschaft der Grundsatzgesetzgebung des Bundes und der Ausführungsgesetzgebung der Länder. Diese Einteilung war anläßlich der Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern in der ersten Bundesverfassung des Jahres 1920 zustande gekommen und gilt auch heute noch. Die praktische Folge der Trennung der Gesetzgebungsakte war ein Nachhinken der Landwirtschaft in der Sozialgesetzgebung. Da aber die Kompetenzbestimmungen des Bundesverfassungsgesetzes von 1920 erst mit 1. Oktober 1925 in Kraft traten, war in Anwendung der bis dahin noch geltenden Kompetenzbestimmungen der Reichsverfassung von 1867 die Regelung des Arbeits- rechtes in der Land- und Forstwirtschaft noch reine Landessache. So hatten die einzelnen Bundesländer nacheinander in den Jahren 1920 bis 1925 zur Regelung dieser Materie ihre „Landarbeiterordnungen” erlassen. Diese Normungen lösten die alten, zwischen 1850 und 1880 entstandenen „Dienstboten- und Gesindeordnungen” ab. Letztere enthielten eigentlich kein reines Vertragsrecht im heutigen Sinne, sondern begründeten zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer ein persönliches Treueband und eine Art von familienrechtlicher Bindung, wie sie sich aus dem alten deutschrechtlichen Treuedienstvertrag entwickelt hatte. Diese Dienstbotenordnungen waren aber nach dem ersten Weltkrieg für Österreich, das damals auf dem Gebiete der Sozialgesetzgebung fortschrittlich führend in Europa wurde, mehr als veraltet. Für eine Neuordnung auf diesem Gebiet war es schon höchste Zeit. Wenn diese von den einzelnen Bundesländern geschaffenen Landarbeiterordnungen auch den damals ebenfalls erlassenen übrigen Sozialgesetzen in etlichen Punkten noch nachstanden, so bedeuteten sie trotzdem gegenüber dem bisherigen Recht schon einen großen Fortschritt, weil sie den Dienstnehmer nunmehr als gleichberechtigten Vertragspartner hinstellten und auch bereits eine Anzahl von Arbeitnehmerschutzbestimmungen, wie Schutz der Frauen und Jugendlichen, Arbeitszeit und ähnliches, enthielten. Sogar Ansätze — wenn auch noch ungenügende — für Kollektivverträge und Betriebsvertretung fanden sich in einzelnen Landarbeiterordnungen.

Nach dem soeben erschienenen Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung des Parlaments, liegt nunmehr der Wortlaut eines Gesetzentwurfes, ;,betreffend d i e Grundsätze für die Regelung des Arbeits rechtes’’in der Land- und Forst wirtschaft (Landarbeitsgesetz)” vor, der inzwischen am 2. Juni 1948 dem Nationalrat zur Beschlußfassung vorgelegt wurde. Dieses Grundsatzgesetz, dem innerhalb von sechs Monaten die Landes- ausführungsgesetze folgen müssen, enthält im wesentlichen folgende Hauptabschnitte: Arbeitsvertrag, Kollektivverträge, Arbeitsordnung, Arbeitnehmerschutz, Arbeitsaufsicht, Lehrlingswesen, Betriebsvertretung.

Das Arbeitsvertragsrecht stellt eine moderne Kodifizierung dar, die gegenüber den Bestimmungen des ABGB und der Gewerbeordnung, die noch für die gewerbliche Arbeiterschaft gelten, einen großen Fortschritt bedeutet. In diesem Abschnitt ist auch eine Abfertigung im Falle der Auflösung des Dienstverhältnisses vorgesehen, die — wie am Rande bemerkt sei — für Arbeiter in der übrigen Gesetzgebung Österreichs sonst nicht vorkommt. Ihre Höhe richtet sich nach der Dauer der Dienstzeit und beträgt maximal 50 Prozent des Jahresentgeltes.

In den Abschnitten Kollektivverträge, Arbeitsordnung, Betriebsvertretung und Arbeitsaufsicht wurden die Bestimmungen des Kollektiwertragsgesetzes, des Betriebsrätegesetzes und des Arbeitsinspektionsgesetzes (alle aus dem Jahre 1947) fast vollinhaltlich übernommen, jedoch mit folgenden Unterschieden: die Obereinigungskommissionen sind als höchste Instanz in den einzelnen Ländern zu errichten. Der Nachteil hiebei ist, daß Kollektiv- und Tarifverträge nur für höchstens e i n Bundesland abgeschlossen, beziehungsweise erlassen werden können. Dadurch droht die einheitliche Entwicklung des Vertragsrechtes im gesamten Bundesgebiet zu leiden. Betriebsvertretungen (Betriebsräte, beziehungsweise Vertrauensmänner) sind in allen Betrieben der Land- und Forstwirtschaft zu errichten, ausgenommen in bäuerlichen Betrieben mit dauernd weniger als 20 familienfremden Dienstnehmern. Warum man in letzterem Punkte von den allgemeinen Bestimmungen des Betriebsrätegesetzes abgewichen ist, ist aus dem Motivembericht nicht zu ersehen, bedeutet aber doch einen gewissen Mangel an Konsequenz. ‘-Zur Überwachung des Arbeitnehmerschutzes werden nun zum erstenmal für die Land- und Forstwirtschaft „Land- und Forstwirtschaftsinspektionen” eingerichtet. Ihre Aufgaben sind im wesentlichen die gleichen, wie die der Arbeitsinspektoren (früher „Gewerbeinspektoren”) in Gewerbe und Industrie. Hinsichtlich des Arbeitnehmerschutzes sind vor allem die Bestimmungen über die Arbeitszeit wichtig; die zulässige Höchstarbeitszeit wurde im allgemeinen für die in die Hausgemeinschaft aufgenommenen Dienstnehmer mit freier Station mit 54 Stunden wöchentlich (entspricht einem Neunnehmet wurde damit begründet, daß hier der Dienstnehmer alles zum Leben Notwendige (Verpflegung, Wäsche usw.) fertig zur Verfügung gestellt bekommt; die Mehrarbeit soll demnach die Abgeltung für die über das normale Entgelt, wie es die übrigen Arbeiter erhalten, hinausgehenden Leistungen des Dienstgebers darstellen. Überstunden, die nur aus wichtigen Gründen (Wetterschläge und ähnliches) bis zu einem Höchstausmaß von zwei Stunden täglich verlangt werden dürfen, sind mindestens mit 50 Prozent, notwendige Nacht- und Sonntagsarbeit mit 100 Prozent Zuschlag zum Normalarbeitsentgelt zu vergüten. Die Urlaubsbestimmungen sind die gleichen wie im Arbeiterurlaubsgesetz, jedoch mit der Maßgabe, daß die tatsächlich eingehaltenen ländlichen Feiertage bis zu einem Drittel in das Urlaubsausmaß eingerechnet werden können. — Bei der Einführung der Lehre handelt es sich um den ersten Versuch, auch in der Land- und Forstwirtschaft besondere Ausbildungsvorschriften einzuführen. Ohne Zweifel hesteht ziemlich allgemein der Wunsch, die besondere Berufsausbildung auch für die Land- und Forstwirtschaft einzuführen. Als Folge erhofft man sich die Schaffung eines besonderen Facharbeiterstandes und damit eine finanzielle und soziale Besserstellung des Landarbeiters. Andererseits ist zu bedenken, daß die Landwirtschaft der letzte Beruf ist, der frei von jeder Reglementierung hinsichtlich Ausbildung und Ausübung geblieben ist. Außerdem ist gerade für die Landwirtschaft, die so erschreckenden Mangel an Arbeitskräften leidet, die Einführung von Ausbildungsvorschriften kein besonderer Anziehungspunkt; sie wirkt eher abschreckend. Wäre cs überhaupt nicht besser, die Pflichtlehre Regelung ist. Das Arbeitsrecht stellt eine so wichtige Materie dar, die eine bundeseinheitliche Regelung empfiehlt. Aus dieser Erkenntnis heraus hatte wohl der Bundesgesetzgeber das Bestreben, Regelungen gleich selbst bis ins einzelne zu treffen, so daß sich für einzelne Abschnitte, wie zum Beispiel die Betriebsvertreüung, die Ausführungsgesetze zum Großteil auf die wörtliche Wiedergabe des Wortlautes des Grundsatzgesetzes beschränken müssen. Auch aus diesem Grunde wäre eine einheitliche Regelung durch Bundesgesetz wünschenswert. Aus dem Gesetz ist die Tendenz zu erkennen, das landwirtschaftliche Arbeitsrecht dem gewerblichen so weit als möglich anzugleichen; wie aus diesen Darlegungen zu erkennen ist, ist dies allerdings noch nicht in allen Punkten gelungenDamit sollen keineswegs die Vorzüge dieses Gesetzes hintangesetzt werden. Vor allem liegt hier eine einheitliche Kodifizierung des gesamten Arbeitsrechtes in der Land- und’ Forstwirtschaft vor, wobei die neueste Sozialgesetzgebung in das Landarbeitsgesetz hineingearbeitet wurde; einzelne Abschnitte, wie zum Beispiel das Arbeitsvertragsrecht, werden sogar gegenüber den gleichen, veralteten Bestimmungen des gewerblichen Sektors richtunggebend sein.

Abschließend kann gesagt werden, daß die moderne Kodifizierung des Arbeitsrechtes in der Land- und Forstwirtschaft eine bedeutsame Station in der Sozialgesetzgebung Österreichs bildet; es ist zu hoffen, daß dieses Gesetz der Ausgangspunkt für die Schaffung eines einheitlichen Arbeitsrechtes für ganz Österreich ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung